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Ein übermalter Fries des antifaschistischen Künstlers Renato Guttuso wird in Rom wieder freigelegt

Alles begann mit einem Schaf. Dem ersten von mehreren. Die wolligen Vierbeiner waren Geschenke. "Stiftungen" nannte man sie damals. Solche schafigen Stiftungen machten unter anderem die Schriftsteller Alberto Moravia und Elsa Morante sowie der Maler Schifano. Ihre Schafe brachten sie höchstpersönlich in die römische Architekturfakultät. Die liegt auch noch heute im Valle Giulia, dem Julier-Tal, wie jenes kleine Tal genannt wird, dass zwischen zwei Hügeln mitten in Rom liegt. Die Architekturfakultät ist von viel Grün umgeben. Ideal für die Schafe. Sie weideten unter Weiden auf grünen Wiesen - so hatten auch die Tierschützer der 68er Bewegung nichts zu protestieren, erklärt Alessandro Spiriglione Curuni:

Ein Beitrag von Thomas Migge |
    Während der Besetzung der Fakultät, das war als die 68er-Bewegung Rom in Atem hielt, da lebten hier die Schafe von Intellektuellen und Künstlern. Sie sollten ein Symbol für die Dummheit der offiziellen Kulturschaffenden sein. Jene Leute, die sich mit den Regierenden einließen. Bis 1969 lebten die Tiere hier bei uns.

    Und dann, weiß der Professor für Architektur, verschwanden sie. Von heute auf morgen und es hieß damals, sie seien von einem Metzger nachts gestohlen worden, der Würste aus ihnen machen wollte. Alessandro Spiriglione Curuni war damals einer jener Studenten, die aktiv bei der Besetzung der Fakultät mitmachten, die zu einem der wichtigsten römischen Zentren der 68er-Bewegung wurde. Hier verkehrten Intellektuelle und Künstler, hier wurde die Weltrevolution im Sinn einer freien Kunst beschworen. Und: hier hinterließen Kunstschaffende ihre Spuren. Fast alle verschwanden mit der Zeit, wurden zerstört oder gestohlen. Nur eines überlebte die letzten Jahrzehnte. Ein Kunstwerk, dessen Existenz auch Spiriglione Curuni fast vergessen hatte. Auch er ging davon aus, dass es mit der Zeit einfach verschwunden sei. Es handelt sich um ein Graffiti, ein Bild, das jetzt dank des Ex-Studenten und heutigen Architekturprofessors wiederentdeckt wurde:

    Dieses Graffiti können wir mit großer Sicherheit Renato Guttuso zuordnen. Wenn wir uns dieses Bild von nahem anschauen dann wird deutlich, dass an der Wand, auf die es gekratzt und gemalt wurde, Eisenhaken befestigt sind. Wir gehen davon aus, dass daran weitere Bilder von Guttuso hingen, auf Pappe gemalt, die revolutionäre Darstellungen zeigten, wie sie damals Mode waren und die Guttuso den jungen Revolutionären schenkte.

    Was aus diesen Pappbildern wurde ist unbekannt. Das auf die Fassade der Fakultät gemalte Graffiti aber blieb erhalten, doch wurde es später aus unerklärlichen Gründen übermalt. Alessandro Spiriglione Curuni ließ es jetzt von nachträglich aufgetragenen Farben und von Putz befreien. Eigenhändig machte er sich mit einigen Studenten an diese Arbeit und legte den Guttuso frei. Das Werk eines Malers, der in den 60er und 70er Jahren der unbestrittene Star kommunistischer Künstler war und heute als einer der bedeutendsten Maler Italiens im 20. Jahrhundert gilt. Heute hingegen passt er so gar nicht mehr in das von Berlusconi regierte Italien - um so größer ist die Aufmerksamkeit der italienischen Medien angesichts der Wiederentdeckung des Wandbildes. Zu sehen ist nun ein rund zehn Quadratmeter großes Bild. Am unteren Bildrand strecken sich eine Hand und ein halber Unterarm und ein Kopf nach oben, zur Bildmitte hin. Links oben zeigt das Graffiti einen weißfarbigen Mann, der in einem Rebenstock klettert. Das ganze Bild zeigt immer wieder Reben und Äste von Rebenstöcken. Revolutionäre Parolen, typisch für viele andere Kunstwerke der italienischen 68er-Bewegung, wurden an der Fassade nicht gefunden.

    Guttuso schenkte dieses Bild den Studenten, die die Architekturfakultät besetzt hielten. In einer einzigen Nacht wurde es gemalt. Es heißt, dass zwei Studenten mit daran beteiligt waren aber wir wissen nicht wer da nachts mit dem berühmten Maler am Werke war. Wir wissen nur, dass Guttuso mit bereits in seinem Studio vorgefertigten Kartons zur Fakultät kam und diese Kartons an der Fassade nachmalte. Mit Messern und Scheren und anderen recht ungewöhnlichen Gegenständen kratzte er sein Bild in den Fassadenputz.

    Und dann malte er diese Kratzspuren mit Farben aus. Der neue, alte Guttuso, der jetzt endlich besichtigt werden kann, ist in diesen Tagen nicht nur zum Pilgerort ehemaliger 68er geworden. Auch Kunstinteressierte machen sich täglich auf den Weg um das Weinrebenbild des wohl bedeutendsten kommunistischen Malers Italiens zu bestaunen.

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