Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv


"Ein Verschleiß von Ressourcen der Justiz"

Sie sei geradezu empört über den Prozessverlauf, sagt Monika Frommel, Direktorin für Sanktionsrecht und Kriminologie der Uni Kiel. Das Gericht habe sich im Fall Kachelmann unprofessionell und provinziell verhalten.

Monika Frommel im Gespräch mit Martin Zagatta | 31.05.2011
    Martin Zagatta: Vier Monate lang hat Jörg Kachelmann in Untersuchungshaft gesessen, neun Monate hat dann der Prozess gedauert, in dem unzählige Zeugen und auch zehn Gutachter gehört wurden. Heute wurde der Wettermoderator freigesprochen von dem Vorwurf, seine ehemalige Freundin vergewaltigt zu haben. Es gebe keine Beweise für Schuld oder Unschuld, urteilt das Landgericht in Mannheim.

    Wir sind jetzt verbunden mit Monika Frommel. Sie ist die Direktorin für Sanktionsrecht und Kriminologie der Universität Kiel. Guten Tag, Frau Frommel.

    Monika Frommel: Guten Tag!

    Zagatta: Frau Frommel, wenn das Gericht jetzt sagt, es gibt keine Beweise für Schuld oder Unschuld, ist das dann eben doch ein Freispruch zweiter Klasse? Die Verteidigung, das haben wir in dem Beitrag ja gehört, die bestreitet das ja.

    Frommel: Das Gericht stellt das so dar. Streng genommen gibt es keinen Freispruch zweiter Klasse. Das ist ein Freispruch, denn wenn ihm die Schuld nicht nachgewiesen werden kann, dann hat er als unschuldig zu gelten. Ich finde es ausgesprochen ungut, wenn das Gericht sich da so windet.

    Zagatta: Aber stehen Vergewaltigungsprozesse nicht grundsätzlich vor dem Problem, dass dabei oft Aussage gegen Aussage steht und dass dann ein solcher Freispruch herauskommen muss?

    Frommel: Es ist nur scheinbar Aussage gegen Aussage. Typischerweise sind Opferzeuginnen in Vergewaltigungsprozessen in ihren Aussagen glaubhaft. Das heißt, sie schildern den eigentlichen Kern des Geschehens so, dass Details erkennbar sind, dass es tatsächlich erlebt worden ist, dann gilt die Aussage als glaubhaft und im Allgemeinen stimmen dann auch die Spuren damit überein. Das heißt, so schwierig ist der Nachweis in Vergewaltigungsverfahren nicht.
    Hier war es ausgesprochen schwierig, weil die Aussage nicht detailreich war und auch gewechselt hat im Laufe des Verfahrens. Als Staatsanwältin hätte ich ganz früh dieses Verfahren eingestellt, weil es abzusehen war, dass zwei Menschen beschädigt werden und man letztendlich einen Freispruch wird ernten.

    Zagatta: Wie erklären Sie sich, dass die Staatsanwaltschaft das nicht gemacht hat? Hat das damit etwas zu tun, dass Herr Kachelmann so prominent ist und dieser Fall in aller Öffentlichkeit so breitgetreten wurde, oder wie erklären Sie sich das?

    Frommel: Ich erkläre es mir mit einer gewissen Unprofessionalität, oder Provinzialität, wenn Sie so wollen. Die Staatsanwaltschaft hat, obgleich die Polizei den Namen Kachelmann schon in die Presse lanciert hatte, die Untersuchungshaft beantragt und auch bekommen. Das bedeutet, dass sie in sechs Monaten die Anklage schreiben muss, und in sechs Monaten kann es sein, dass man sich kein ausgewogenes Urteil bilden kann, insbesondere noch kein aussagepsychologisches Gutachten hat, und genau in die Falle ist sie hineingetappt. Nach dem aussagepsychologischen Gutachten von Frau Greuel war es eigentlich klar, dass man den Tatnachweis nicht wird führen können.

    Zagatta: Welche Bedeutung spielen dann überhaupt noch diese Gutachten? Da waren ja in diesem Prozess jetzt zehn Gutachter etwa angetreten, haben ausführlich Stellung genommen. Hat das dann überhaupt keine Bedeutung mehr in der Praxis, im Endeffekt?

    Frommel: Letztendlich haben ja die Gutachter das Bild bestätigt. Die Staatsanwaltschaft wollte nicht wahr haben, dass dieser Prozess aus ihrer Sicht nicht mehr mit einer Verurteilung enden kann, und hat Traumatologen als Gutachter benannt, dann über die psychischen Verhältnisse von Herrn Kachelmann einen Gutachter spekulieren lassen. Also unvorstellbar.

    Zagatta: Wenn ein Unbekannter, wenn jetzt ein nicht Prominenter vor Gericht gestanden hätte mit etwa der gleichen Faktenlage, wäre dann das Urteil aus Ihrer Sicht genauso ausgefallen, oder wäre dann das Ermittlungsverfahren tatsächlich eingestellt worden?

    Frommel: Ja, da kann man jetzt spekulieren. Das ist sicherlich schon vorgekommen, dass eine Opferzeugin Verletzungen vorgewiesen hat, eine relativ vage Aussage gemacht hat und dann relativ schnell verurteilt worden ist. Wenn er einen schlechten Pflichtverteidiger hat, dann wird er nicht so schnell an ein gutes, aussagepsychologisches Gutachten kommen. Also ich habe das mit sehr unguten Gefühlen beobachtet. Ich könnte mir das hier in meinem Bundesland Schleswig-Holstein so nicht vorstellen, wir haben hier eine große Gutachterdichte.

    Zagatta: Gibt es da auch Prozesse, wenn es um Normalsterbliche, nicht Prominente geht mit 43 oder mit dem Urteil heute 44 Sitzungstagen, mit Gutachten? Wird da auch ein ähnlicher Aufwand betrieben, oder ist das unvorstellbar?

    Frommel: Also das ist sowieso unvorstellbar. Die Strafprozessordnung geht davon aus, dass es zur Kernfrage ein Gutachter gibt, wenn es mehrere Aspekte gibt, zwei oder drei. Aber eine solche Gutachterschlacht ist völlig neu und sie ist nur damit zu erklären, dass die Staatsanwaltschaft ungeheuer verbohrt war.

    Zagatta: Wirft das dann aber nicht auch ein merkwürdiges Licht auf die Justiz?

    Frommel: Auf die Mannheimer Justiz!

    Zagatta: Auf die Mannheimer Justiz.

    Frommel: Ich halte das wirklich für ein lokales Phänomen! Der Justizminister in Baden-Württemberg soll sich mal überlegen, ob er vielleicht die Fortbildung nicht besser macht.

    Zagatta: Wie beurteilen Sie da in diesem Zusammenhang die Mannheimer Justiz - beziehungsweise die Staatsanwaltschaft stand ja auch unter ungemeinem Druck der Medien -, wie beurteilen Sie da insgesamt jetzt die Rolle der Medien? Das hat es ja auch so noch nicht gegeben, dass die Medien dann zum Teil ja auch richtig Partei ergriffen haben.

    Frommel: Ja, das war ungut. Das zeigt eine gewisse Amerikanisierung unserer Rechtskultur, was nur ins Schlechte führen kann. Eigentlich hätte die Staatsanwaltschaft die vorschnelle Presseberichterstattung der Polizei sofort stoppen müssen, dementieren und sich bedeckt halten, bis sie die Anklage hat. Sie hätte aus meiner Sicht auch keine Haftsache daraus machen müssen, denn Kachelmann hätte es sich nicht leisten können, sich dem Verfahren zu entziehen.

    Zagatta: Die Staatsanwaltschaft hat ja jetzt angekündigt, darüber nachzudenken, in Revision zu gehen, das wird geprüft, hat durchblicken lassen, man tendiere fast dazu. Ist das nach einem so langen Prozess nicht fast zwangsläufig?

    Frommel: Also ich finde es abenteuerlich, jetzt auch noch Revision einzulegen. Das bedeutet, dass das Gericht jetzt dieses Mammutverfahren ganz ausführlich begründen muss. Kann sein, dass es dabei einen Fehler macht. Dann wäre eine Revision möglicherweise erfolgreich. Das Ganze würde an eine andere Kammer wahrscheinlich des Landgerichts Mannheim, oder vielleicht an einen anderen Ort verwiesen werden, und dort würde die Beweislage nicht besser werden. Die Aussage ist nun mal lückenhaft und objektive Beweise gibt es nicht. Das heißt, das ist ein Verschleiß von Ressourcen der Justiz, nur weil man nicht einsehen kann, dass man von Anfang an eigentlich nicht wirklich gut gearbeitet hat. Also es empört mich geradezu.

    Zagatta: Frau Frommel, wird dieser Prozess, so wie er jetzt gelaufen ist, in Zukunft jetzt noch mehr Frauen davon abhalten, eine Vergewaltigung anzuzeigen, weil das sind ja immer schwierige Prozesse?

    Frommel: Das sind nicht immer schwierige Prozesse. Das sind möglicherweise schwierige Prozesse für einen Beschuldigten, ja. Wir haben ja darüber gesprochen, dass ein schlecht verteidigter Beschuldigter da wahrscheinlich schlechtere Karten gehabt hätte. Frauen sollen die Wahrheit sagen, sie sollen ihre Aussage nicht stylen, dann kann das durchaus zum Erfolg führen. Dass natürlich nicht jede Anzeige zu einer Verurteilung führt, das muss man einfach auch sich klar machen. Die Verurteilungsquote bei Vergewaltigungsverfahren ist nicht niedriger als in anderen Verfahren.

    Zagatta: Und die Gefahr dieser Öffentlichkeitswirkung, dieses spektakulären Prozesses, über den ja so viel berichtet wurde, dass der jetzt im Ergebnis Frauen davon abhält, die sagen, nun ja, man kommt dann so und so nicht damit durch, eine Vergewaltigung anzuzeigen, sehen Sie die Gefahr?

    Frommel: Diese Opferzeugin hat die Öffentlichkeit gesucht. Alice Schwarzer hat das ganz früh so ausgedrückt: Sie will zeigen, dass sie stark ist und dem Angeklagten in die Augen sieht. Ich kann als Opferanwältin eine Zeugin durchaus im Hintergrund halten. Sie war sich offenbar angesichts der präsentierten Verletzungen sehr sicher, dass das zu einer Verurteilung führt. Wenn die Verletzungen aber so sind, dass man sie sich auch selbst beifügen kann, und keine DNA-Spuren an der angeblichen Tatwaffe des Messers sind, dann sollte man vielleicht sich nicht derartig in die Öffentlichkeit begeben.

    Zagatta: Monika Frommel, die Direktorin des Instituts für Sanktionsrecht und Kriminologie der Universität Kiel. Frau Frommel, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

    Frommel: Bitte sehr.