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Ein verstörend-intensives Stück über die New Yorker Polizei

Im neuen Stück der New Yorker Theatergruppe "Temporary Distortion" mit dem Titel "Newyorkland" geht es nun um das Genre des Polizeifilms. Die Schauspieler zeigen das emotionale Niemandsland der Cops zwischen Helfer sein und der Brutalität der Straße.

Von Andreas Robertz |
    Auf der Bühne steht eine breite hohe Wand mit drei Eingängen, auf die in Schwarz-weiß die Skyline der New Yorker Bronx projiziert ist. Die Eingänge sind wie bei Balkonen mit Eisengeländern gesichert und mit Lichtern, Mikrofonen, Telefonen und Plastikscheiben versehen. Auf der Bühne davor ein großer Kabelsalat vermischt mit dem gelben Absperrband der amerikanischen Polizei "Crime Scene - Do Not Cross This Line". Vier Polizeibeamte in der Uniform des NYPD, der New Yorker Polizei, stehen an den Seiten, breitbeinig, mit verschränkten Armen, das Publikum genau im Visier. So beginnt "Newyorkland" - das Bild der Silhouette beginnt sich zu bewegen wie bei einer Autofahrt und ein Abend beginnt, der in dieser Form nur von der New Yorker Theatergruppe Temporary Distortion erfunden werden kann.

    Die Polizeibeamten auf der Bühne stehen in den Boxen, halten die gezogene Waffe ins Publikum, funken Codewörter zu unsichtbaren Gesprächspartnern, tippen Berichte oder telefonieren, während in den Filmsequenzen auf der Häuserwand dieselben Akteure in authentisch wirkenden Szenen aus einem Polizeirevier, von der Straße oder erschreckend echt wirkenden Tatorten zu sehen sind.

    Die Filmszenen haben oft die verwaschene trostlose Ästhetik der großen Polizeifilme der 70er-Jahre wie "French Connection" mit Gene Hackman oder den Superrealismus der mit Handycam gefilmten modernen TV-Serien wie "Southland".

    Dann wieder hören wir live einen Polizisten mitten in der Nacht mit seiner Mutter telefonieren. Er weiß nicht mehr recht, wo der Unterschied zwischen gut und böse liegt. Das Spiel auf der Bühne wirkt hermetisch abgeschlossen, die Figuren reden weder wirklich miteinander, noch mit dem Publikum, während auf der Häuserwand - dann aber als Film - die gleichen Charaktere sich direkt an das Publikum wenden und von sich erzählen. Dazu Regisseur Kenneth Collins:

    "Wir haben versucht, dem Publikum zwei Dinge gleichzeitig zu zeigen: Die Installation und die figürlichen Elemente, die im Raum sind und sehr formal und kalt wirken und die Filme, in denen alles sehr realistisch und emotional ist, also fast das genaue Gegenteil von dem, was auf der Bühne geschieht."

    Diese Mischung erzeugt ein äußerst interessantes Gefühl des Hin- und Hergeworfenseins zwischen Distanz und Nähe, Mitgefühl und Befremdung. Unterstützt wird dieser Zustand von der psychedelisch-atmosphärischen Klangkulisse von John Sully, der die Mischung des Abends so beschreibt:

    #'"... so wie es gegenübergestellt ist: die Installation hier als Kunstwerk und dann - Boom - wirst du in die Welt da oben gezogen, immer diese beiden Gefühle, die dich hin- und herreißen."

    Diese einfache Realität ist ein Berufsalltag, der den meisten Beamten, die frisch von der Akademie kommen, einen Schock versetzt. Weder von der Gesellschaft, der sie eigentlich helfen wollen, geschätzt, noch genügend auf die kompromisslose Brutalität auf New Yorks Straßen vorbereitet, geraten sie in ein emotionales Niemandsland, in dem sie isoliert sind, und längst nicht mehr Gutes tun, sondern bestenfalls menschliches Verhalten regulieren.
    Von dieser Perspektive der Isolation, von aufgestauten Aggressionen und angelerntem allgegenwärtigen Misstrauen erzählt dieser Abend. Dabei reibt sich der Mythos des amerikanischen Polizisten an einer Realität, die den einzelnen Beamten oft in gefährliche Nähe zu einer Psychose bringt.

    Mit "Newyorkland" hat die Gruppe "Temporary Distortion" ihre bisher intensivste und schlüssigste Arbeit vorgelegt - einen absolut hypnotischen Abend, aus dem man anders hinausgeht, als man hinein gegangen ist: verstört, verunsichert und aufgewühlt. Mittlerweile tourt die Gruppe in Japan, Kanada, Australien, Frankreich und Tschechien. Es wird Zeit, dass sie auch in Deutschland zu sehen sind.