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Ein Zurück zum Realismus

Zum ersten Mal nach 13 Jahren ist eine Ausstellung des amerikanischen Malers Chuck Close in Deutschland zu sehen. In "Chuck Close. Erwiderte Blicke 1969-2006" zeigt das Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen 28 großformatige Porträts aus allen Schaffensphasen.

    Katja Lückert: Überlebensgroße, fotorealistische Gemälde, die aussehen wie gedruckt, sind das Markenzeichen des amerikanischen Künstlers Close, dessen Bilder nach 13 Jahren jetzt zum ersten Mal wieder in Deutschland zu sehen sind. Das Aachener Ludwig Forum zeigt 28 Porträts in einer Ausstellung mit dem Titel "Chuck Close. Erwiderte Blicke 1969 - 2006". Peter Ludwig gehörte neben dem Walker Art Center in Minneapolis und dem Whitney Museum in New York zu den ersten Käufern von Closes Bildern. Stefan Koldehoff, vielleicht beginnen wir mit den heutigen Bildern. Ganz so fotorealistisch sehen sie gar nicht mehr aus. Liegt das auch an Closes Gesundheitszustand?

    Stefan Koldehoff: Ja und nein, er hat schon, bevor er erkrankte an dieser Querschnittslähmung, die übrigens verursacht wurde durch ein geplatztes Blutgefäß in der Wirbelsäule einfach nur, schon vorher angefangen, nicht mehr so ganz fotorealistisch zu malen, sondern seine Bilder, ja man kann fast sagen, so etwas wie vordigital zu pixeln. Er hat die Leinwand in ganz regelmäßige Rauten aufgeteilt mit einem Raster, das auf diesen Bildern heute auch noch zu sehen ist, und hat dann jedes dieser kleinen Karos, die dadurch entstanden sind, einzeln ausgefüllt, und zwar mit was, was aussieht wie ein völlig abstraktes Muster, wenn Sie davorstehen. Dann haben Sie in einem dieser auf die Spitze gestellten Quadrate einfach einen unregelmäßigen Fleck Farbe mit einem anderen Fleck Farbe drin, es gibt Rauten, die mit Strichen ausgefüllt worden sind, mit Farbverläufen. Das sieht also völlig irregulär aus. Und wenn Sie dann zehn, zwölf Meter zurückgehen, dann entsteht plötzlich aus diesen gepixelten Rauten ein Bild, und zwar wieder ein fast hyperrealistisches Bild, weil man sieht, dass in diesen unregelmäßigen Mustern jede Hautschattierung drin ist, jedes Licht, jeder Lichtreflex, auf der Nase, auf dem Brillenglas und so weiter. Das ist schon sehr große Malerei. Aber gekommen ist er tatsächlich, das haben Sie gerade schon beschrieben, vom Fotorealismus selbst.

    Lückert: Ist das denn merkwürdig, als Betrachter mit dem Wissen herumzugehen, dass es sich überwiegend um Freunde, um Familienmitglieder des Künstlers handelt? Nach einem Blick in den Katalog, finde ich, der kennt ziemlich komische Leute, der Mensch.

    Koldehoff: Na ja, also, er ist natürlich eine Berühmtheit, und deswegen sieht man in der Ausstellung auch Porträts von Künstlern wie Roy Lichtenstein, Richard Serra, den Komponisten Philip Glass, es sind aber tatsächlich alles seine Freunde. Und jetzt muss man sich vorstellen, wann er damit begonnen hat, so zu malen, das war 1968, und das war in New York. Und da war es keineswegs üblich, Porträts zu malen, schon gar nicht, realistische Porträts zu malen. Das war die Zeit, die immer noch beeinflusst war vom zwar vorbeigegangenen, aber immer noch stark ausstrahlenden, abstrakten Expressionismus, also, die große Farbgeste war gefragt, das Aufbringen in großem Gestus der Farbe auf die Leinwand, und da kommt Chuck Close her und sagt, nein, ich male Leute. Und ich male sie tatsächlich so, wie sie aussehen.

    Lückert: Also nicht geschönt.

    Koldehoff: Nein, überhaupt nicht, sondern so realistisch, dass man wirklich, ich habe es gerade schon mal gesagt, jedes Gefäß, Blutgefäß, jeden Pickel, jedes Barthaar am nicht rasierten Hals erkennen kann, und das Ganze macht der nicht Eins-zu-eins, sondern zwei mal drei Meter hoch und setzt damit natürlich auch ein kunstpolitisches Zeichen, zurück zum Realismus, zurück zur Abbildung der Wirklichkeit.

    Lückert: Und nun, gibt es dort eine Entwicklung in dieser Ausstellung, gibt es da verschiedene Zeiten?

    Koldehoff: Sie haben es gerade schon angesprochen, natürlich setzt seine Erkrankung, setzt seine Querschnittslähmung eine Zäsur. Natürlich ist er da nicht mehr in der Lage gewesen, so haarfein, dass man überhaupt nicht erkennen kann, ob die Bilder eigentlich tatsächlich gemalt sind, er hat sich zum Teil einer Airbrush-Pistole, also einer Farbsprüh-Pistole, bedient, so dass, auch das wieder Sakrileg in Zeiten des Expressionismus, noch nicht mal mehr Pinselspuren zu sehen sind auf den Bildern, das ist ihm alles nicht mehr möglich gewesen. Er hat sich aber für die Auflockerung, für die Pixelung der Bilder, vor seiner Erkrankung schon entschieden, das war also eine bewusste, künstlerische Geste, es ist ihm nicht aufgezwungen worden. Und er arbeitet damit heute weiter, indem er verschiedene andere Techniken ausprobiert hat, beispielsweise Bilder nur aus seinen eigenen, farbig eingefärbten Fingerabdrücken zusammengesetzt hat, aus großen Pappmaché-Knubbeln Bilder zusammengesetzt hat, also, er hat da verschiedene Möglichkeiten gefunden.

    Lückert: Peter Ludwig, von ihm war schon die Rede, dem Sammler. Hatte er schon in den 70er Jahren den richtigen Riecher?

    Koldehoff: Das hatte er, er war allerdings ein Fuchs, Peter Ludwig, er hat ihn besucht, hat ein großes Bild gekauft, ein Porträt von Richard Serra, und hat ihn dann anschließend um eine Quittung gebeten, auf der aber bitte nicht "Kunstwerk" stehen sollte, sondern "Entwurf für Schokoladenverpackungen", und Chuck Close erzählte mir vorhin, er hätte sich dann schon ziemlich lange gefragt, wer denn bitte in Deutschland Schokolade kaufen sollte, auf der dann ausgerechnet Richard Serra abgebildet ist.

    Lückert: Da ging es dann um die Steuer.

    Koldehoff: So war es.

    Lückert: Stefan Koldehoff war im Aachener Ludwig Forum und sah Chuck Closes "erwiderte Blicke".