Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Einblick in einen Schurkenstaat

Hunderttausend Demonstranten, angeführt von rotgekleideten buddhistischen Mönchen. Im Herbst vor zwei Jahren gehen diese Bilder um die Welt. Allerdings nur so lange, bis es der Militärjunta gelingt, den Aufstand niederzuschlagen. Wer sich damit nicht abfinden mag, kann jetzt zu einem Bericht aus dem Inneren des Landes greifen: "Der Fluss der verlorenen Fußspuren" - so der Titel des Buches.

Von Tom Goeller | 02.03.2009
    Als Leser dieses Buches möchte man kein Engländer sein. Denn teils schonungslos, teils mit beißendem Sarkasmus legt Thant Myint-U offen, mit welcher Brutalität sich das britische Empire im 19. Jahrhundert des Landes bemächtigte, das man einst einfach nur "Hinterindien" nannte und mittels hochnäsigem Rassismus und technischer Überlegenheit als Kolonie versklavte.

    Doch die Engländer hatten keine Freude an der abgelegenen Region, die vom feuchtheißen Golf von Bengalen bis hoch ans ewig-eisige Tibet reicht. Sie nannten sie "Aschenputtelprovinz", in der nur schmutziges aber gewinnbringendes Erdöl zu fördern war. Aus der damals dafür gegründeten Öl-Gesellschaft ging die spätere Britisch Petrol (BP) hervor. Das war's dann schon im Wesentlichen, was Burma dem englischen Empire brachte.

    Der spätere UNO-Generalsekretär U Thant hat seiner Familie persönliche Erlebnisse aus dem Alltag des britischen Kolonialregimes hinterlassen:

    Mein Großvater U Thant war gerade Anfang zwanzig gewesen und hatte auf einer Parkbank in Rangoon auf die Fähre nach Pantanaw gewartet. Da fühlte er, wie ihm jemand mit dem Gehstock auf die Schulter klopfte. Als er sich umdrehte, sah er ein älteres Paar. Der Mann sagte kein Wort, die Dame schien ein wenig geniert. Mein Großvater stand auf und ging, weil Geringschätzung und Rohheiten unter den Briten an der Tagesordnung waren.
    Wenn ein Burmese nicht neben Engländern auf einer Parkbank sitzen durfte, verwundert es nicht, dass schließlich sogar die aggressiven Japaner 1942 als Befreier unterstützt wurden. Der burmesische Politiker Aung San vermochte es, erst den Japanern, dann den wieder zurückkehrenden Briten die Unabhängigkeit seines Landes abzutrotzen, wird dafür aber 1947 ermordet.

    Das Land ist seither aufgrund ethnischer Auseinandersetzungen zwischen hunderten von Stämmen stets von Bürgerkrieg heimgesucht, der die Staatsbildung bis heute schwer belastet. Als Antwort auf die Aufstände fanden die politisch Verantwortlichen seit 1962 keinen anderen Ausweg als die Errichtung eines dauerhaften Militärregimes. USA und EU versuchen deshalb die burmesischen Despoten seit Jahrzehnten mit Sanktionen und Boykotten in die Knie zu zwingen, eine Methode, die in der internationalen Politik noch nie funktioniert hat.

    1990 sah es kurzfristig nach einem Wandel aus. Es wurden versuchsweise freie Wahlen abgehalten, die die Mitbegründerin der burmesischen Oppositionspartei, Aung San Suu Kyi, haushoch mit 82 Prozent gewann; sie ist die Tochter des 1947 ermordeten Staatsgründers Aung San. Deshalb wagt das Militärregime nicht, sie umzubringen. Man stellte sie stattdessen unter Hausarrest, das dem Militär missliebige Wahlergebnis wurde ignoriert, und die Junta herrscht weiter. 17 Jahre lang bleibt es still um Burma. Bis zum September 2007. Da sind plötzlich friedliche karmesin-rot gekleidete buddhistische Mönche in aller Welt auf den Fernsehschirmen zu sehen, wie sie gegen das Regime auf die Straße gehen. Thant Myint-U beschreibt, wie er zu hoffen wagte:

    Und dann gab es noch dieses fast schon ephemere Bild von Aung San Suu Kyi wie sie hinter dem Gartentor ihres Hauses in der University Avenue hervorblickte und einer Kolonne leise singender Mönche Respekt zollte. Man spürte die Anspannung, konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass es hier um Gut gegen Böse ging, und hoffte, dass Asien die nächste Revolution bevorstand.
    Falsch. Die Mönche wurden verprügelt und ermordet. Dann schloss sich der Türspalt zu Burma erneut, um allerdings im Mai 2008 diesmal nicht von Menschenhand, sondern von der Natur aufgerissen zu werden: Das weltweite Mitgefühl für die 130.000 Opfer der Flutkatastrophe in Burma war gewaltig. Noch größer aber war alsbald die Wut über die burmesische Militärjunta, die drei Wochen lang jegliche ausländische Hilfe ablehnte.

    Der französische Außenminister Bernard Kouchner ist außer sich und fordert eine "humanitäre Intervention", also eine Invasion von französischen, amerikanischen und britischen Marineeinheiten, um Hilfslieferungen ins Land zu bringen. Das Militärregime in Burma war wohl noch nie so nahe an seinem tatsächlichen Ende. Doch wieder geschieht nichts. Thant Myint-U glaubt zu wissen, was die wahren Hintergründe für das erneute Kleinbeigeben des Westens waren:

    Angesichts seiner Einsätze im Irak und in Afghanistan dachte der Westen nicht ernsthaft daran, einen blutigen Krieg in Asien anzuzetteln. Die Vorstellung, Verantwortung für ein armes Land mit fünfzig Millionen Einwohnern, hunderten Ethnien, Dutzenden von bewaffneten Rebellengruppen und so gut wie keiner staatlichen Infrastruktur als die der Armee selbst zu übernehmen, war noch nie auf dem Tapet gewesen. Hinzu kommt, dass sich China bei jeder Art von bewaffnetem Konflikt hätte genötigt sehen können, dem burmesischem Regime unter die Arme zu greifen.
    Hier, gegen Ende seines Buches erst, nennt Thant Myint-U den wahren Grund für das lange Überleben der längsten Militärdiktatur der Welt: China. Das Riesenreich hat seit Jahrzehnten sämtliche UN-Aktivitäten, die einen Regimewechsel in Burma hätten begünstigen können, massiv verhindert. Aus purer Selbstsucht - wird es doch im Gegenzug von Burma mit billigen Sex-Sklavinnen, Tropenholz, Erdöl und Erdgas versorgt. Ein Richtungswechsel in der Politik Pekings könnte also dem burmesischen Volk Freiheit und Demokratie bescheren. Weil der Enkel des UNO-Generalsekretärs jedoch daran nicht glaubt, wirbt er seit Jahren für ein Ende der Sanktionen des Westens, um den militärischen "Panzersafe Burma" aufzubrechen:

    Werden die Menschen im Westen begreifen, dass mehr Offenheit, mehr Verbundenheit und mehr Kontakte bei Weitem die mächtigsten Kräfte sind, um den Status quo aufzulösen? Würde es China heute besser gehen, wenn man es nach den Massenprotesten von 1989 in die Armut und Isolation gezwungen hätte?
    Thant Myint-U plädiert also für einen Wandel durch Annäherung. Was an dem Buch darüber hinaus gefällt, ist die Verwendung verschiedener Stilmittel. Die Kapitel über die britische Kolonialzeit sind spannend geschrieben wie ein Historienroman. Seine Gegenwartsbezüge stellen hingegen den engagierten UN-Mitarbeiter Myint-U in den Vordergrund, der mit plastischen Beschreibungen, wie zum Beispiel von der jüngsten Flutkatastrophe, das Drama seines exotischen Heimatlandes hautnah in deutsche Stuben bring:

    Sechzigtausend Wasserbüffel, ohne die in Burma kein Pflügen möglich ist, wurden einfach weggespült. Dreiviertel aller Krankenhäuser lagen in Trümmern. Unzählige Dörfer wurden komplett von der Landkarte ausradiert.
    Selbst wer noch nie Interesse an Burma hatte, sollte Myint-Us Buch lesen, denn es gewährt einen seltenen und beispielhaften Einblick in die Systematik eines "Schurkenstaates", der sich in erster Linie an seinem eigenen Volk vergeht. Außerdem sei das Buch deutschen Außenpolitikern empfohlen. Denn nach der Lektüre sollte ihnen klar sein, dass ein drastisches Umdenken in der deutschen Boykottpolitik geschehen muss, damit nicht bei der nächsten Katastrophe in Burma hysterische Franzosen deutsche Fallschirmjäger für den Einmarsch anfordern und Berlin womöglich - wie im Kongo - tatsächlich mitmacht.

    Tom Goeller über Thant Myint-U: Birma - Der Fluss der verlorenen Fußspuren. Erschienen ist das Buch im C. Bertelsmann Verlag, 448 Seiten kosten Euro 22,95. Ab heute ist dieses Buch im Handel erhältlich.