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Eine Alternative: Meer

Energieversorgung ohne Atomstrom und ohne Ausstoß von Treibhausgasen - ob das möglich ist, darüber gehen die Meinungen bekanntlich auseinander. Viele Menschen bezweifeln, dass Wind und Sonne stark und zuverlässig genug sind, um einen größeren Teil der Stromversorgung zu übernehmen - doch es gibt noch mehr regenerative Energien. Wasserkraft zum Beispiel kann nicht nur aus Stauseen fließen.

von Ralf Pasch |
    Das Kasseler Institut für solare Energietechnik hat jetzt ein Kraftwerk entwickelt, das die Strömung des Meeres in elektrische Energie umwandeln kann. Funktionsweise und Potenzial dieser Energieform stellt Ralf Pasch vor.

    Das seit 1988 bestehende Kasseler Institut für solare Energieversorgungstechnik - kurz ISET - arbeitet an einer Weltneuheit mit: Ihre Erfahrungen aus der Windenergietechnik bringen die Forscher beim Bau eines Meeresströmungskraftwerkes ein. Eine gemeinsam mit britischen Partnern entwickeltes und von der EU geförderte Pilotanlage soll in diesem Jahr vor der Küste Englands den Probebetrieb aufnehmen.

    Normalerweise haben die Kasseler Forscher festen Boden unter den Füßen/ wenn sie sich mit der Erzeugung alternativer Energie befassen. Jahrzehntelange Erfahrungen haben sie zum Beispiel bei der Entwicklung von Windkraftanlagen. Jetzt wagen sie sich aufs Wasser. Vor der Küste von Cornwall soll auf dem Meeresgrund für rund acht Millionen Mark ein Stahlturm errichtet werden, an dem eine Art Propeller befestigt ist. Das Ganze sieht aus wie eine Windkraftanlage, die auf dem Kopf steht. Der in Kassel entwickelte Rotor soll durch die kraftvolle Strömung des Meeres angetrieben werden. Denn im Wasser steckt - so garantiert Projektleiter Jochen Bard - jede Menge Energie:

    Der Prototyp der Anlage, der sich zur Seit in der Entwicklung befindet, wird etwa eine Leistung von 350 kW haben. Es ist aber geplant für die kommerzielle Umsetzung dieser Technologie eine Anlagengröße von etwa einem Megawatt anzustreben.

    Das ist etwa die gleiche Leistung, die heute ein durchschnittliches Windrad bringt. Doch die Energiequelle Wind ist in vielerlei Hinsicht unberechenbar. Schwankt sie doch im Extremfall zwischen Sturm und Flaute. Anders ist es bei dem jetzt entwickelten maritimen Kraftwerk: Dessen Ausbeute ist vorhersehbar, weil Ebbe und Flut fast minutengenau wechseln. Die Strömung, die durch diese Abfolge der Gezeiten entsteht, treibt den Rotor und damit den Generator des Kraftwerkes ständig an. Allerdings hat diese Strömung wegen der unterschiedlichen Beschaffenheit des Meeresbodens nicht an allen Küsten die gleiche Qualität. Einige der in diesem Sinne besten Lagen sind laut Bard schon gefunden:

    Im Rahmen einer europäischen Potenzialstudie wurden 105 Standorte identifiziert, an denen Meeresströmungskraftwerke installiert werden könnten. Diese Standorte haben zusammen ein Potenzial von etwa 12.500 Megawatt.

    Das wäre etwa so viel Energie, wie zehn Kraftwerke vom Typ Biblis produzieren. Die Experten haben zudem berechnet, dass ein Land wie Großbritannien immerhin 20 Prozent seines Energiebedarfes durch die Nutzung der Meeresströmung decken könnte. Weil die britischen Küstenregionen im Vergleich zu denen an der deutschen Nord- oder Ostsee besonders günstige Voraussetzungen für den Standort solcher Kraftwerke bieten soll dort in diesem Jahr dann auch die weltweit erste Anlage aufgestellt und getestet werden. Da soll laut Bard unter anderem auch die Rentabilität überprüft werden:

    Es ist natürlich sehr schwierig in so einem frühen Stadium der technischen Entwicklung zuverlässige Kostenangaben zu machen, es wird aber im Zuge der Förderung dieses Projektes eine sehr detaillierte Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchgeführt. Bisher sehen die Ergebnisse so aus, dass man für Anlagenparks mit etwa 100 Megawatt installierter Leistung... auf Stromgestehungskosten im Bereich von 10 und 15 Pfennig pro Kilowattstunde kommen könnte. Das heißt, die Stromkosten sind durchaus vergleichbar mit guten Windstandorten.

    Sollte die Pilotanlage den Probebetrieb gut überstehen, wird es gewiss noch viele Jahre dauern, bis die Nutzung von Meeresströmungen zur Energiegewinnung etabliert sein wird. Bei Windrädern hat dieser Prozess immerhin 15 Jahre gedauert. Doch inzwischen wächst der Anteil der Windenergie in Deutschland rapide. Experten registrieren inzwischen Zuwachsraten von immerhin etwa 50 Prozent pro Jahr.