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Eine diskografische Sensation

Die legendäre Produktion der gesamten Cembalo-Sonaten von Domenico Scarlatti ist eine fast schon historische Aufnahme. Sie wurde in den Jahren 1984 und 1985 von Scott Ross eingespielt. Diese 34 CDs umfassende Veröffentlichung wurde jetzt bei Warner Classics wieder neu aufgelegt und ist zu einem attraktiven Preis im Handel erhältlich.

Von Christiane Lehnigk |
    Im Studio begrüßt Sie dazu Christiane Lehnigk.

  • Musikbeispiel: Domenico Scarlatti, Sonata G-dur, Kk2

    Es war eine diskografische Sensation und eine interpretatorische Meisterleistung, die Einspielung aller Cembalo-Sonaten von Domenico Scarlatti, die der populäre amerikanische Cembalist Scott Ross anlässlich des 300.Geburtstages des Komponisten in Frankreich für Erato Disques aufnahm. Nie zuvor hatte es ein derartiges Schallplatten-Projekt gegeben und ein amerikanischer Kritiker meinte sogar, dass sich dagegen vom Ausmaß her Wagners Ring von Decca wie ein Picknick ausnehmen würde.

    Es war ein gemeinsames Projekt von Erato und Radio France, der französische Rundfunk sendete 1985 das gesamte Werk auf 200 Programme verteilt. Der Producer der Plattenfirma war Alain de Chambure, der Tonmeister Alain Duchemin.

    Scott Ross, der damals schon erkrankt war und 1989 im Alter von 38 Jahren verstarb, hat sich damit ein beispielloses Denkmal gesetzt. Er war eine illustre Persönlichkeit und glich, von der äußeren Erscheinung auf dem Podium her, eher einem Pop-Künstler wie etwa Elton John als einem "seriösen" Konzertpianisten. Doch er verfügte über eine immense Technik und Disziplin und wurde mit der Zeit zu einem regelrechten "Cembalo-Maniac" mit einem charakteristischen mitreißenden "Drive" im Spiel.

    Scott Ross, 1951 in Pittsburgh geboren, ging im Alter von 14 Jahren nach Frankreich und studierte an den Konservatorien in Nizza bei Madame Grémy-Chauliac und in Paris und gewann 1971 den 1. Preis beim Internationalen Wettbewerb in Brügge. Er setzte damit einen solchen Maßstab, dass bis 1986 kein 1. Preis mehr vergeben wurde.

    Neben seiner internationalen Konzerttätigkeit unterhielt er eine Professur an der Universität von Quebec und Sommerakademien in Venedig.

    Ross hatte eine enzyklopädische Sichtweise von Musik und so hat er nicht nur erstmals alle Sonaten von Scarlatti eingespielt sondern auch das gesamte Werk für Tasteninstrumente von Rameau und Couperin, Aufnahmen, die zur Zeit nicht mehr erhältlich sind.

    Seine Herangehensweise an diese Musik ist eine unakademische, nicht puristisch historische, und er beruft sich dabei auf den Altmeister des Cembalospiels, Gustav Leonhardt, der einmal meinte, man könne nicht authentisch und überzeugend zugleich sein. Dies hat allerdings die Entwicklung der letzten Jahre Lügen gestraft. Dennoch ist Ross’ Spiel frei von irgendwelchen modischen Attitüden oder weiteren interpretatorischen Freiheiten und überzeugt durch eine besondere Hingabe an diese Musik und die Verwendung verschiedener Nachbauten italienischer und französischer doppelmanualiger Cembali in dieser Aufnahme zeigt auch ein differenziertes Klangverständnis. Zu seinem Lieblingsstück der insgesamt 555 Scarlatti-Sonaten gehört ausgerechnet die langsamste Sonate Kirkpatrick-Verzeichnis 208 A-dur, wie Ross in dem im Booklet abgedruckten informativen Interview bekennt.

  • Musikbeispiel: Sonata A-dur Kk208

    Domenico Scarlatti war, obwohl er auch eine Vielzahl von Vokalwerken wie Opern, Oratorien und geistlichen wie weltlichen Kantaten schrieb, vor allem für seine Musik für Tasteninstrumente berühmt. Dennoch waren nur rund 10 Prozent Prozent dieses riesigen Oeuvres bekannt. Die Autographen der Sonaten haben sich nicht erhalten und nur eine Sammlung von 30 Sonaten ist zu seinen Lebzeiten als Druck erschienen, die anderen waren wohl gar nicht zur Veröffentlichung gedacht. Deshalb können sie auch kaum exakt datiert werden, aber es ist anzunehmen, dass sie zum größten Teil in Portugal und Spanien entstanden, wo er die Infantin Maria Barbara und spätere Königin unterrichtete, der auch die Sonaten gewidmet sind.

    Im Vorwort zur der unter dem Titel "Essercizi per Gravicembalo" 1738 herausgegebenen Sammlung schreibt Scarlatti sehr amüsant:

    "Leser, seiest du nun Dilettant oder Berufsmusiker, erwarte in diesen Kompositionen keine profunde Gelehrsamkeit, sondern eher ein heiteres, sinnreiches Spiel mit der Kunst, das dich der Meisterschaft des Cembalospiels näher bringen soll. Weder die Erwägung meines eigenen Interesses noch ehrgeizige Träumereien haben mich bewogen, sie zu veröffentlichen, sondern allein der Gehorsam. Vielleicht gefallen sie dir; dann werde ich mich nur um so glücklicher schätzen, anderen Weisungen zu folgen, um dich mit einem leichteren und abwechslungsreicheren Stil zu erfreuen. Zeige dich nunmehr eher menschlich als kritisch und vermehre dadurch Dein Vergnügen. "

    Die erste, allerdings stark bearbeitete Gesamtausgabe aller Sonaten stammt aus dem Jahre 1906 von Alessandro Longo. So richtig wieder entdeckt als vollwertige Kompositionen und nicht nur als Showstücke von Pianisten, wurden Scarlattis Sonaten dann in Folge der Arbeiten von Ralph Kirkpatrick seit den 50er Jahren des 20.Jahrhunderts.

    Stilistisch sind die Sonaten schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, dennoch herrscht durchweg eine zweiteilige Sonatenform vor, die formal wenig Innovatives bietet. Doch auffallend ist eine große Freude am Experimentieren und Ausloten aller technischen und harmonischen Möglichkeiten und das verlangte Kreuzen der Hände hat schon manchen Pianisten fast zur Verzweifelung gebracht. Besonders interessant ist auch der spanische Einfluss in der Musik des gebürtigen Neapolitaners, der sich vor allem in rhythmischen und melodischen Schemata wieder findet.

  • Musikbeispiel: Domenico Scarlatti, Sonata c-moll, Kk48. Presto

    Die Einspielung aller "Clavier-Sonaten" von Domenico Scarlatti mit Scott Ross innerhalb von 18 Monaten, - insgesamt an die 35 Stunden Musik -, war ein einzigartiges Projekt und ist im heutigen schnelllebigen Musikgeschäft kaum mehr vorstellbar.

    Ein informatives Textheft, in Englisch und Französisch, lässt den Hörer dabei nicht allein mit der Fülle an Sonaten, sondern nimmt ihn an die Hand, macht neugierig und beantwortet Fragen gleichermaßen. Warner Classics hat diese legendäre Aufnahme jetzt wieder aufgelegt, die mit einem Preis von rund 80 Euro im Handel erhältlich ist, - ein absolutes Muss für jeden Musikliebhaber.

    Dennoch soll es keine singuläre Erscheinung auf dem Plattenmarkt bleiben, und so arbeitet der niederländische Cembalist Pieter-Jan Belder für das Label Brilliant Classics seit 2000 an einer neuen Gesamteinspielung, die ebenso wie das Projekt bei Naxos mit verschiedenen Pianisten zum 250.Todestag Scarlattis, 2007 auf dem Markt erscheinen soll.

  • Musikbeispiel: Domenico Scarlatti, Sonata D-dur, Kk 555 (Ende)

    Die neue Platte im Deutschlandfunk. Wir stellten Ihnen heute die Gesamteinspielung der Cembalo-Sonaten von Domenico Scarlatti mit Scott Ross vor. Eine Aufnahme, die bei Erato entstand und jetzt von Warner Classics wieder aufgelegt wurde.

    Titel: Domenico Scarlatti - The Keybord Sonatas
    Solist: Scott Ross
    Label: Warner Classics
    LC-04281
    Bestell-Nr.: 256462092