"An sich ist die Idee, Weltgeschichte zu schreiben, uralt. Seit der Antike werden welthistorische Arbeiten geschrieben. Über ein Jahrtausend hinweg wurde Weltgeschichte geschrieben unter christlich-theologischen Voraussetzungen. Diese christlich-theologische Weltgeschichte wurde seit dem 18. Jahrhundert als obsolet empfunden. Es entstanden neue Ansprüche im Zeichen der aufkommenden Aufklärung, Ansprüche, die dem Vernunftgeschmack der Aufklärung entsprachen, und etwa seit dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts setzt eine ganz neue Bemühung um Weltgeschichte in dieser Hinsicht ein. An die Stelle der christlich-theologischen Universalgeschichte tritt das Bestreben nach einer innerweltlichen Geschichte der Menschheit, einer universalen Kultur- und Zivilisationsgeschichte."
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein reichen die zahlreichen Anstrengungen, Universalgeschichte zu schreiben, und es ist unverkennbar Europa, wo man an einer weltumfassenden Geschichtsschreibung arbeitet. Der Frankfurter Historiker Professor Ulrich Muhlack:
"Den Ausgangspunkt bildet eine große universale Weltgeschichte, die in England entsteht, Voltaire, andere Autoren nehmen das auf in Frankreich. Das wird dann aber in besonderer Weise in Deutschland rezipiert. In Deutschland gibt es eine - anders als in den übrigen Ländern - an den Universitäten etablierte institutionelle Geschichtswissenschaft, die das aufnimmt und in besonders professioneller Weise verarbeitet."
Namen wie Johann Gustav Droysen oder Leopold Ranke, die im 19. Jahrhundert an der Berliner Universität, der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin, lehrten und forschten, stehen für große kritische Werke, die bis heute zur Grundlage geschichtswissenschaftlicher Studien gehören. Wirklich "fertig" geworden mit ihren Vorhaben sind diese großen Historiker allerdings nie. Die Probleme lagen schon damals schnell auf der Hand:
"Es gibt ein Stoffproblem. Wenn man universale Kulturgeschichte der Menschheit schreiben will, muss man eine unendliche Fülle von ethnografischen, geografischen, historischen, sprachlichen und so weiter Materialien heranziehen. Auf der anderen Seite besteht ein Formproblem. Die Notwendigkeit sozusagen, diese Fülle von Materialien zu einer lesbaren, in sich geschlossen, systematisch geordneten historiografischen Darstellung zusammenzufassen."
Es scheint ein unendlicher Prozess, ein ewiges Sammeln und Ordnen zu sein, um alles, um wirklich die "ganze" Geschichte der Menschheit zu erzählen. Aber das geht gar nicht und wurde tatsächlich auch nie so gewollt, betont der Historiker Philipp Müller, der die Tagung maßgeblich organisierte.
"Das ist eine Sache, die man - glaube ich - ganz am Anfang klären muss: In der Universalgeschichte geht es nicht darum, die gesamte Geschichte der Welt in eine Geschichte zu integrieren. Sondern Universalgeschichte heißt: eine Perspektive auf die Geschichte zu entwerfen, die so gestaltet ist, dass man nur die Dinge in diese Geschichte integriert, die auch universalgeschichtlich sind."
Auch der Blick auf das Ganze ist damit immer abhängig von einem Standort und einer wissenschaftlichen These. Leopold Ranke zum Beispiel sah in einem wachsenden Kommunikationsprozess der Menschenvölker das verbindende Element:
"Er geht davon aus, Subjekt der Menschheitsgeschichte ist die Menschheit. Er erlebt in seiner eigenen Zeit, in seiner eigenen Gegenwart, wie diese Menschheit schon zusammengewachsen ist, eine Einheit ist. Und zum Problem seiner Weltgeschichte wird es jetzt, das Wachstum dieser Menschheit zu einer Einheit nachzuvollziehen. Das heißt, die Weltgeschichte beginnt für ihn nicht mit den ersten Menschen, sondern beginnt in dem Moment, wo Menschen in verschiedenen Gegenden beginnen, aus ihrer Isolierung herauszutreten und einen Zusammenhang suchen."
Ganz andere Entwürfe über Menschheitsgeschichte kamen von bekannten Berliner Philosophen wie Johann Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Während die empirische Geschichtswissenschaft auf der Grundlage von gesammelten und gesichteten Quellen ein Ganzes schaffen wollte, versuchten die Geschichtsphilosophen gedanklich und begrifflich eine Einheit der Weltgeschichte zu stiften.
"Da wird dann die Menschheit - etwa bei Fichte, das wäre ein Beispiel - schon vorausgesetzt als ein allgemeines Subjekt, das immer schon gewesen ist, und das dann in hochspekulativer Form durch verschiedene Epochen der Weltgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart hindurchgeführt wird, ohne dass diese konkrete Differenzierung stattfindet."
Beide Ansätze - quellenkritische Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie - haben immer wieder voneinander profitiert. Ohne sinnstiftende oder leitende Ideen konnte nie und könnte auch heute keine Universalgeschichte mehr geschrieben werden. So greift der Historiker Professor Jörn Rüsen für seinen Versuch, in Zeiten moderner Globalisierung auch die Menschheit und ihre Geschichte noch einmal neu zu denken, auf bewährte Ideen zurück:
"Die ersten großen, modernen universalhistorischen Entwürfe entstehen im Geist und aus dem Geiste dessen, was wir Humanismus nennen. Dafür stehen die Namen Kant, Humboldt, Herder, Schiller und so weiter, und so fort. Dort wird Menschheit konzipiert. Meine These ist, diese Tradition ist nicht vergangen, sondern wir müssen aus ihr einen Funken schlagen einer neuen Orientierung im Globalisierungszusammenhang. Wir können bestimmte Grundeinsichten dieses Humanismus nicht aufgeben, also etwa die Grundeinsicht in das, was bei Kant die Würde des Menschen heißt, was bei uns in den Artikel 1 des Grundgesetzes eingegangen ist. Mit diesem Erbe, das wir kritisch erneuern müssen, haben wir eine Chance, im interkulturellen Diskurs uns zu präsentieren, und dieses elende Machtspiel der kulturellen Identität, den Clash of Civilisations, hinter uns zu lassen."
Die Chance, so Jörn Rüsen, liege schlicht in der Besinnung auf unser aller Menschlichkeit, auf die kulturellen, kommunikativen Kompetenzen, wie sie zum Beispiel Kinder überall auf der Welt in gleicher Weise haben, noch bevor sie sich über den Spracherwerb in die Vielfalt kultureller Differenz entwickeln.
"Da müssen wir wieder hinkommen, nicht, indem wir alle diese Differenzen hinter uns zurücklassen, das halte ich für völlig verblasen, nein, aber eine Menschheit, eine Gemeinsamkeit, in der diese Differenz sich wirklich austragen kann. Und das ist die objektive Situation der Gegenwart, das müssen wir leisten. Und die einzigen Orte in der ganzen Welt, wo man das leisten kann, sind die Geisteswissenschaften. Dafür sind wir da."
"Weitere Möglichkeit heute, Universalgeschichte zu schreiben, wäre, dass man auf weltweite ökologische Probleme eingeht und deren Zusammenhang mit Geschichte. Das sind sozusagen Probleme, die die Menschheit auf der Welt als Ganze betreffen, und insofern universalgeschichtlich behandelt werden müssen. Und eine dritte Möglichkeit - sehr, sehr wichtig - ist natürlich die Geschichte und der Einfluss des Kapitalismus in der Globalisierung heute","
so Philipp Müller. Aber auch den neuen Ideen gegenüber bleibt der kritische Einwand bestehen, der auf der Tagung schon gegenüber den alten universalgeschichtlichen Ansätzen immer wieder formuliert wurde: Wie kann sich etwas Universalgeschichte nennen, das in einer von Europa ausgehenden Perspektive entworfen wurde? Wie kann man erwarten, dass das, was europäisches Denken hervorbringt, in allen Kulturen der Welt akzeptiert wird? Für Jörn Rüsen ist das kein Problem, solange nur alle auf der Welt das Gleiche tun; das heißt von ihren Standorten aus denken und argumentieren.
""Und dann können wir unsere jeweiligen Standorte und die aus diesen Standorten philosophisch, wissenschaftlich, geistes- und sozialwissenschaftlich entwickelten Ideen des Menschseins, der Universalität einbringen, die anderen ihre, und dann haben wir unterschiedliche Ideen von Menschheit - und deren Unterschiedlichkeit soll nicht verschwinden, sondern die soll eine neue Qualität bekommen. Und das ist für mich das Entscheidende."
Doch schon die Vorstellung, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu argumentieren, gehört in den westlichen Kulturraum. Und ob überhaupt der Wille und die Idee, die Menschheit und ihre Geschichte irgendwie global zu denken, in allen Kulturen dieser Erde vorausgesetzt werden kann, muss sich für die Wissenschaftler im besten Fall noch zeigen. Unbestritten gibt es weltweite Verflechtungen, aber auch der Begriff Globalisierung ist eine Erfindung europäischer Sozialwissenschaftler.
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein reichen die zahlreichen Anstrengungen, Universalgeschichte zu schreiben, und es ist unverkennbar Europa, wo man an einer weltumfassenden Geschichtsschreibung arbeitet. Der Frankfurter Historiker Professor Ulrich Muhlack:
"Den Ausgangspunkt bildet eine große universale Weltgeschichte, die in England entsteht, Voltaire, andere Autoren nehmen das auf in Frankreich. Das wird dann aber in besonderer Weise in Deutschland rezipiert. In Deutschland gibt es eine - anders als in den übrigen Ländern - an den Universitäten etablierte institutionelle Geschichtswissenschaft, die das aufnimmt und in besonders professioneller Weise verarbeitet."
Namen wie Johann Gustav Droysen oder Leopold Ranke, die im 19. Jahrhundert an der Berliner Universität, der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin, lehrten und forschten, stehen für große kritische Werke, die bis heute zur Grundlage geschichtswissenschaftlicher Studien gehören. Wirklich "fertig" geworden mit ihren Vorhaben sind diese großen Historiker allerdings nie. Die Probleme lagen schon damals schnell auf der Hand:
"Es gibt ein Stoffproblem. Wenn man universale Kulturgeschichte der Menschheit schreiben will, muss man eine unendliche Fülle von ethnografischen, geografischen, historischen, sprachlichen und so weiter Materialien heranziehen. Auf der anderen Seite besteht ein Formproblem. Die Notwendigkeit sozusagen, diese Fülle von Materialien zu einer lesbaren, in sich geschlossen, systematisch geordneten historiografischen Darstellung zusammenzufassen."
Es scheint ein unendlicher Prozess, ein ewiges Sammeln und Ordnen zu sein, um alles, um wirklich die "ganze" Geschichte der Menschheit zu erzählen. Aber das geht gar nicht und wurde tatsächlich auch nie so gewollt, betont der Historiker Philipp Müller, der die Tagung maßgeblich organisierte.
"Das ist eine Sache, die man - glaube ich - ganz am Anfang klären muss: In der Universalgeschichte geht es nicht darum, die gesamte Geschichte der Welt in eine Geschichte zu integrieren. Sondern Universalgeschichte heißt: eine Perspektive auf die Geschichte zu entwerfen, die so gestaltet ist, dass man nur die Dinge in diese Geschichte integriert, die auch universalgeschichtlich sind."
Auch der Blick auf das Ganze ist damit immer abhängig von einem Standort und einer wissenschaftlichen These. Leopold Ranke zum Beispiel sah in einem wachsenden Kommunikationsprozess der Menschenvölker das verbindende Element:
"Er geht davon aus, Subjekt der Menschheitsgeschichte ist die Menschheit. Er erlebt in seiner eigenen Zeit, in seiner eigenen Gegenwart, wie diese Menschheit schon zusammengewachsen ist, eine Einheit ist. Und zum Problem seiner Weltgeschichte wird es jetzt, das Wachstum dieser Menschheit zu einer Einheit nachzuvollziehen. Das heißt, die Weltgeschichte beginnt für ihn nicht mit den ersten Menschen, sondern beginnt in dem Moment, wo Menschen in verschiedenen Gegenden beginnen, aus ihrer Isolierung herauszutreten und einen Zusammenhang suchen."
Ganz andere Entwürfe über Menschheitsgeschichte kamen von bekannten Berliner Philosophen wie Johann Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Während die empirische Geschichtswissenschaft auf der Grundlage von gesammelten und gesichteten Quellen ein Ganzes schaffen wollte, versuchten die Geschichtsphilosophen gedanklich und begrifflich eine Einheit der Weltgeschichte zu stiften.
"Da wird dann die Menschheit - etwa bei Fichte, das wäre ein Beispiel - schon vorausgesetzt als ein allgemeines Subjekt, das immer schon gewesen ist, und das dann in hochspekulativer Form durch verschiedene Epochen der Weltgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart hindurchgeführt wird, ohne dass diese konkrete Differenzierung stattfindet."
Beide Ansätze - quellenkritische Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie - haben immer wieder voneinander profitiert. Ohne sinnstiftende oder leitende Ideen konnte nie und könnte auch heute keine Universalgeschichte mehr geschrieben werden. So greift der Historiker Professor Jörn Rüsen für seinen Versuch, in Zeiten moderner Globalisierung auch die Menschheit und ihre Geschichte noch einmal neu zu denken, auf bewährte Ideen zurück:
"Die ersten großen, modernen universalhistorischen Entwürfe entstehen im Geist und aus dem Geiste dessen, was wir Humanismus nennen. Dafür stehen die Namen Kant, Humboldt, Herder, Schiller und so weiter, und so fort. Dort wird Menschheit konzipiert. Meine These ist, diese Tradition ist nicht vergangen, sondern wir müssen aus ihr einen Funken schlagen einer neuen Orientierung im Globalisierungszusammenhang. Wir können bestimmte Grundeinsichten dieses Humanismus nicht aufgeben, also etwa die Grundeinsicht in das, was bei Kant die Würde des Menschen heißt, was bei uns in den Artikel 1 des Grundgesetzes eingegangen ist. Mit diesem Erbe, das wir kritisch erneuern müssen, haben wir eine Chance, im interkulturellen Diskurs uns zu präsentieren, und dieses elende Machtspiel der kulturellen Identität, den Clash of Civilisations, hinter uns zu lassen."
Die Chance, so Jörn Rüsen, liege schlicht in der Besinnung auf unser aller Menschlichkeit, auf die kulturellen, kommunikativen Kompetenzen, wie sie zum Beispiel Kinder überall auf der Welt in gleicher Weise haben, noch bevor sie sich über den Spracherwerb in die Vielfalt kultureller Differenz entwickeln.
"Da müssen wir wieder hinkommen, nicht, indem wir alle diese Differenzen hinter uns zurücklassen, das halte ich für völlig verblasen, nein, aber eine Menschheit, eine Gemeinsamkeit, in der diese Differenz sich wirklich austragen kann. Und das ist die objektive Situation der Gegenwart, das müssen wir leisten. Und die einzigen Orte in der ganzen Welt, wo man das leisten kann, sind die Geisteswissenschaften. Dafür sind wir da."
"Weitere Möglichkeit heute, Universalgeschichte zu schreiben, wäre, dass man auf weltweite ökologische Probleme eingeht und deren Zusammenhang mit Geschichte. Das sind sozusagen Probleme, die die Menschheit auf der Welt als Ganze betreffen, und insofern universalgeschichtlich behandelt werden müssen. Und eine dritte Möglichkeit - sehr, sehr wichtig - ist natürlich die Geschichte und der Einfluss des Kapitalismus in der Globalisierung heute","
so Philipp Müller. Aber auch den neuen Ideen gegenüber bleibt der kritische Einwand bestehen, der auf der Tagung schon gegenüber den alten universalgeschichtlichen Ansätzen immer wieder formuliert wurde: Wie kann sich etwas Universalgeschichte nennen, das in einer von Europa ausgehenden Perspektive entworfen wurde? Wie kann man erwarten, dass das, was europäisches Denken hervorbringt, in allen Kulturen der Welt akzeptiert wird? Für Jörn Rüsen ist das kein Problem, solange nur alle auf der Welt das Gleiche tun; das heißt von ihren Standorten aus denken und argumentieren.
""Und dann können wir unsere jeweiligen Standorte und die aus diesen Standorten philosophisch, wissenschaftlich, geistes- und sozialwissenschaftlich entwickelten Ideen des Menschseins, der Universalität einbringen, die anderen ihre, und dann haben wir unterschiedliche Ideen von Menschheit - und deren Unterschiedlichkeit soll nicht verschwinden, sondern die soll eine neue Qualität bekommen. Und das ist für mich das Entscheidende."
Doch schon die Vorstellung, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu argumentieren, gehört in den westlichen Kulturraum. Und ob überhaupt der Wille und die Idee, die Menschheit und ihre Geschichte irgendwie global zu denken, in allen Kulturen dieser Erde vorausgesetzt werden kann, muss sich für die Wissenschaftler im besten Fall noch zeigen. Unbestritten gibt es weltweite Verflechtungen, aber auch der Begriff Globalisierung ist eine Erfindung europäischer Sozialwissenschaftler.