Kittler beginnt seine Geschichte beim "Gründungsdokument aller Kulturwissenschaft", bei Giambattista Vicos 1725 erschienener "Scienza nova", dem ersten Gegenangriff einer Kulturgeschichte gegen die von Descartes begründeten neuzeitliche Naturwissenschaften. Die "poetische Weisheit", die - aus der Hochzeit von Philosophie und Philologie hervorgegangen - nunmehr das Szepter der Wahrheit führt, entwickelt einen anderen Begriff der Natur, der aber nicht weniger imaginär und konstruiert ist als die mathematische res extensa des Descartes. Die "poetische Physik" kennt Natur nur als kulturgeschichtlichen Schein, als buntes Gewimmel von allegorischen Götterfiguren. So jedenfalls stellt sich Vico das Weltbild der Urmenschen vor, die ebenso wie Kinder - und zum ersten Mal mit diesen verglichen - die mechanischen Naturkräfte durch dichterisch phantasievolle Metaphern darstellen.
Mit Vico beginnt also nicht nur die Kulturwissenschaft als durchgängige Literarisierung von Natur und Geschichte, sondern auch die verklärende Gleichsetzung von individueller und menschheitlicher Kindheit mit Dichtung als einer archaischen Naturpoesie. Dennoch geht es in dieser nicht um paradiesische Urzustände: Nach der Austreibung aus dem Paradies, die Vico ganz bibeltreu an den Anfang der Geschichte setzt, werden die erfundenen Götterfiguren auch gefürchtet, die Bindung an sie schafft die Religion (ein Begriff, der schon etymologisch von Fesselung spricht) sowie die weiteren ethischen Kulturinstanzen der Ehe und der Bestattung. Dennoch versteht Vico diese drei Elementarinstanzen der Kultur nicht als Begründungen einer Anthropologie, wie sie dann erst von Herder mit seiner These vom exklusiv menschlichen Sprachursprung ins Spiel gebracht wurde. Kultur bestimmt sich in diesem Sinne als Absetzung des Menschen gegenüber dem restlichen Naturreich, was nicht nur ein Mehr, sondern auch einen Mangel ausmacht: Süffisant rekonstruiert Kittler bei Herder gerade die intensive Beschäftigung mit den blöckenden und muhenden Gefühlsausdrücken der Haustiere, denen beim Menschen ein empfindlicher Mangel an dem entspricht, was jene auszeichnet, nämlich an Instinkt.
Kraft dieses Mangels, dem sich allerding die menschliche Sprachfähigkeit im allgemeinen und die Volksdichtung im besonderen verdankt, tritt aber ein anderes Konzept in den Vordergrund. Seit Herder wird alle Kulturgeschichte als Bildungsgeschichte lesbar, wobei der kulturhistorische Rahmen durch die Genese vor allem einer Sozialform bestimmt ist, der neuzeitliche Kernfamilie, die ja schon frühere Überlegungen Kittlers beschäftigt hat. Vicos viele Götter weichen damit dem einen Gott Herders, der in menschlicher Gestalt als Vater und Lehrer das Geschehen bestimmt. Damit ist schon ein entscheidendes Stichwort in Richtung der Vollendung dieser ersten Epoche der Kulturwissenschaft durch Hegels allgemeine Ontologie gegeben. Hegels Phänomenologie des Geistes schreibt Kulturgeschichte als Bildungs- und Familienroman einer Welt, die in ihrer Buchförmigkeit den Gegensatz zwischen cartesischer Natur und vicoscher Kultur überwindet.
Kittler erhebt mit seiner Vorgehensweise weder den Anspruch einer Vollständigkeit der Rekonstruktion, noch behauptet er, den Gang der Entwicklung realistisch genau abzubilden. Es geht vielmehr um die Beleuchtung möglichst vieler unterschiedlicher Gesichtspunkte aus Philosophie, Literatur, Kritik aber auch aus Sozial- und Technikgeschichte; und es finden sich bei ihm eine Reihe von erfrischend offenen und für den akademischen Betrieb umso ungewohnteren Eingeständnissen der Beschränktheit des Blicks, sei es durch die Umstände, den eigenen Kenntnisstand oder schlicht die Interessenlage. Entsprechend kurz fällt dann auch die Darstellung der zweiten Epoche aus, die Kittler auf das Stichwort "empirische Kulturwissenschaft" bringt. Das Leitthema ist jetzt der Streit um das Erbe des hegelschen Systems, ein ideologischer Disput, der letztendlich durch die Erfindung des kulturgeschichtlichen Romans (à la Scott, Flaubert, Dahn, Freytag, Riehl) seine beste Lösung im Ausschlachten der Archive findet, die seit dem Sammelfleiß der Jesuiten anwachsen. Aber, wie gesagt, Kittler bringt dieser Phase weniger Interesse entgegen als z. B. der folgenden, durch Geistesheroen wie Nietzsche, Freud, Husserl und Heidegger geprägten, die von der Entstehung und Eskalation einer Kulturpolitik gekennzeichnet ist.
Mit Nietzsche beginnt nämlich zweifellos die entscheidende Wende der Kulturwissenschaft zu ihrer dritten Epoche im Zeichen eines "Kulturrelativismus". Es gibt nicht mehr die authentischen Urschöpfungen, sondern alles unterliegt einem fortwährenden Prozeß des "Umschaffens". Damit eröffnet Nietzsche als erster die Perspektive einer Kulturarbeit, einer Kulturpolitik, die auch der ideologischen Überzeugungsarbeit von Interpretationen ihren Stellenwert auf dem Schauplatz der Macht zuweist: An die Stelle der einen treten die vielen Wahrheiten, nicht nur als Kampf der zwei Prinzipien des Apollinischen und Dionysischen, sondern auch als Gegensatz der im 19. Jahrhundert neu aufkommenden Psychophysik. Kittler erinnert so auch an den anderen Nietzsche, der nicht nur Bachofen und Burckhardt, sondern auch Helmholtz, Féré und Ribot las und auf der Basis dieser Lektüre Kunstpraktiken in physiologische Triebe und Tragödien in halluzinatorische Lichtbilderscheinungen übersetzte.
Ähnlich und doch wieder ganz anders dagegen der kulturtheoretische Ansatz Freuds, der Nietzsche zwar mehr verdankt, als er zugesteht, aber dann doch lieber der Teleologie einer fortschreitenden Eindämmung der triebhaften Kräfte des Wahnsinns folgt. Kittler verschreibt sich allerdings bei seiner Darstellung einer zugespitzt ichpsychologischen Lesart von Psychoanalyse, wenn er an der Psychologie des Unbewußten die regulativen Mechanismen des Übergangs von Natur zur Kultur in den Vordergrund stellt und Kulturarbeit auf Freuds berühmte Metapher von der "Trockenlegung der Zuydersee" bringt. Zugleich rückt er die spekulative Kulturgeschichte der Errichtung einer Ordnung des Begehrens durch Ödipuskomplex und vatermordende "Urhorden" als Mythenkontamination in die Nähe strukturaler Exogamieregeln, die gewissermaßen einen "Kulturbefehl" erteilen. Aber letztlich ist es eben nicht nur eine kommunikative Vernunft, die diesen Kulturprozeß steuert: Wie Kittler an den zahlreichen Apparat-Modellen bei Freud zeigt, spielt auch das instrumentelle Verhältnis zu den Dingen für eine Kulturgeschichte eine Rolle, die immer auch Technikgeschichte der Apparate, Waffen und Medien ist.
Hier setzt das letzte Kapitel mit einer emphatischen Relektüre von Heideggers Sein und Zeit und der "Kehre" dieses Denkens in der Auseinandersetzung mit der Frage der Technik ein. Heidegger ist für Kittler eigentlich der Philosoph, der den geläufigen Ontologien der Natur eine "elementare Kulturwissenschaft" entgegensetzt und daher in allem, was Kittler in seinen Vorlesungen zu unternehmen strebt, "schon immer vorausgegangen" sei. Besser kann man eine Hommage nicht anbringen und man spürt auch eine Begeisterung, mit der Kittler der Auslegung des Dingverhältnisses als Umgangsweisen mit Zeug in seiner alltäglichen "Zuhandenheit" bis hin zu Heideggers später Entdeckung der technischen Medien als "Weisen des Entbergens" von Wahrheit folgt.
Und immer wieder hört man das sprechende Subjekt in seiner empirischen Kontingenz durch die Zeilen hindurch. So freimütig Kittler die Grenzen seiner Kenntnisse und Interessen eingesteht, macht er auch aus seinen Sympathien und Antipathien kein Hehl. Auch hat Kittler Wert auf die Beibehaltung des mündlichen Charakters der Vorlesung gelegt. So erfahren wir etwas über die Zigarettenpausen und Sommerferienwünsche, werden aber auch durch redundante Wiederholungsschleifen zu Beginn jeder Vorlesung sicher im Gedankengang eingebettet und durch kleine Biographien zu den behandelten Denkern erzählerisch gekonnt auf die Pointen der Verschränkung von Leben und Werk hingewiesen, ganz abgesehen einmal von der generellen stilistischen Formulierungskunst Kittlers. Mit seinem herrlichen Lakonismus, der mühelos Sprachphilosophie, Haustier- und Nutzpflanzenhaltung, Kolonialwarenhandlungen, Computer und Weltkriege in Verbindung zu setzen vermag, dürfte er schwerlich unter den zeitgenössischen Kulturwissenschaftler seinesgleichen finden. Manchem mag das befremdlich vorkommen, aber auch darin liegt Methode: Für Kittler liegt die neue Orientierung dessen, was einmal Geistes- oder Humanwissenschaft geheißen hat, im Aufruf, die eigenen Grenzen zu erkennen und stärker noch als in den früheren interdisziplinären Ansätzen fürs Andere, Fremde offen zu werden. "Kulturwissenschaften heißt ja, gerade das Fremde zu mögen", wird so immer wieder in und zwischen den Zeilen an die Adresse all der neu ernannten Kulturwissenschaftler formuliert, die das neue Mäntelchen nur als Deckfigur fürs Weiterwurschteln nach alter Manier nutzen wollen. Und zu diesem Ethos des Offenseins und -bleibens gehört es auch, daß man das von Kittler in der Einleitung mitkonzipierte vierte Kapitel zur gegenwärtigen Phase der Kulturwissenschaft nicht im Buch findet. Sicherlich werden viele gerade zu diesen Fragen etwa des Verhältnisses von Diskursanalyse, Medientheorie, gender studies innerhalb der Kulturwissenschaften eine Stellungsnahme des Autors erwartet haben, die er aber aus guten Gründen verweigert und es lieber der Nachwelt überläßt, darüber zu entscheiden, was gegenwärtig Kanon ist und was nicht.