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Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends

Biologie. – Seit Jahrtausenden leben Mensch und Umwelt miteinander und beeinflussen sich gegenseitig. Dass sich das Kräfteverhältnis in der jüngsten Zeit in Richtung Mensch neigt, mag dabei nur so scheinen. Ein Blick in die Vergangenheit kann daher lehren, die gegenseitige Abhängigkeit der Akteure auf unserem Planeten besser zu begreifen. Der Zoologe Josef H. Reichholf legt hierzu ein lesenswertes Buch vor.

Von Michael Lange | 24.06.2007
    Die Geschichte der Menschheit lässt sich nur verstehen, wenn man die Natur kennt, in der diese Geschichte stattfand. Der Zoologe Josef H. Reichholf stellt die Wechselwirkungen zwischen Menschengeschichte und Naturgeschichte in den Mittelpunkt seines Buches und macht deutlich, dass es sich um eine gemeinsame Geschichte handelt. Sein Buch eilt durch die Jahrhunderte, springt manchmal chaotisch von Sizilien nach Grönland und dann in den Südpazifik. Viele Fakten hat der Autor zusammen getragen. Viel alt Bekanntes ist darunter. Aber er präsentiert verstaubtes Wissen in neuem Licht. Und manches Faktum aus dem Geschichtsbuch wird verständlicher oder anschaulicher, wenn man die Natur kennt, in der diese Geschichte stattfand.

    So wurde die Stabilität der Gesellschaft im Hochmittelalter durch ein mildes Klima begünstigt. Das Absinken der Temperaturen im 14. und 15. Jahrhundert und viele Naturkatastrophen trugen um 1500 mit dazu bei, dass das Mittelalter zu Ende ging. Solche einfachen oder vereinfachten Geschichtsinterpretationen finden sich immer wieder in dieser kurzen Naturgeschichte. Josef H. Reichholf stellt auch gezielt Verbindungen her zur heutigen Zeit, besonders gerne zur aktuellen Klimadebatte. Vor allem die über die Medien verbreiteten Klima-Katastrophenszenarien bereiten ihm Unbehagen. Er zweifelt nicht an einem bevorstehenden Klimawandel, kritisiert aber die Angst vor einer nie da gewesenen Katastrophe. Indem er den menschgemachten Klimawandel naturgeschichtlich einordnet, relativiert er ihn. Dabei geht es ihm nicht um Verharmlosung. Er sieht sich als Aufklärer, der möglichen Gefahren sachlich, ohne Angst entgegen sieht.

    Wie schon in früheren Büchern nimmt Reichholf das seiner Ansicht nach unwissenschaftliche Ökologie-Bild vieler Umweltschützer aufs Korn. Oft gehe es beim Umweltschutz um das Bewahren einer Natur, die es längst nicht mehr gibt. Der Mensch hat seine Umwelt extrem verändert. Sie ist aber deshalb nicht "unnatürlich". Menschen können in ihr überleben, weil sie nicht mehr so leben wie ihre Vorfahren. In gleicher Weise haben sich auch Tiere angepasst. Sie haben viele Wege gefunden, um in der veränderten Welt zu überleben, zusammen mit dem Menschen oder in seiner Nachbarschaft. Nicht in allen Punkten kann Josef Reichholf überzeugen. Aber der neue Blickwinkel aus Richtung Vergangenheit auf die Zukunft der Erde macht das Buch lesenswert.

    Josef H. Reichholf: Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends
    ISBN 978-3-10-06294-5
    S. Fischer, 336 Seiten, 19,90 Euro