Archiv


Eine Million unbeantwortete Fragen

Die Sorge um eine weltweite Ausbreitung der Schweinegrippe von Mexiko hat einen Grund in der Vergangenheit: Die Spanische Grippe tauchte im Jahr 1918 ebenfalls wie aus dem Nichts auf, verbreitete sich rasend schnell über den Globus und tötete in kürzester Zeit 50 Millionen Menschen. Deshalb untersuchen Virologen nun die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede der gefährlichen Influenzaviren. Doch ihre Erkenntnisse werfen viele neue Fragen auf.

Von Kristin Raabe |
    Im Permafrostboden eingefroren Leichen, in Bleisägen konservierte Körper und in Paraffin gegossene Gewebeproben lieferten den Forschern nach und nach immer mehr Gensequenzen des Virus, das 1918 die Spanische Grippe auslöste. Mittlerweile ist es im Labor regelrecht wieder auferstanden. Deswegen lässt sich der Erreger der Spanischen Grippe auch problemlos mit den heute kursierenden Grippeviren vergleichen. Auf den ersten Blick scheint die Schweinegrippe viel mit dem Erreger der Spanischen Grippe gemein zu haben. Beide Viren werden schnell von Mensch zu Mensch übertragen. Außerdem gehören beide zur selben Gruppe von Grippeviren. Es sind H1N1-Viren. Das bedeutet, dass zwei ihrer Oberflächeneiweiße demselben Subtyp angehören. Aber da hören die Gemeinsamkeiten dann auch auf. Warum die Spanische Grippe 1918 rund 50 Millionen Menschen töten konnte, versucht Michael Katze von der Washington University in Seattle seit Jahren herauszufinden.

    "Wir verstehen nicht wirklich, warum das Virus von 1918 so viele Menschen tötete. Wir verstehen auch nicht, warum die Vogelgrippe so eine hohe Mortalitätsrate hat, aber nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Das Virus von 1918 sprang sehr leicht von Mensch zu Mensch über, hatte aber eine vergleichsweise niedrige Mortalitätsrate, obwohl es natürlich unterm Strich dann doch viele tötete. Mit dem Schweinegrippevirus ist jetzt ein neues Virus aufgetaucht. Um etwas über die Biologie dieses Erregers zu sagen, ist es noch viel zu früh."

    Der amerikanische Virologe untersucht in verschiedenen Tiermodellen, wie der Organismus auf unterschiedliche Arten von Grippeviren reagiert und warum nur manche Viren ihren Wirt töten. Erst kürzlich veröffentlichte er in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Science eine Studie bei der zwei Gruppen von Makaken einmal mit dem künstlich hergestellten Erreger der Spanischen Grippe und einmal mit dem Vogelgrippevirus infiziert wurden.

    "Wir verstehen nicht, warum in dem Affenmodell das 1918er-Virus tödlicher ist als das H5-Vogelgrippevirus. Bei diesen Experimenten haben wir untersucht, wie der Organismus nach sechs, zwölf und 24 Stunden auf die Infektion reagiert. Wenn das Virus am Ende seinen Wirt tötet, gibt es immer eine starke Entzündungsreaktion, die nicht mehr abklingt. Der Organismus ist anscheinend nicht mehr in der Lage die Infektion zu kontrollieren. Warum das in diesem Tiermodell bei der Spanischen Grippe so ist und nicht bei der Vogelgrippe, verstehen wir noch nicht."

    Offenbar reagieren Makaken anders als Menschen auf die verschiedenen Grippeviren. Der Erreger von 1918 war für Menschen nämlich eigentlich gar nicht so tödlich. Nur etwa vier bis fünf Prozent der Infizierten starben. Nur weil die Spanische Grippe so viele - etwa jeden Fünften - infizierte, lag die Anzahl der Toten so hoch. Von den Makaken starben dagegen fast alle. Die Vogelgrippe ist dagegen für Menschen um einiges gefährlicher als für die Affen. Sie tötet etwa 60 Prozent der Infizierten. Trotzdem sind die Tiermodelle für die Forscher hilfreich. Von ihnen haben sie gelernt, das jedes hochgefährliche Virus auf dieselbe Art tötet: Es löst eine starke Entzündungsreaktion aus, die nicht mehr abklingt. Ob die Menschen, die in Mexiko an der Schweinegrippe starben, auch solche Symptome zeigten, wissen die Forscher allerdings noch nicht.

    "Bekamen die Patienten keine antiviralen Medikamente? Starben sie wegen der schlechten hygienischen Bedingungen? Erst wenn die Leute vom amerikanischen Zentrum für Seuchenkontrolle und von den WHO-Laboren die Proben aus Mexiko analysiert haben, werden wir wissen, was das Besondere an diesem Virus ist und ob die Menschen in Mexiko vielleicht einfach nur starben, weil sie eine Ko-Infektion mit einem Bakterium oder einem anderen Virus erlitten haben. Im Moment bleiben einfach nur eine Million unbeantwortete Fragen."