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"Eine Verknüpfung, die immer noch im Kopf ist"

Ehrbare schaffende Ökonomie versus böse raffende Ökonomie: Dieses antisemitische Denkmuster tauchte schon lange vor den Nazis auf. Das Jüdische Museum Frankfurt zeichnet in einer Ausstellung nach, wie das Zerrbild vom "Geldjuden" entstand – und bis heute überdauerte.

Liliane Weissberg im Gespräch mit Michael Köhler | 27.04.2013
    Michael Köhler: Schon lange vor den Nazis, da sprach man ganz gern von der schaffenden Ökonomie auf der einen Seite und meinte damit die industrielle oder handwerkliche Produktion und der raffenden Ökonomie auf der anderen: der Finanzindustrie und der Spekulanten, und das war durchaus jüdisch konnotiert gemeint. Nun ist aber jeder Anleger, der jetzt ganz im großen in Schiffsfonds oder im kleinen in Briefmarken investiert, ein Spekulant.
    Von Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und späteren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, stammt der Ausspruch: "Sie können mich Juden nennen, Sie können mich Immobilienhändler nennen, Sie können mich Spekulant nennen, aber nicht jüdischen Immobilienspekulanten."
    Liliane Weissberg ist Kuratorin der Ausstellung "Juden. Geld. Eine Vorstellung" im Jüdischen Museum Frankfurt und sie habe ich gefragt: Wie konnte denn der jüdische Kaufmann zur Symbolfigur des Kapitalismus werden? Hat das eine lange Geschichte?

    Liliane Weissberg: Das hat eine sehr lange Geschichte. Wir führen sie zurück zum Mittelalter, die Differenz zum Christentum, die Frage, wie wird die Bibel ausgelegt und was sind die Konsequenzen. Keiner riss sich um den Geldverleih. Es gab Christen, die Geld verliehen haben, genauso wie Juden, die Geld verliehen haben. Juden haben nicht liebend gerne Geld verliehen; nur in der religiösen Frage hatten sie sozusagen einen Heimvorteil: Es gab keine Hölle im Judentum. Und wenn der Papst oder die Kirchenfürsten meinten, dass Zinsen und Wucher eine große Sünde seien, weil man mit Zeit handele und Zeit gehöre ja Gott, dann ist die Konsequenz für Juden, die es tun, vielleicht nicht ganz so radikal.

    Und vor allen Dingen hatten sie keine anderen sozialen Optionen. Sie wurden nicht in die Zünfte aufgenommen, sie konnten nichts eigentliches produzieren. Und diese Geldverleiher waren ja nicht einfach Geldverleiher: das waren Händler. Die haben mit Stoffen gehandelt und mit anderen Objekten gehandelt und waren Pfandleiher und waren Geldverleiher. Nur als Geldverleiher waren sie besonders wichtig, weil die Kirche auf der einen Seite natürlich den Geldverleih verurteilte, auf der anderen Seite aber in einer Welt lebte, in der Kredit und Geldverleih notwendig waren. Die Kirche war ja einer der führenden Kunden bei jüdischen Geldverleihern.

    Köhler: Wir kennen aus der Literatur den Shylock aus dem "Kaufmann von Venedig", wir kennen den Nathan von Lessing, also Shakespeare und Lessing. Wir kennen aber auch die positiven Schilderungen des sogenannten Hofjuden, des Hoffaktors beim "Jud Süß", der unter Württemberg Finanzrat war. Was wir heute kennen, ist so eine ganz abgründige Kombination aus Antikapitalismus und Antisemitismus, und wenn dann noch Antiamerikanismus dazukommt, dann fängt es an, richtig gefährlich zu werden.

    Weissberg: Und interessant!

    Köhler: Wie konnte diese Linie entstehen? Es gibt ja auch eine positive Geschichte des jüdischen Spekulanten.

    Weissberg: Natürlich. Als Shakespeare den "Kaufmann von Venedig" schrieb, gab es ja keine Juden in England. Das heißt, sein Shylock als Geldverleiher war bereits das Produkt einer überlieferten Vorstellung und nicht einer realen Beobachtung. Bei Nathan bei Lessing ist es etwas anderes: Lessing war mit Moses Mendelssohn befreundet und schuf mit Nathan eine Idealfigur. Diese Bilder von dem bösen und dem guten Juden vermischen sich. Sie vermischen sich zu der Vorstellung des reichen Juden.

    Köhler: Wenn Habgier und Geiz entstehen, dann werden solche moralischen Adjektive attributiert, dann kommt der Geldjude am Ende dabei heraus.

    Weissberg: Genau! Der Geldjude kommt heraus und das muss nicht unbedingt negativ sein, das kann auch positiv bewundernd sein. Was wir in dieser Ausstellung machen, ist keine Geschichte des Antisemitismus, sondern die Geschichte einer Vorstellung, die eine Verknüpfung konstruiert hat, die immer noch im Kopf ist.

    Köhler: Frau Weissberg, in Zeiten von Finanzkrisen ist man schnell mit der Zuschreibung von Schuld bei der Hand. Der Antisemitismus feiert wieder Urständ auch in Osteuropa teilweise. Behandeln Sie diesen Aspekt auch ein bisschen, wenn manche vielleicht hinter vorgehaltener Hand schnell wieder vom jüdisch-amerikanischen Großkapital reden und ähnliche Dinge?

    Weissberg: Ja. Ich muss gestehen, das war eigentlich der Ausgangspunkt der Ausstellung: die Aktualität des Themas. Wir haben zum Beispiel Titel von Artikeln deutscher Zeitungen über die Finanzkrise, die bemüht sind, zumindest durch ein jüdisches Wort oder eine Konnotation darauf hinzuweisen, dass "der Finanzexperte" oder "der Direktor einer Bank", um den es geht, jüdisch ist. Es ist ja hinsichtlich einer Finanzkrise nicht besonders relevant, welche Religion ein Bankier hat.

    Köhler: Ob er persisch ist oder indisch ist.

    Weissberg: Genau. – Und dass so etwas angedeutet werden kann, nehmen wir bisweilen als selbstverständlich an, und diese Selbstverständlichkeit wollen wir hinterfragen.

    Köhler: Das tut und sagt Liliane Weissberg zur Ausstellung "Juden. Geld. Eine Vorstellung" in Frankfurt.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.