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Eine Welt ohne Kinder

Es muss alles erst die schlimmstmögliche Wendung nehmen, um dann doch ein Licht ans Ende des Tunnels zu zaubern. Das ist eine der Grundregeln für Endzeit-Thriller, in denen die Hoffungslosigkeit einer erdachten Phantasiewelt lust- und eindrucksvoll auf die Spitze getrieben wird. Umweltkatastrophe, Migrationschaos, die ganze Welt im Bombenterror. Nur noch ein konsequent autoritäres Regime kann sich eine Zeit lang rühmen, die Sache im Griff zu haben. Ausgerechnet in Großbritannien.

Von Josef Schnelle |
    Schlimmer als alle anderen Plagen dieser dystopischen Zukunftswelt ist aber: es gibt keine Kinder mehr. Gar keine. Das zuletzt geborene Kind ist im Jahre 2027 gerade gestorben. Der Filmemacher Alfonso Cuaron aus Mexiko hat einmal alle Themen ganz wörtlich genommen die in den letzten Monaten so heftig diskutiert wurden. Er zeigt eine Gesellschaft, die sich damit abfinden muss, sehr bald zu sterben. Komplett. Keine Rücksichten mehr auf niemanden. Das Leben - ein sinnloser Kampf.

    " Ich weiß nicht mehr, wann ich zum letzten Mal Hoffnung hatte. Und - ganz im Ernst. Seit die Frauen keine Kinder mehr bekommen können. Worauf können wir dann noch hoffen? - Heute wurde die Welt durch den Tod von Diego Ricardo erschüttert - dem jüngsten Menschen auf diesem Planeten. Der jüngste Mensch der Erde wurde 18 Jahre, vier Monate, 20 Tage, 16 Stunden und 8 Minuten alt."

    Die Story von der unfruchtbaren Welt ist keine satirische Bearbeitung der Debatte um immer weniger Kinder, die diesen Sommer die deutschen Feuilletons erschütterte. Sie beruht vielmehr auf dem Roman "Im Land der leeren Häuser", den die britische Krimiautorin P.D. James schon 1992 geschrieben hat. Regisseur Alfonso Cuaron verschlankt die Geschichte zu einem rasant-eleganten Science-Fiction-Thriller in der Tradition von "Blade Runner" und "Matrix". Eine Welt der Zukunft die gar nicht so zukünftig ist. Der Film jongliert nämlich ausschließlich mit Phänomenen, die wir aus den täglichen Nachrichtensendungen kennen - konzentriert sie nur im Brennglas seiner Zukunftsstory zu schmerzenden Konsequenz. Eine Gesellschaft ohne Hoffnung muss doch verrohen und schließlich implodieren. Regierungsagent Theo - früher einmal ein kämpferischer Dissident - erfährt, dass gerade erstmals nach 18 Jahren wieder eine Frau schwanger geworden ist und wird der Schutzengel dieses neuen Erlösers einer Welt, die in Gewalt und Chaos zu versinken droht. Ein verrückter Professor, gespielt von Michael Caine, prophezeit Großes:

    " Euer Kind ist das Wunder, auf das die ganze Welt gewartet hat. - Ich verspreche Dir, dass wir einen Weg finden, um dich zum "Human Project" zu bringen. - Pass auf."

    "Human Project" - das ist ein Schiff voller Wissenschaftler, die sich noch eine Zukunft vorstellen können. Mehr als heilige drei Könige. Genre-Kino ist immer schnell, aktuell und hat mit seinem beherzten Griff in die Klischeekistestets ein bisschen den Geruch von Schweinestall. Es war aber auch immer das große Experimentierlabor für ungewöhnliche Ideen. Weswegen solche Filme in den goldenen Zeiten Hollywoods billiger - als B-Filme - hergestellt wurden. Genau Hinschauen ersetzt manchmal monatelanges Debattenfeuilleton. Jetzt werden B-Filme produziert wie alle anderen auch. Genauso teuer mit dem gleichen Marketing wie die anderen Hollywoodfilme. Aber origineller, schneller und zupackender sind die Filme nach den Ideen für B-Filme immer noch. "Matrix" zum Beispiel lag so gut im Zeitgeist, das es zu diesem Film inzwischen mehrere Dutzend philosophische und kunsttheoretische Doktorarbeiten gibt. "Children of Men" zählt zu dieser Liga, weil der Film perfekt abbildet, wie die Menschheit sich gerade fühlt. Dieser Film nagelt einen in den Kinosessel. Man kann die rasanten Action-Szenen tatsächlich nicht so recht als handwerkliche Kabinettstückchen genießen, weil der Film in jeder Minute auch dazu auffordert, über den gegenwärtigen Zustand der Welt nachzudenken. Die Zukunft in "Children of Men" ist dreckig und düster. Das kryptofaschistiche Regime der fiktiven "Vereinigten Königreiche" tarnt sich aber schon mit den gängigen Phrasen des Kriegs gegen den Terror. Regisseur Cuaron - bekannt geworden ist er durch den nostalgischen Festivalerfolg "..Mit deiner Mutter auch" und inszenierte kürzlich "Harry Potter und der Gefangene von Askaban" - hat sich anders als die Macher von "Matrix" die digitalen Effekte weitgehend verkniffen, dafür eher auf die "teilnehmende Beobachtung" einer "entfesselten Kamera" gesetzt. Den Begriff hat übrigens Fritz Lang erfunden - für seinen damals weit voraus schauenden Science Fiction Film "Metropolis".