Aber ich bin fast überzeugt - ganz im Gegensatz zu meiner ursprünglichen Meinung, dass die Arten nicht - es ist, als würde ich Ihnen einen Mord gestehen - unveränderlich sind.
... schreibt Charles Darwin 1844 in einem Brief an seinen Freund Hooker. Als 15 Jahre später sein Hauptwerk "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" erscheint, löst diese spektakuläre Veröffentlichung eine Welle der Anerkennung, aber auch bittere Ablehnung aus. Darwin behauptet, die verschiedenen Lebewesen hätten sich, von einem gemeinsamen Urahn abstammend, im Laufe von Jahrmillionen entwickelt. Alle, einschließlich des Menschen, verdanken nicht Gott, sondern der Natur ihr Leben.
Lernen Schüler ab 13 Jahren die Evolutionstheorie im Unterricht kennen, so wenden sich doch alle Autoren der heute vorgestellten Bücher an jüngere Leser. Ein Grund mag sein, dass man über den wohl berühmtesten Biologen aller Zeiten und seine Entdeckungen, verständlich und vor allem sehr anschaulich erzählen kann - und das aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln: So reist der Italiener Luca Novelli auf Darwins Spuren nach Südamerika, die Berliner Autorin Katrin Hahnemann nähert sich in ihrer Biografie dem widersprüchlichen wie sympathischen Menschen, Maja Nielsen, bekannt durch ihre Sachbuchreihe Abenteuer & Wissen, schlägt eine Brücke zwischen der Evolutionsbiologie gestern und heute und der Engländer Alan Gibbons rückt in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen den Abenteurer Darwin.
"Ich glaube, man muss ihn als einen sehr vorsichtigen, sehr nachdenklichen Menschen sehen als jemanden, der wirklich viel gezweifelt hat, glaube ich auch, obwohl er ja mit seiner Theorie praktisch ein neues Weltbild eröffnet hat, ist er doch jemand, der sich mit den Beweisen, für all das was er gesagt hat, sich gar nicht zufrieden geben mochte, der immer noch mehr gesammelt hat. Auch jemand der an sich selbst gezweifelt hat und der viel litt und wenn man ihn auf dem berühmten Bild mit dem weißen Bart sieht, dann sieht man ihn als einen Mann, der eigentlich in sich selbst sich zurückgezogen hat. Er war auch ja sehr viel krank. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er an psychosomatischen Krankheiten litt und nicht an körperlichen Krankheiten, dass er an irgendetwas litt, am Leben litt vielleicht - insofern kein strahlender Held und kein weiser alter Mann der Wissenschaft, sondern ein Suchender, gebeugt unter der Last all dessen worüber er nachgedacht hat, was er gefunden hat, was er erlebt hat."
....meint der Buchautor und promovierte Biologe Andreas Weber.
"Ich denke, dass das zum großen Teil stimmt so, so sehe ich ihn auch. Ich glaube aber, schon, dass er auch andere Fassetten hatte, vor allem als junger Mensch. Diese Abenteuerreise für fünf Jahre lang quer durch die Kontinente, die macht man auch nur, wenn so eine Abenteuerlust und so einen Mut, so Unternehmungslust hat, die hatte er sicherlich damals. Und er hat eine große Faszination für die Natur gehabt, ich denke, dass das dem auch noch entgegensteht, diesem in sich gekehrten, denn er hat sein Leben der Natur gewidmet, kann man so sagen."
Katrin Hahnemann bringt gerade auch diese Seiten Darwins zur Geltung und erzählt chronologisch in ihrer Biografie "Charles Darwin - Wer ist das?" für Kinder ab 8 Jahren.
"Bei dieser Reihe, speziell beim Darwin-Buch geht es mir darum, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, eben herauszufinden, was ist das für ein besonderer Mensch, wie kam er dazu, wie wurde aus einem ganz unauffälligen Schüler jemand, der so etwas besonderes geleistet hat? Letztendlich will ich auch Kindern Mut machen sich treu zu bleiben und ihren Interessen, um irgendwie ihren Weg zu finden. Er war ja derjenige, der ein neues Weltbild für ein altes hingestellt hat und insofern hat er auf die Autoritäten gepfiffen im großen Stil."
Gerade Charles Darwins widersprüchliches Verhalten interessiert Katrin Hahnemann. Trotz seines strengen Vaters und vieler Einflüsse entwickelt Charles bereits als Kind sein unabhängiges Denken. Zum einen plagt ihn die schreckliche Angst vor der großen Weltreise, zum anderen ist er voller Neugier auf das Unbekannte. Wird diese fünfjährige Fahrt sein ganzes Dasein verändern, so setzt er nie wieder einen Fuß auf ein Schiff. Charles Darwin weiß, er hat mit seiner Evolutionstheorie eine außergewöhnliche Entdeckung gemacht und doch schweigt er zwei Jahrzehnte lang. Katrin Hahnemann bezieht ihren jungen Leser immer in ihre Überlegungen mit ein und nennt den großen Wissenschaftler einfach nur Charles. So entsteht keine Distanz, sondern Vertrautheit."
Er ist erst 33 Jahre alt. Aber mit Down House hat er den Ort gefunden, wo er für den Rest seines Lebens bleiben wird. Eigentlich ist es komisch, oder? Da hat Charles die ganze Welt bereist und jetzt will er nur noch seine Ruhe, zu Hause arbeiten und mit den Kindern spielen. Das ist doch ein Widerspruch, findest du nicht? Aber Charles hat eben diese ganz unterschiedlichen Eigenschaften einerseits den Mut, die Neugier und Abenteuerlust, aber auch die Sehnsucht nach Sicherheit, Bequemlichkeit und Ruhe.
Nur in kurzen Stichworten rafft die Autorin an bestimmten Stellen längere
Lebensabschnitte und Wissenswertes zusammen, um dann im Verlauf der Biografie wieder in die epische Breite zu gehen.
In den nächsten Monaten erlebt Charles viel Neues und Aufregendes: Er sieht eine Wasserhose. Er schwimmt in tropischen Lagunen. Er fängt einen Hai. Er reitet mit wilden Gauchos - das sind südamerikanische Cowboys - durch die Pampas, das flache, weite Grasland von Argentinien. Er kämpft gegen Banditen und wird in Schießereien verwickelt.
Katrin Hahnemann bauscht die abenteuerlichen Momente während der Weltreise, die Darwin mit 22 Jahren antrat, nie auf. Sie überlässt dem Leser viel Raum für eigene Fantasien und zitiert lieber aus Briefausschnitten oder erzählt überlieferte Anekdoten.
"Weil ich halt für Kinder schreibe, ich denke einfach, dass dieser konkrete Ansatz, das sind so Sachen, die Kinder interessieren, da denke ich, steigen die ein und das sind so Sachen, mit denen die etwas anfangen können. Das war mein Schwerpunkt, die Sachen herauszufinden, von denen ich denke, dass sie Kinder interessieren. Das bietet sich bei Darwin an, dieses Naturforschen. Es gibt ja sehr viele Kinder, die so kleine geheime Naturforscher sind und immer mit irgendwelchen Tierchen in der Hand rumlaufen oder Steinen, zum Beispiel diese Episode mit den Käfern, die er da gesammelt hat und wo er einen in den Mund gesteckt hat und die wieder ausgespuckt hat. Ich denke, da habe ich die Ekelausbrüche bis Lacher der Kinder relativ sicher, wenn ich das vorlese."
Katrin Hahnemann beschreibt Charles Darwin als zufriedenen Familienmenschen.
"Ich glaube, er war so etwas, wie jemand, der kein Streber ist, der eben auch ein bisschen Schabernack im Sinn hat. Vielleicht auch im Grunde genommen ein typischer Hochbegabter, dem die geraden Wege nicht so leicht fallen, der dann aber, wenn er aber in der Lage ist, seine eigenen Wege gehen zu dürfen, wirklich alles daran setzt, sie zu einem Ziel hin zu Ende zu gehen, das er vor sich sieht. Er war sicherlich kein angepasstes Kind. Aber andererseits war er auch doch jemand und das kann man heute wahrscheinlich gar nicht verstehen, wenn man heutige Familien von innen kennt, als Teil einer solchen, ein sehr respektvoller Sohn und Neffe, der alle wichtigen Entscheidungen mit seiner Familie, mit seinem Vater, seinem Onkel, der eine große Rolle spielte, besprochen und der niemals etwas getan hätte, wenn er nicht seinen Segen bekommen hätte. Insofern waren da auch ganz viel sehr starre autoritäre Regeln im Spiel, die hat er in einem metaphorischen und darüber hinausgehenden Sinn ja auch vollkommen ausgehebelt."
Charles Darwin ist ein guter Ehemann und liebevoller Vater von zehn Kindern. Seine Mädchen und Jungen sind glücklich, wenn sie ihm bei seinen Experimenten helfen dürfen.
"Er hat seine Kinder genau beobachtet und er war sehr präsent. Was für ein Komfort natürlich auch für diese Kinder. Das ist ja sozusagen fast so wie bei mir hier zu Hause, der Vater schreibend im Arbeitszimmer und immer letztlich ansprechbar und präsent. Nein, nein, das war für ihn extrem wichtig. Aber man weiß nicht so richtig, wie ein Kokon, den man sich baut, wie sehr der auch zur Falle wird."
Nach der großen Reise schloss Darwin die Ehe mit seiner Cousine Emma Wedgwood. Beide Familien waren über Generationen eng befreundet und heirateten auch untereinander. Darwins glückliches Familienleben wurde jedoch durch den Tod dreier Kinder getrübt. Seine Lieblingstochter Annie stirbt mit 10 Jahren, ohne dass die Ärzte eine Ursache finden können.
"Wir dürfen auch nicht vergessen, dass ja Emma Wegdewood seine Cousine war und er wusste als Evolutionstheoretiker aus erster Hand, dass das ein bisschen riskant ist. Und es gibt sogar von ihm Zeugnisse, die ihn aussprechen lassen, dass er etwas dagegen hat, dass nahe Verwandte miteinander die Ehe schließen. Es hing also ein Unstern ein bisschen über ihm"
Katrin Hahnemann streut mit leichter Hand Grundsätzliches zum Verständnis der viktorianischen Zeitepoche ein. Sie mutet den jungen Lesern keinen ausführlichen Nachschlageteil am Ende des Buches zu. Fachliche Begriffe werden einfach, aber nicht simpel in dem Augenblick erklärt, in dem sie für das Verständnis erforderlich sind. Die giftgrünen Erläuterungen unterbrechen dabei nie den Erzählfluss. Genauso wie Darwin lässt sich die Autorin viel Zeit, um Schritt für Schritt seine Erkenntnisse zusammenzutragen. Gut nachvollziehbar nähert sie sich dann "der Stunde der Wahrheit", der Veröffentlichung der Evolutionstheorie.
"Ich glaube, das wichtigste ist und das war damals überhaupt noch nicht klar, dass wir tatsächlich in einer langen Verwandtschaftsgeschichte mit dem gesamten übrigen Lebensreich stehen, wir Menschen, und dass alle Lebewesen sich graduell auseinander hervorentwickelt haben - das ist ja eigentlich mit dem Wort Evolution gemeint ist, die Arten sind nicht einzeln erschaffen worden, womöglich von einem göttlichen Schöpfer, sondern aus einem im Dunkeln liegenden Anfang hat sich aufgrund verschiedener Vorgänge und Mechanismen eine große Vielfalt gebildet. Die andere Antwort ist, wie konnte es eigentlich zu der Auseinanderentwicklung und neuen Formenbildung kommen und da hat Darwin ja im Grunde eine Antwort gegeben, die heute nicht mehr ganz so einfach akzeptiert wird von der Biologie. Da war die Antwort, dass es immer zu viele Nachkommen gibt, Tiere, Pflanzen produzieren mehr Nachkommen als ihr Lebensraum füttern und ernähren kann und deswegen kämpfen alle Lebewesen miteinander um einen Platz und in diesem Kampf überleben nur die, die am besten für diesen Kampf ausgerüstet sind. Und diese Zusammenstellung, der Zufall, der neue Merkmale hervorbringt und diese strenge Selektion, die auswählt, das sieht mittlerweile ein bisschen anders aus. Der Aspekt bei Darwin, der stark auf die kulturellen Umstände des 19. Jahrhunderts zurückging, auf die viktorianische Gesellschaft, der zeichnet sich heutzutage als revidierbar und dringend revisionsbedürftig ab."
Aus der Idee heraus, dass man jungen Lesern Charles Darwin näher bringen könnte, indem man ihn während seiner ersten Begegnungen mit exotischen Lebewesen in fremden Ländern beobachtet, entstand das opulente Buch "Charles Darwin - Das Abenteuer der Evolution" von Alan Gibbons. Als Blickfang prangt auf der Mitte des großformatigen Bandes ein blau leuchtender Schmetterling in einem großen Kompass. Angelehnt an das Forschungstagebuch von Charles Darwin übernimmt der zehnjährige Schiffsjunge James die Erzählerrolle. Er berichtet von der legendären Reise mit dem Vermessungsschiff Beagle in der Zeit von 1832 bis 1835. Von den Kapverdischen Inseln geht es immer an der Seite Darwins bis nach Brasilien, hinunter nach Feuerland, rund ums Kap Hoorn bis zu die Galapagosinseln.
Buchausschnitt - Charles Darwin - Das Abenteuer der Evolution
Wir haben eine großartige Entdeckung gemacht. Beim Umrunden der Landspitze von Punta Alta stießen Kapitän Fitzroy und Mr. Darwin gestern auf zerbrochene Knochen im Kiesstrand. Es waren Fossilien! Heute legten mehrere Männer vorsichtig die Überreste seltsamer Tiere frei, die Mr. Darwin für eine Nashornart aus ferner Vorzeit hält. Wir hatten sie nirgendwo in der Pampa angetroffen. Die Geschichte der Natur muss länger und rätselhafter sein, als ich dachte.
Die kindgerechten, farbigen Illustrationen von Leo Brown, aber auch Abbildungen von Tieren und Fotos begleiten die lebendig geschriebenen Beobachtungen. Ein im Gegensatz dazu sehr sachlich trocken gehaltener Anhang informiert über Darwins weiteres Schaffen. Mag Darwin am 27. Dezember 1831 ohne einen genauen Lebensplan die HMS Beagle in Plymouth betreten haben, am Ende der Weltreise kehrte er als scharf analysierender Naturforscher zurück.
"Er war vielleicht ein Studienabbrecher, so ein bisschen ein Halb-Bohème, der auch verschiedene Sachen versucht hatte, der ja mal Theologe werden sollte, der es in Medizin versucht hat und nicht so richtig was wurde. Eigentlich ein Schwärmer, ein Träumer. Der dann diese gigantische Chance bekam auf die Reise zu gehen mit der Beagle aufgrund seiner sehr guten gesellschaftlichen Kontakte, aber vielleicht auch aufgrund eines freundlichen, einnehmenden Wesens, eines Gentleman und der dann diese Chance ja wirklich nutzte auf der Reise. Trotz seiner Bedenken, seiner Befürchtungen, seiner entsetzlichen Seekrankheit. Das hat er alles in Kauf genommen und mitgemacht und hat ja wie ein Wahnsinniger, wie ein Besessener Dinge gesammelt, zurückgeschickt, gedacht, gedacht, gedacht, der absolute Angelpunkt einer Existenz und dann vielleicht auch einer Epoche."
Der italienische Journalist Luca Novelli hatte vor vier Jahren die Gelegenheit, auf Darwins Spuren zu reisen. Von den Kapverdischen Inseln bis zu den Galapagosinseln erkundet er ganz aktuell in seinem Buch "Das Darwin-Projekt" knapp 180 Jahre später die Orte, die der junger Naturforscher einst kennen lernte. Novelli schreibt in der Ich-Form, schlüpft sozusagen in die Person des Darwin hinein und notiert tagebuchartig seine Beobachtungen und Erlebtes. An der Exkursion nehmen mehrere, fiktive Personen teil: ein Journalist, eine Klimatologin, ein Zeichner, ein Fotograf und zwei Kinder. Zum Glück muss Darwin, gerade seinem Sarkophag entstiegen, nicht die Tortour einer Seereise überstehen. Er nimmt das Flugzeug, fährt bei seinen Besichtigungstouren mit Bussen oder Autos und steigt auf Pferderücken. In Rückblenden erinnert sich Darwin an seine erste Reise und zieht Vergleiche:
Buchausschnitt - Das Darwin - Projekt
15. November, Puerto Beltrano
In nur wenigen Minuten bringt uns das Boot mit dem Außenmotor zur Landspitze Punta Alta. Doch in die kleine Bucht, in der einst die Beagle vor Anker lag, dürfen wir nicht hinein. Ein Motorboot der argentinischen Marine fordert uns auf, anzuhalten. Wir befinden uns in gesperrten Gewässern. Punta Alta ist nicht anders als Puerto Beltrano, die wichtigste Militärbasis in ganz Südamerika.
Der Darwin der Neuzeit wird mit Erdölförderanlagen, riesigen Wohnkomplexen aus Beton, Umweltverschmutzung, Naturschutzgebieten für die vor dem Aussterben bedrohten Arten, dem Internet und den Folgen des Klimawandels konfrontiert. Er unternimmt organisierte Touristentouren, wechselt schnell die Orte, an denen Darwin eher planlos die Natur erkundet hatte. Der Gedanke an biologische oder geologische Experimente oder gar Ausgrabungen kommt gar nicht erst auf.
Zu meiner Zeit machte man Jagd auf Wale, weil man aus ihren Barten Gestelle für Schirme und aus ihrem Fett Lampenöl herstellte. Heute bezahlen die Leute 50 Pesos, um den Walen beim Schwimmen zuzusehen.
Entstanden ist ein seitenstarkes, leicht abgegriffen wirkendes, kompaktes Tagebuch, versehen mit vielen Abbildungen. Liegt der Reiz der Darwinschen Beschreibungen in der Gegenüberstellung der zeitlich versetzten Reisen, so entsteht doch, trotz gründlicher Recherche, durch die gewählte Erzählform Novellis eine Schieflage. Darwins Begleiter fungieren als gut gebildete Stichwortgeber, was Land, Leute, Politik und Geschichte anbelangt und doch wirkt es so als sei der Ich-Erzähler der allwissende, kritische Reiseführer. Darwin schreibt und denkt wie ein Mensch unserer Tage. Innerlich setzt sich Darwin auf dieser zweiten Reise mit Robert Fitzroy, dem Kapitän der Beagle und seinem unbedingten Glauben an die Schöpfung Gottes auseinander. Hier vereinfacht Novelli zu sehr, denn Darwin selbst blieb, was den Glauben betraf, auf der Schwelle des Zweifels stehen. Leider fehlt ein Sachregister, denn viele Begriffe, wie zum Beispiel Kreationisten oder DNS-Analyse sollte man bei Lesern ab 11 Jahren nicht voraussetzen.
"Aber wichtig ist, glaube ich, einfach zu sehen, dass Darwin nicht der weise Gelehrte ist. Man kann ihn ja leicht so darstellen: Der weise Gelehrte, der das Geheimnis der Formenwerdung verstanden hat und irgendwie Einblick hat und in sich selbst ruht. So war das überhaupt nicht und die Theorie war nach wie vor bis zum Schluss umkämpft und Darwin war sich auch der Unzulänglichkeiten in seiner eigenen Theorie bewusst und ihm war auch klar, dass er unser Selbstverständnis im Kosmos da erschüttert hatte. Bis zu welchem Grade, das wird vielleicht erst heute klar. Insofern saß er auch immer auf einem metaphysischen Pulverfass und wenn man ein tief empfindender Mensch ist, dann geht das auch nicht spurlos an einem vorüber,"
meint Andreas Weber. Diesen Aspekt greift Maja Nielsen in ihrem Feature "Charles Darwin-Ein Forscher verändert die Welt" auf, auch nachzulesen im gleichnamigen Sachbuch. Charles Darwin erhält 1858 ein Schreiben vom jungen Wissenschaftler Alfred Wallace aus Südostasien, der in einem Artikel seine Ideen über die Entstehung des Lebens darlegt. Darwin entdeckt in dem kurzen Schreiben seine eigene Evolutionstheorie wieder, die er seit 20 Jahren unter Verschluss hält. Verzweifelt schreibt er an seinen Freund Lyell.
CD-Hörbuch - Charles Darwin
Ich würde mein Buch lieber verbrennen, als dass Wallace oder sonst wer denken sollte, dass ich mich schäbig aufführte. Meinst du, mir sind die Hände gebunden, jetzt wo er mir seine Zusammenfassung geschickt hat? Es ist mir äußerst unangenehm, dass ich dich mit solch einer albernen Geschichte belästigen muss, aber ich brauche jetzt dringend deinen Rat. Schick diesen Brief und auch deine Antwort an Hooker, denn dann hätte ich die Meinung meiner besten und liebsten Freunde.
Gemeinsam mit dem Schreiben von Wallace veröffentlichen seine Freunde ein Jahr später Charles Darwins Evolutionstheorie. Und auch hier zeigt sich, dass Charles Darwin ein echter Gentleman war und ein ehrlicher Mensch.
"In der Beziehung ist er ein echtes Vorbild für jeden Naturphilosophen oder Naturforscher überhaupt, dass er jeden Schwachpunkt offen gelegt hat. Er hat versucht die meisten zu durchdenken und auch zu entkräften, aber er hat sich durchaus angreifbar gemacht. Das ist ihm wirklich hoch anzurechnen, nicht die Haken verstecken, so wie das heute ja passiert, das nennt sich dann in der empirischen Wissenschaft Datenmassage. Man kann ja sehr gut interpretieren, so dass das einigermaßen okay aussieht, das Ergebnis passt dann zur These. So war das nicht. Dass Darwin an vielen Stellen manche Sachen falsch aufgefasst hat, liegt weniger an dieser Lauterkeit, als an dem allgemeinen geistigen Hintergrund des 19. Jahrhunderts, der ihn eben auch als Mensch des 19. Jahrhunderts bestimmte Dinge hat für selbstverständlich auffassen lassen, die das nicht unbedingt sind."
Maja Nielsen erzählt aber nicht nur im Spannungsfeld einer Abenteuergeschichte von Charles Darwins Leben und Forschen im 19. Jahrhundert, sondern stellt auch einen Evolutionsbiologen vor, der heute auf Darwins Spuren forscht und ein modernes Abenteuer erlebt. Konnte Darwin als vermögender Privatier lebenslang in aller Ruhe seiner Arbeit nachgehen, so müssen heute Forschungsergebnisse schnell veröffentlicht werden. Der Biologe Dr. Matthias Glaubrecht taucht im Auftrag der Humboldt Universität zu Berlin in Südostasien nach Süßwasserschnecken.
Buchausschnitt - Charles Darwin - Ein Forscher verändert die
Welt
Schnecken ernähren sich von Algen. Je nachdem, ob eine Schnecke auf Steinen, Holz oder Schlamm zu Hause ist, unterscheidet sich ihre Raspelzunge von den Zungen anderer Schneckenarten. Das ist ganz ähnlich wie bei Darwins Finken auf den Galapagosinseln, deren Schnäbel sich je nach Nahrungsangebot anders entwickelt haben. Die Frage, die die Evolutionsbiologen bei ihrer Arbeit mit den Schnecken besonders interessiert, ist eine Frage, auf die Darwin noch keine Antwort wusste, nämlich: Wie entstehen neue Arten? Und warum gibt es so viele?
Indem Maja Nielsen Authentisches von gestern und heute verbindet und auch zeigt wie viele Fragen der Wissenschaftler noch offen sind, bleibt sie auf dem neuesten Stand der Biologie. Sie zeigt in Darwins Fall den dynamischen Prozess, der wissenschaftlicher Arbeit zugrunde liegt und regt den Leser an weiterzudenken.
Charles Darwin hat die Natur verweltlicht, davon erzählen die vorgestellten Sachbücher allgemeinverständlich und sachkundig. Noch ein Tipp am Ende: Wer jungen Lesern gern Originaltexte von Charles Darwin in die Hand geben möchte, sollte zu "Die ungeheure Verschiedenartigkeit der Pflanzen und Tiere - Darwin für Kinder und Erwachsene" mit hintersinnigen Illustrationen von Hans Traxler greifen. Volker Mosbrugger hat mit Bedacht und Sorgfalt Briefe, Auszüge aus Darwins Reisetagebuch und aus seinem Hauptwerk zusammengestellt.
Literaturliste:
- Maja Nielsen: Charles Darwin - Ein Forscher verändert die Welt
Abenteuer & Wissen, Gerstenberg Verlag, 2009, 64 S., Euro 12.90
- Maja Nielsen: Charles Darwin - Ein Forscher verändert die Welt
Abenteuer & Wissen, 2009, headroom, 1CD, Euro 12.90
- Katrin Hahnemann: Charles Darwin - Wer ist das?, Bloomsbury Kinder & Jugendbuch, 2009, 96 S., Euro 12,90
- Alan Gibbons: Charles Darwin - Das Abenteuer der Evolution, Arena Verlag, 2009, 64 Seiten, Euro12,95
- Luca Novelli: Das Darwin - Projekt, Charles Darwins Reise um die Welt,
cbj, 2009, 352 S,. Euro 19,95
- Die ungeheure Verschiedenartigkeit der Pflanzen und Tiere - Darwin für Kinder und Erwachsene" , Ausgewählt von Volker Mosbrugger, Illustriert von Hans Traxler, Insel Verlag, 2008, 115 Seiten, Euro14,90
... schreibt Charles Darwin 1844 in einem Brief an seinen Freund Hooker. Als 15 Jahre später sein Hauptwerk "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" erscheint, löst diese spektakuläre Veröffentlichung eine Welle der Anerkennung, aber auch bittere Ablehnung aus. Darwin behauptet, die verschiedenen Lebewesen hätten sich, von einem gemeinsamen Urahn abstammend, im Laufe von Jahrmillionen entwickelt. Alle, einschließlich des Menschen, verdanken nicht Gott, sondern der Natur ihr Leben.
Lernen Schüler ab 13 Jahren die Evolutionstheorie im Unterricht kennen, so wenden sich doch alle Autoren der heute vorgestellten Bücher an jüngere Leser. Ein Grund mag sein, dass man über den wohl berühmtesten Biologen aller Zeiten und seine Entdeckungen, verständlich und vor allem sehr anschaulich erzählen kann - und das aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln: So reist der Italiener Luca Novelli auf Darwins Spuren nach Südamerika, die Berliner Autorin Katrin Hahnemann nähert sich in ihrer Biografie dem widersprüchlichen wie sympathischen Menschen, Maja Nielsen, bekannt durch ihre Sachbuchreihe Abenteuer & Wissen, schlägt eine Brücke zwischen der Evolutionsbiologie gestern und heute und der Engländer Alan Gibbons rückt in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen den Abenteurer Darwin.
"Ich glaube, man muss ihn als einen sehr vorsichtigen, sehr nachdenklichen Menschen sehen als jemanden, der wirklich viel gezweifelt hat, glaube ich auch, obwohl er ja mit seiner Theorie praktisch ein neues Weltbild eröffnet hat, ist er doch jemand, der sich mit den Beweisen, für all das was er gesagt hat, sich gar nicht zufrieden geben mochte, der immer noch mehr gesammelt hat. Auch jemand der an sich selbst gezweifelt hat und der viel litt und wenn man ihn auf dem berühmten Bild mit dem weißen Bart sieht, dann sieht man ihn als einen Mann, der eigentlich in sich selbst sich zurückgezogen hat. Er war auch ja sehr viel krank. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er an psychosomatischen Krankheiten litt und nicht an körperlichen Krankheiten, dass er an irgendetwas litt, am Leben litt vielleicht - insofern kein strahlender Held und kein weiser alter Mann der Wissenschaft, sondern ein Suchender, gebeugt unter der Last all dessen worüber er nachgedacht hat, was er gefunden hat, was er erlebt hat."
....meint der Buchautor und promovierte Biologe Andreas Weber.
"Ich denke, dass das zum großen Teil stimmt so, so sehe ich ihn auch. Ich glaube aber, schon, dass er auch andere Fassetten hatte, vor allem als junger Mensch. Diese Abenteuerreise für fünf Jahre lang quer durch die Kontinente, die macht man auch nur, wenn so eine Abenteuerlust und so einen Mut, so Unternehmungslust hat, die hatte er sicherlich damals. Und er hat eine große Faszination für die Natur gehabt, ich denke, dass das dem auch noch entgegensteht, diesem in sich gekehrten, denn er hat sein Leben der Natur gewidmet, kann man so sagen."
Katrin Hahnemann bringt gerade auch diese Seiten Darwins zur Geltung und erzählt chronologisch in ihrer Biografie "Charles Darwin - Wer ist das?" für Kinder ab 8 Jahren.
"Bei dieser Reihe, speziell beim Darwin-Buch geht es mir darum, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, eben herauszufinden, was ist das für ein besonderer Mensch, wie kam er dazu, wie wurde aus einem ganz unauffälligen Schüler jemand, der so etwas besonderes geleistet hat? Letztendlich will ich auch Kindern Mut machen sich treu zu bleiben und ihren Interessen, um irgendwie ihren Weg zu finden. Er war ja derjenige, der ein neues Weltbild für ein altes hingestellt hat und insofern hat er auf die Autoritäten gepfiffen im großen Stil."
Gerade Charles Darwins widersprüchliches Verhalten interessiert Katrin Hahnemann. Trotz seines strengen Vaters und vieler Einflüsse entwickelt Charles bereits als Kind sein unabhängiges Denken. Zum einen plagt ihn die schreckliche Angst vor der großen Weltreise, zum anderen ist er voller Neugier auf das Unbekannte. Wird diese fünfjährige Fahrt sein ganzes Dasein verändern, so setzt er nie wieder einen Fuß auf ein Schiff. Charles Darwin weiß, er hat mit seiner Evolutionstheorie eine außergewöhnliche Entdeckung gemacht und doch schweigt er zwei Jahrzehnte lang. Katrin Hahnemann bezieht ihren jungen Leser immer in ihre Überlegungen mit ein und nennt den großen Wissenschaftler einfach nur Charles. So entsteht keine Distanz, sondern Vertrautheit."
Er ist erst 33 Jahre alt. Aber mit Down House hat er den Ort gefunden, wo er für den Rest seines Lebens bleiben wird. Eigentlich ist es komisch, oder? Da hat Charles die ganze Welt bereist und jetzt will er nur noch seine Ruhe, zu Hause arbeiten und mit den Kindern spielen. Das ist doch ein Widerspruch, findest du nicht? Aber Charles hat eben diese ganz unterschiedlichen Eigenschaften einerseits den Mut, die Neugier und Abenteuerlust, aber auch die Sehnsucht nach Sicherheit, Bequemlichkeit und Ruhe.
Nur in kurzen Stichworten rafft die Autorin an bestimmten Stellen längere
Lebensabschnitte und Wissenswertes zusammen, um dann im Verlauf der Biografie wieder in die epische Breite zu gehen.
In den nächsten Monaten erlebt Charles viel Neues und Aufregendes: Er sieht eine Wasserhose. Er schwimmt in tropischen Lagunen. Er fängt einen Hai. Er reitet mit wilden Gauchos - das sind südamerikanische Cowboys - durch die Pampas, das flache, weite Grasland von Argentinien. Er kämpft gegen Banditen und wird in Schießereien verwickelt.
Katrin Hahnemann bauscht die abenteuerlichen Momente während der Weltreise, die Darwin mit 22 Jahren antrat, nie auf. Sie überlässt dem Leser viel Raum für eigene Fantasien und zitiert lieber aus Briefausschnitten oder erzählt überlieferte Anekdoten.
"Weil ich halt für Kinder schreibe, ich denke einfach, dass dieser konkrete Ansatz, das sind so Sachen, die Kinder interessieren, da denke ich, steigen die ein und das sind so Sachen, mit denen die etwas anfangen können. Das war mein Schwerpunkt, die Sachen herauszufinden, von denen ich denke, dass sie Kinder interessieren. Das bietet sich bei Darwin an, dieses Naturforschen. Es gibt ja sehr viele Kinder, die so kleine geheime Naturforscher sind und immer mit irgendwelchen Tierchen in der Hand rumlaufen oder Steinen, zum Beispiel diese Episode mit den Käfern, die er da gesammelt hat und wo er einen in den Mund gesteckt hat und die wieder ausgespuckt hat. Ich denke, da habe ich die Ekelausbrüche bis Lacher der Kinder relativ sicher, wenn ich das vorlese."
Katrin Hahnemann beschreibt Charles Darwin als zufriedenen Familienmenschen.
"Ich glaube, er war so etwas, wie jemand, der kein Streber ist, der eben auch ein bisschen Schabernack im Sinn hat. Vielleicht auch im Grunde genommen ein typischer Hochbegabter, dem die geraden Wege nicht so leicht fallen, der dann aber, wenn er aber in der Lage ist, seine eigenen Wege gehen zu dürfen, wirklich alles daran setzt, sie zu einem Ziel hin zu Ende zu gehen, das er vor sich sieht. Er war sicherlich kein angepasstes Kind. Aber andererseits war er auch doch jemand und das kann man heute wahrscheinlich gar nicht verstehen, wenn man heutige Familien von innen kennt, als Teil einer solchen, ein sehr respektvoller Sohn und Neffe, der alle wichtigen Entscheidungen mit seiner Familie, mit seinem Vater, seinem Onkel, der eine große Rolle spielte, besprochen und der niemals etwas getan hätte, wenn er nicht seinen Segen bekommen hätte. Insofern waren da auch ganz viel sehr starre autoritäre Regeln im Spiel, die hat er in einem metaphorischen und darüber hinausgehenden Sinn ja auch vollkommen ausgehebelt."
Charles Darwin ist ein guter Ehemann und liebevoller Vater von zehn Kindern. Seine Mädchen und Jungen sind glücklich, wenn sie ihm bei seinen Experimenten helfen dürfen.
"Er hat seine Kinder genau beobachtet und er war sehr präsent. Was für ein Komfort natürlich auch für diese Kinder. Das ist ja sozusagen fast so wie bei mir hier zu Hause, der Vater schreibend im Arbeitszimmer und immer letztlich ansprechbar und präsent. Nein, nein, das war für ihn extrem wichtig. Aber man weiß nicht so richtig, wie ein Kokon, den man sich baut, wie sehr der auch zur Falle wird."
Nach der großen Reise schloss Darwin die Ehe mit seiner Cousine Emma Wedgwood. Beide Familien waren über Generationen eng befreundet und heirateten auch untereinander. Darwins glückliches Familienleben wurde jedoch durch den Tod dreier Kinder getrübt. Seine Lieblingstochter Annie stirbt mit 10 Jahren, ohne dass die Ärzte eine Ursache finden können.
"Wir dürfen auch nicht vergessen, dass ja Emma Wegdewood seine Cousine war und er wusste als Evolutionstheoretiker aus erster Hand, dass das ein bisschen riskant ist. Und es gibt sogar von ihm Zeugnisse, die ihn aussprechen lassen, dass er etwas dagegen hat, dass nahe Verwandte miteinander die Ehe schließen. Es hing also ein Unstern ein bisschen über ihm"
Katrin Hahnemann streut mit leichter Hand Grundsätzliches zum Verständnis der viktorianischen Zeitepoche ein. Sie mutet den jungen Lesern keinen ausführlichen Nachschlageteil am Ende des Buches zu. Fachliche Begriffe werden einfach, aber nicht simpel in dem Augenblick erklärt, in dem sie für das Verständnis erforderlich sind. Die giftgrünen Erläuterungen unterbrechen dabei nie den Erzählfluss. Genauso wie Darwin lässt sich die Autorin viel Zeit, um Schritt für Schritt seine Erkenntnisse zusammenzutragen. Gut nachvollziehbar nähert sie sich dann "der Stunde der Wahrheit", der Veröffentlichung der Evolutionstheorie.
"Ich glaube, das wichtigste ist und das war damals überhaupt noch nicht klar, dass wir tatsächlich in einer langen Verwandtschaftsgeschichte mit dem gesamten übrigen Lebensreich stehen, wir Menschen, und dass alle Lebewesen sich graduell auseinander hervorentwickelt haben - das ist ja eigentlich mit dem Wort Evolution gemeint ist, die Arten sind nicht einzeln erschaffen worden, womöglich von einem göttlichen Schöpfer, sondern aus einem im Dunkeln liegenden Anfang hat sich aufgrund verschiedener Vorgänge und Mechanismen eine große Vielfalt gebildet. Die andere Antwort ist, wie konnte es eigentlich zu der Auseinanderentwicklung und neuen Formenbildung kommen und da hat Darwin ja im Grunde eine Antwort gegeben, die heute nicht mehr ganz so einfach akzeptiert wird von der Biologie. Da war die Antwort, dass es immer zu viele Nachkommen gibt, Tiere, Pflanzen produzieren mehr Nachkommen als ihr Lebensraum füttern und ernähren kann und deswegen kämpfen alle Lebewesen miteinander um einen Platz und in diesem Kampf überleben nur die, die am besten für diesen Kampf ausgerüstet sind. Und diese Zusammenstellung, der Zufall, der neue Merkmale hervorbringt und diese strenge Selektion, die auswählt, das sieht mittlerweile ein bisschen anders aus. Der Aspekt bei Darwin, der stark auf die kulturellen Umstände des 19. Jahrhunderts zurückging, auf die viktorianische Gesellschaft, der zeichnet sich heutzutage als revidierbar und dringend revisionsbedürftig ab."
Aus der Idee heraus, dass man jungen Lesern Charles Darwin näher bringen könnte, indem man ihn während seiner ersten Begegnungen mit exotischen Lebewesen in fremden Ländern beobachtet, entstand das opulente Buch "Charles Darwin - Das Abenteuer der Evolution" von Alan Gibbons. Als Blickfang prangt auf der Mitte des großformatigen Bandes ein blau leuchtender Schmetterling in einem großen Kompass. Angelehnt an das Forschungstagebuch von Charles Darwin übernimmt der zehnjährige Schiffsjunge James die Erzählerrolle. Er berichtet von der legendären Reise mit dem Vermessungsschiff Beagle in der Zeit von 1832 bis 1835. Von den Kapverdischen Inseln geht es immer an der Seite Darwins bis nach Brasilien, hinunter nach Feuerland, rund ums Kap Hoorn bis zu die Galapagosinseln.
Buchausschnitt - Charles Darwin - Das Abenteuer der Evolution
Wir haben eine großartige Entdeckung gemacht. Beim Umrunden der Landspitze von Punta Alta stießen Kapitän Fitzroy und Mr. Darwin gestern auf zerbrochene Knochen im Kiesstrand. Es waren Fossilien! Heute legten mehrere Männer vorsichtig die Überreste seltsamer Tiere frei, die Mr. Darwin für eine Nashornart aus ferner Vorzeit hält. Wir hatten sie nirgendwo in der Pampa angetroffen. Die Geschichte der Natur muss länger und rätselhafter sein, als ich dachte.
Die kindgerechten, farbigen Illustrationen von Leo Brown, aber auch Abbildungen von Tieren und Fotos begleiten die lebendig geschriebenen Beobachtungen. Ein im Gegensatz dazu sehr sachlich trocken gehaltener Anhang informiert über Darwins weiteres Schaffen. Mag Darwin am 27. Dezember 1831 ohne einen genauen Lebensplan die HMS Beagle in Plymouth betreten haben, am Ende der Weltreise kehrte er als scharf analysierender Naturforscher zurück.
"Er war vielleicht ein Studienabbrecher, so ein bisschen ein Halb-Bohème, der auch verschiedene Sachen versucht hatte, der ja mal Theologe werden sollte, der es in Medizin versucht hat und nicht so richtig was wurde. Eigentlich ein Schwärmer, ein Träumer. Der dann diese gigantische Chance bekam auf die Reise zu gehen mit der Beagle aufgrund seiner sehr guten gesellschaftlichen Kontakte, aber vielleicht auch aufgrund eines freundlichen, einnehmenden Wesens, eines Gentleman und der dann diese Chance ja wirklich nutzte auf der Reise. Trotz seiner Bedenken, seiner Befürchtungen, seiner entsetzlichen Seekrankheit. Das hat er alles in Kauf genommen und mitgemacht und hat ja wie ein Wahnsinniger, wie ein Besessener Dinge gesammelt, zurückgeschickt, gedacht, gedacht, gedacht, der absolute Angelpunkt einer Existenz und dann vielleicht auch einer Epoche."
Der italienische Journalist Luca Novelli hatte vor vier Jahren die Gelegenheit, auf Darwins Spuren zu reisen. Von den Kapverdischen Inseln bis zu den Galapagosinseln erkundet er ganz aktuell in seinem Buch "Das Darwin-Projekt" knapp 180 Jahre später die Orte, die der junger Naturforscher einst kennen lernte. Novelli schreibt in der Ich-Form, schlüpft sozusagen in die Person des Darwin hinein und notiert tagebuchartig seine Beobachtungen und Erlebtes. An der Exkursion nehmen mehrere, fiktive Personen teil: ein Journalist, eine Klimatologin, ein Zeichner, ein Fotograf und zwei Kinder. Zum Glück muss Darwin, gerade seinem Sarkophag entstiegen, nicht die Tortour einer Seereise überstehen. Er nimmt das Flugzeug, fährt bei seinen Besichtigungstouren mit Bussen oder Autos und steigt auf Pferderücken. In Rückblenden erinnert sich Darwin an seine erste Reise und zieht Vergleiche:
Buchausschnitt - Das Darwin - Projekt
15. November, Puerto Beltrano
In nur wenigen Minuten bringt uns das Boot mit dem Außenmotor zur Landspitze Punta Alta. Doch in die kleine Bucht, in der einst die Beagle vor Anker lag, dürfen wir nicht hinein. Ein Motorboot der argentinischen Marine fordert uns auf, anzuhalten. Wir befinden uns in gesperrten Gewässern. Punta Alta ist nicht anders als Puerto Beltrano, die wichtigste Militärbasis in ganz Südamerika.
Der Darwin der Neuzeit wird mit Erdölförderanlagen, riesigen Wohnkomplexen aus Beton, Umweltverschmutzung, Naturschutzgebieten für die vor dem Aussterben bedrohten Arten, dem Internet und den Folgen des Klimawandels konfrontiert. Er unternimmt organisierte Touristentouren, wechselt schnell die Orte, an denen Darwin eher planlos die Natur erkundet hatte. Der Gedanke an biologische oder geologische Experimente oder gar Ausgrabungen kommt gar nicht erst auf.
Zu meiner Zeit machte man Jagd auf Wale, weil man aus ihren Barten Gestelle für Schirme und aus ihrem Fett Lampenöl herstellte. Heute bezahlen die Leute 50 Pesos, um den Walen beim Schwimmen zuzusehen.
Entstanden ist ein seitenstarkes, leicht abgegriffen wirkendes, kompaktes Tagebuch, versehen mit vielen Abbildungen. Liegt der Reiz der Darwinschen Beschreibungen in der Gegenüberstellung der zeitlich versetzten Reisen, so entsteht doch, trotz gründlicher Recherche, durch die gewählte Erzählform Novellis eine Schieflage. Darwins Begleiter fungieren als gut gebildete Stichwortgeber, was Land, Leute, Politik und Geschichte anbelangt und doch wirkt es so als sei der Ich-Erzähler der allwissende, kritische Reiseführer. Darwin schreibt und denkt wie ein Mensch unserer Tage. Innerlich setzt sich Darwin auf dieser zweiten Reise mit Robert Fitzroy, dem Kapitän der Beagle und seinem unbedingten Glauben an die Schöpfung Gottes auseinander. Hier vereinfacht Novelli zu sehr, denn Darwin selbst blieb, was den Glauben betraf, auf der Schwelle des Zweifels stehen. Leider fehlt ein Sachregister, denn viele Begriffe, wie zum Beispiel Kreationisten oder DNS-Analyse sollte man bei Lesern ab 11 Jahren nicht voraussetzen.
"Aber wichtig ist, glaube ich, einfach zu sehen, dass Darwin nicht der weise Gelehrte ist. Man kann ihn ja leicht so darstellen: Der weise Gelehrte, der das Geheimnis der Formenwerdung verstanden hat und irgendwie Einblick hat und in sich selbst ruht. So war das überhaupt nicht und die Theorie war nach wie vor bis zum Schluss umkämpft und Darwin war sich auch der Unzulänglichkeiten in seiner eigenen Theorie bewusst und ihm war auch klar, dass er unser Selbstverständnis im Kosmos da erschüttert hatte. Bis zu welchem Grade, das wird vielleicht erst heute klar. Insofern saß er auch immer auf einem metaphysischen Pulverfass und wenn man ein tief empfindender Mensch ist, dann geht das auch nicht spurlos an einem vorüber,"
meint Andreas Weber. Diesen Aspekt greift Maja Nielsen in ihrem Feature "Charles Darwin-Ein Forscher verändert die Welt" auf, auch nachzulesen im gleichnamigen Sachbuch. Charles Darwin erhält 1858 ein Schreiben vom jungen Wissenschaftler Alfred Wallace aus Südostasien, der in einem Artikel seine Ideen über die Entstehung des Lebens darlegt. Darwin entdeckt in dem kurzen Schreiben seine eigene Evolutionstheorie wieder, die er seit 20 Jahren unter Verschluss hält. Verzweifelt schreibt er an seinen Freund Lyell.
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Ich würde mein Buch lieber verbrennen, als dass Wallace oder sonst wer denken sollte, dass ich mich schäbig aufführte. Meinst du, mir sind die Hände gebunden, jetzt wo er mir seine Zusammenfassung geschickt hat? Es ist mir äußerst unangenehm, dass ich dich mit solch einer albernen Geschichte belästigen muss, aber ich brauche jetzt dringend deinen Rat. Schick diesen Brief und auch deine Antwort an Hooker, denn dann hätte ich die Meinung meiner besten und liebsten Freunde.
Gemeinsam mit dem Schreiben von Wallace veröffentlichen seine Freunde ein Jahr später Charles Darwins Evolutionstheorie. Und auch hier zeigt sich, dass Charles Darwin ein echter Gentleman war und ein ehrlicher Mensch.
"In der Beziehung ist er ein echtes Vorbild für jeden Naturphilosophen oder Naturforscher überhaupt, dass er jeden Schwachpunkt offen gelegt hat. Er hat versucht die meisten zu durchdenken und auch zu entkräften, aber er hat sich durchaus angreifbar gemacht. Das ist ihm wirklich hoch anzurechnen, nicht die Haken verstecken, so wie das heute ja passiert, das nennt sich dann in der empirischen Wissenschaft Datenmassage. Man kann ja sehr gut interpretieren, so dass das einigermaßen okay aussieht, das Ergebnis passt dann zur These. So war das nicht. Dass Darwin an vielen Stellen manche Sachen falsch aufgefasst hat, liegt weniger an dieser Lauterkeit, als an dem allgemeinen geistigen Hintergrund des 19. Jahrhunderts, der ihn eben auch als Mensch des 19. Jahrhunderts bestimmte Dinge hat für selbstverständlich auffassen lassen, die das nicht unbedingt sind."
Maja Nielsen erzählt aber nicht nur im Spannungsfeld einer Abenteuergeschichte von Charles Darwins Leben und Forschen im 19. Jahrhundert, sondern stellt auch einen Evolutionsbiologen vor, der heute auf Darwins Spuren forscht und ein modernes Abenteuer erlebt. Konnte Darwin als vermögender Privatier lebenslang in aller Ruhe seiner Arbeit nachgehen, so müssen heute Forschungsergebnisse schnell veröffentlicht werden. Der Biologe Dr. Matthias Glaubrecht taucht im Auftrag der Humboldt Universität zu Berlin in Südostasien nach Süßwasserschnecken.
Buchausschnitt - Charles Darwin - Ein Forscher verändert die
Welt
Schnecken ernähren sich von Algen. Je nachdem, ob eine Schnecke auf Steinen, Holz oder Schlamm zu Hause ist, unterscheidet sich ihre Raspelzunge von den Zungen anderer Schneckenarten. Das ist ganz ähnlich wie bei Darwins Finken auf den Galapagosinseln, deren Schnäbel sich je nach Nahrungsangebot anders entwickelt haben. Die Frage, die die Evolutionsbiologen bei ihrer Arbeit mit den Schnecken besonders interessiert, ist eine Frage, auf die Darwin noch keine Antwort wusste, nämlich: Wie entstehen neue Arten? Und warum gibt es so viele?
Indem Maja Nielsen Authentisches von gestern und heute verbindet und auch zeigt wie viele Fragen der Wissenschaftler noch offen sind, bleibt sie auf dem neuesten Stand der Biologie. Sie zeigt in Darwins Fall den dynamischen Prozess, der wissenschaftlicher Arbeit zugrunde liegt und regt den Leser an weiterzudenken.
Charles Darwin hat die Natur verweltlicht, davon erzählen die vorgestellten Sachbücher allgemeinverständlich und sachkundig. Noch ein Tipp am Ende: Wer jungen Lesern gern Originaltexte von Charles Darwin in die Hand geben möchte, sollte zu "Die ungeheure Verschiedenartigkeit der Pflanzen und Tiere - Darwin für Kinder und Erwachsene" mit hintersinnigen Illustrationen von Hans Traxler greifen. Volker Mosbrugger hat mit Bedacht und Sorgfalt Briefe, Auszüge aus Darwins Reisetagebuch und aus seinem Hauptwerk zusammengestellt.
Literaturliste:
- Maja Nielsen: Charles Darwin - Ein Forscher verändert die Welt
Abenteuer & Wissen, Gerstenberg Verlag, 2009, 64 S., Euro 12.90
- Maja Nielsen: Charles Darwin - Ein Forscher verändert die Welt
Abenteuer & Wissen, 2009, headroom, 1CD, Euro 12.90
- Katrin Hahnemann: Charles Darwin - Wer ist das?, Bloomsbury Kinder & Jugendbuch, 2009, 96 S., Euro 12,90
- Alan Gibbons: Charles Darwin - Das Abenteuer der Evolution, Arena Verlag, 2009, 64 Seiten, Euro12,95
- Luca Novelli: Das Darwin - Projekt, Charles Darwins Reise um die Welt,
cbj, 2009, 352 S,. Euro 19,95
- Die ungeheure Verschiedenartigkeit der Pflanzen und Tiere - Darwin für Kinder und Erwachsene" , Ausgewählt von Volker Mosbrugger, Illustriert von Hans Traxler, Insel Verlag, 2008, 115 Seiten, Euro14,90