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Einflussreiche Schmarotzer

Ökologie. – Parasiten haben etwas Unerwünschtes an sich. Bestenfalls sind sie lästig schlimmstenfalls tödlich. Dass sie eine entscheidende Rolle im Ökosystem spielen und einen beträchtlichen Anteil an der Biomasse ausmachen, haben jetzt US-Ökologen entdeckt und in der aktuellen "Nature" publiziert.

Von Michael Stang |
    Armand Kuris amüsiert sich über ein Paradoxon. Der Ökologe von der University of California in Santa Barbara widerlegt zumindest in ökologischer Hinsicht die Großen der Physik. Kuris:

    "”Wir haben ein ungewöhnliches Problem lösen können. Parasiten sind klein und leben versteckt, so dass man sie kaum wahrnimmt. Dennoch haben sie einen enormen Einfluss auf die Umwelt. Wenn etwas so winzig ist – viel kleiner als sein Wirt - kann es normalerweise keinen großen Einfluss haben. Das ist einfache Physik, es gibt einen begrenzten Einfluss zwischen Masse und Effekt. Das stimmt jedoch nicht immer. In dieser Hinsicht liegen Newton und Einstein falsch.”"

    Dass winzige Parasiten auch großen Säugetieren zu schaffen machen, kennt man von Läuseproblemen im Kindergarten oder Zeckenbissen nach einem Waldspaziergang. Um herauszubekommen, welche und wie viele Parasiten in einem Ökosystem leben und welchen Einfluss sie darauf haben, wollten die amerikanischen Forscher an drei Schauplätzen herausfinden. In drei Trichtermündungen an der Pazifikküste Mexikos und den USA kämmten die Teams um Armand Kuris knapp 1000 Hektar Fläche durch und sammelten alles Lebendige ein, um es im Labor nach Parasiten zu durchsuchen. Kuris:

    "”Auf diese Weise wollten wir die Biomasse der Parasiten exakt bestimmen. Ziel war, alle dort lebenden Parasiten zu finden und zu klassifizieren, sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren. Nun können wir zum ersten Mal den tatsächlichen Einfluss einer Flächeninfektion auf ein ganzes Ökosystem untersuchen, sowohl hinsichtlich der Qualität als auch der Quantität der Infektionskrankheiten. Wir wollten einfach wissen, ob sie nun großen Einfluss haben oder - wie viele behaupten - kaum eine Rolle spielen.”"

    Die Ergebnisse der Fleißarbeit: in mehr als 17.000 untersuchten Tieren und Pflanzen stießen die Forscher auf 150 verschiedene Parasiten, darunter rund 30 bislang unbekannte Arten. Einige Organismen waren von verschiedenen Schmarotzern und in unterschiedlichen Stadien befallen. Am härtesten traf es die kalifornischen Hornschnecken, die von Parasiten nicht nur kastriert wurden, sondern auch zu bis zu 40 Prozent aus Parasiten bestanden. Damit übertrifft der Anteil der Schmarotzer alle bisherigen Hochrechnungen bei weitem. Kuris:

    "”Offensichtlich macht die Masse der Parasiten zumindest in den drei untersuchten Ökosystemen einen Riesenanteil aus, das heißt sie verbrauchen von allem Organismen die meisten Ressourcen und haben sogar mehr Biomasse als alle großen Raubtiere zusammen.""

    Die Biomasse von Saugwürmern etwa machte je nach Gebiet das Drei- bis Neunfache der dort lebenden Küstenvögel aus. Parasiten sind damit ein bislang erheblich unterschätzter Faktor in ökologischen Studien. Ihren Einfluss auf ein Ökosystem kann man daher getrost als Motor der Evolution bezeichnen, sagt Kuris.

    "”Wir wussten ja nur, dass es mehr sein musste als alle bislang dachten, aber wir hatten wirklich keine Ahnung, keinen blassen Schimmer von der Realität. Man kann diese Erkenntnis mit dem ersten Blick auf die Rückseite des Mondes vergleichen. Jeder wusste, dass es diese Seite gibt, nur keiner konnte sagen, wie sie tatsächlich aussieht. Was wir aus unseren Ergebnissen lernen müssen ist, dass bei allen ökologischen Studien infektiöse Prozesse unter keinen Umständen ignoriert werden dürfen.""

    "Massenhafte Infektionskrankheiten", das klingt in vielen Ohren beunruhigend, letztlich ist es aber ein wichtiger Teil des Lebens, der bislang einfach unterschätzt wurde. Kuris:

    "”If you are thinking diseases always are somehow bad; its bad for the individual, that’s for sure, but in terms of how the world works its necessary part.”"

    Normalweise denke man ja immer, sagt Armand Kuris, dass Krankheiten etwas Schlechtes sind. Für den Einzelnen stimmt das schon, aber für den Lauf des Lebens ist es ein notwendiges Übel.