Wann ist eine Ratte ihren Jungen eine gute Mutter? Wenn sie die Neugeborenen besonders innig und ausdauernd ableckt. Denn das sorgt beim Nachwuchs für eine entspanntere Reaktion in Stresssituationen, und zwar gleich für den Rest des Lebens. Wie hier eine kurzfristige Ursache zur langfristigen Wirkung führt, das hatten Neurologen in den letzten Jahren Schritt für Schritt genauer herausbekommen. Unter ihnen auch Michael Meaney von der McGill University im kanadischen Montreal:
"Wir hatten bei den Ratten festgestellt, dass das Verhalten des Muttertiers in den ersten Wochen, vor allem das Lecken, beim Nachwuchs eine Reihe von chemischen Signalen in den Gehirnzellen im Hippocampus aktiviert. Und diese chemischen Signale beeinflussen, was wir die "epigenetischen Marker" nennen: chemische Schalter, die in bestimmten Bereichen an die DNA angeheftet sind. Eine solche "epigenetische Modifikation" verändert also nicht die DNA-Sequenz selbst, wohl aber das chemische Umfeld, in dem die DNA verarbeitet wird."
Und damit die Genexpression: die Art und Weise, ob und wie die Erbinformation etwa bei der Produktion von Proteinen umgesetzt wird. Bei den Ratten jedenfalls wird ein bestimmtes Gen, das bei der Reaktion auf Stress eine wichtige Rolle spielt, durch die mütterliche Zuwendung und die anschließende chemische Signalkaskade überhaupt erst richtig angeschaltet. Lässt sich ein solcher Zusammenhang auch beim Menschen nachweisen? Die kanadischen Neurologen sezierten dazu die Gehirne von 36 kurz vorher Verstorbenen, die sich nach ihrer Todesart und ihrer Kindheitsgeschichte in drei Gruppen aufteilten: 24 hatten Selbstmord begangen, zwölf waren anderweitig ums Leben gekommen. Von den Selbstmördern wiederum war die Hälfte in der Kindheit körperlichem oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt gewesen. Das Ergebnis der Hirnsektion: Nur genau bei dieser einen Gruppe, den Selbstmördern mit Missbrauchs-Geschichte, stand ein großer Teil der epigenetischen Signalschalter in den Hippocampus-Zellen auf "Stopp"; das Stressbewältigungs-Gen konnte somit nur auf Sparflamme arbeiten. Der Kausalzusammenhang lässt sich naturgemäß nicht so einfach feststellen wie bei den Ratten:
"In der klinischen Praxis glauben viele Leute, dass die Abwesenheit eines hinwendungsvollen Elternverhaltens wahrscheinlich ebenso viel Schaden anrichtet wie körperliche oder sexuelle Gewalt, vielleicht sogar mehr. Alles, was wir im Moment sagen können, ist: Bei den Personen mit Missbrauchserfahrung, die ohnehin mit weiteren Veränderungen im Eltern-Kind-Verhältnis einhergeht, war auch die epigenetische Veränderung vorhanden. Es kann also der Missbrauch selbst sein, es kann aber auch die Abwesenheit von positiven Formen der elterlichen Fürsorge sein, das ist ein sehr wichtiger Punkt."
Der von Meaneys Team untersuchte Regelkreis der Stressbewältigung ist natürlich bei Weitem nicht der Einzige, der durch soziale Interaktion oder Umwelteinflüsse epigenetisch modifiziert wird. Und obwohl "Modifikation" ja nicht "Mutation" bedeutet: Bestimmte epigenetische Schalterstellungen können sogar vererbt werden, das wurde in Tierversuchen bereits nachgewiesen. Hier ist das aber höchstwahrscheinlich nicht der Fall: Die Stressgen-Modifikation findet nur in einigen sehr isolierten Gehirnzellen statt, und das auch erst, nachdem die für die Erbgutweitergabe zuständigen Keimzellen bereits voll entwickelt sind, erläutert Michael Meaney.
"Einige unserer Kollegen erforschen nun, wie breit die Veränderungen im Genom verteilt sind, andere, ob es vielleicht möglich ist, mit neuen Medikamenten die Auswirkungen der Veränderungen zu beeinflussen. Aber wir in unserem Labor fragen uns vor allem, ob epigenetische Modifikationen auch noch im späteren Lebensverlauf stattfinden können und ob sich bereits eingetretene wieder rückgängig machen lassen."
"Wir hatten bei den Ratten festgestellt, dass das Verhalten des Muttertiers in den ersten Wochen, vor allem das Lecken, beim Nachwuchs eine Reihe von chemischen Signalen in den Gehirnzellen im Hippocampus aktiviert. Und diese chemischen Signale beeinflussen, was wir die "epigenetischen Marker" nennen: chemische Schalter, die in bestimmten Bereichen an die DNA angeheftet sind. Eine solche "epigenetische Modifikation" verändert also nicht die DNA-Sequenz selbst, wohl aber das chemische Umfeld, in dem die DNA verarbeitet wird."
Und damit die Genexpression: die Art und Weise, ob und wie die Erbinformation etwa bei der Produktion von Proteinen umgesetzt wird. Bei den Ratten jedenfalls wird ein bestimmtes Gen, das bei der Reaktion auf Stress eine wichtige Rolle spielt, durch die mütterliche Zuwendung und die anschließende chemische Signalkaskade überhaupt erst richtig angeschaltet. Lässt sich ein solcher Zusammenhang auch beim Menschen nachweisen? Die kanadischen Neurologen sezierten dazu die Gehirne von 36 kurz vorher Verstorbenen, die sich nach ihrer Todesart und ihrer Kindheitsgeschichte in drei Gruppen aufteilten: 24 hatten Selbstmord begangen, zwölf waren anderweitig ums Leben gekommen. Von den Selbstmördern wiederum war die Hälfte in der Kindheit körperlichem oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt gewesen. Das Ergebnis der Hirnsektion: Nur genau bei dieser einen Gruppe, den Selbstmördern mit Missbrauchs-Geschichte, stand ein großer Teil der epigenetischen Signalschalter in den Hippocampus-Zellen auf "Stopp"; das Stressbewältigungs-Gen konnte somit nur auf Sparflamme arbeiten. Der Kausalzusammenhang lässt sich naturgemäß nicht so einfach feststellen wie bei den Ratten:
"In der klinischen Praxis glauben viele Leute, dass die Abwesenheit eines hinwendungsvollen Elternverhaltens wahrscheinlich ebenso viel Schaden anrichtet wie körperliche oder sexuelle Gewalt, vielleicht sogar mehr. Alles, was wir im Moment sagen können, ist: Bei den Personen mit Missbrauchserfahrung, die ohnehin mit weiteren Veränderungen im Eltern-Kind-Verhältnis einhergeht, war auch die epigenetische Veränderung vorhanden. Es kann also der Missbrauch selbst sein, es kann aber auch die Abwesenheit von positiven Formen der elterlichen Fürsorge sein, das ist ein sehr wichtiger Punkt."
Der von Meaneys Team untersuchte Regelkreis der Stressbewältigung ist natürlich bei Weitem nicht der Einzige, der durch soziale Interaktion oder Umwelteinflüsse epigenetisch modifiziert wird. Und obwohl "Modifikation" ja nicht "Mutation" bedeutet: Bestimmte epigenetische Schalterstellungen können sogar vererbt werden, das wurde in Tierversuchen bereits nachgewiesen. Hier ist das aber höchstwahrscheinlich nicht der Fall: Die Stressgen-Modifikation findet nur in einigen sehr isolierten Gehirnzellen statt, und das auch erst, nachdem die für die Erbgutweitergabe zuständigen Keimzellen bereits voll entwickelt sind, erläutert Michael Meaney.
"Einige unserer Kollegen erforschen nun, wie breit die Veränderungen im Genom verteilt sind, andere, ob es vielleicht möglich ist, mit neuen Medikamenten die Auswirkungen der Veränderungen zu beeinflussen. Aber wir in unserem Labor fragen uns vor allem, ob epigenetische Modifikationen auch noch im späteren Lebensverlauf stattfinden können und ob sich bereits eingetretene wieder rückgängig machen lassen."