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Eingriffe in die Hirnfunktionen

Medizin. – Suchterregende Stoffe sind heimtückisch. Ob Drogen, Alkohol oder Nikotin, sie verändern die Strukturen im Gehirn und sorgen dadurch für die Abhängigkeit, die den Kampf gegen den Stoff so schwierig macht. Dieser Prozess scheint unabhängig von der Droge universell abzulaufen. Neurophysiologen informierten jetzt auf einem Kongress des Norddeutschen Suchtforschungsverbundes in Hannover.

    Suchtmittel aktivieren das Belohnungssystem des Gehirns. Bestimmte Nervenzellen im Mittelhirn schütten unter Drogeneinfluss mehr vom Botenstoff Dopamin aus, der dann andere Gehirnregionen aktiviert. Dabei beschränken sich die Suchtmittel nicht auf die Ingangsetzung dieses Systems, sondern sie verändern das Gehirn auch noch derart, dass es besonders auf die Droge anspricht. Dieser Mechanismus heißt in Fachkreisen Sensitivierung. Professor Werner Schmidt von der Universität Tübingen erklärt den Begriff: "Darunter versteht man das Phänomen, dass ein und derselbe Stimulus zu einer verstärkten biochemischen Reaktionen im Gehirn führt." Die Umwandlung, die im Gehirn dabei vor sich geht, ist ausgesprochen stabil. Die Neuroforscher fürchten, dass genau eine solche ziemlich dauerhafte Umstellung des Gehirns die Grundlage einer Suchtentwicklung bildet.

    In Tierversuchen fand man heraus, dass Ratten, die nur wenige Tage Kontakt mit bestimmten Drogen hatten, auch Monate später noch zu diesen Stoffen griffen. Schon der Anblick des Suchtmittel scheint dabei beim Abhängigen eine ganze Kaskade von neurologischen Prozessen auszulösen. Andreas Heinz, Psychiatrie-Professor an der Berliner Charité hat das an Alkohol-Kranken mit dem Positronen-Emissionstromographen untersucht: "Man sieht, dass die Hirnregionen, die viel mit Motivation zu tun haben, anspringen. Sie sehen auch, dass visuelle Zentren Gedächtnisareale anspringen, aber entscheidend ist offenbar, ob Hirnzentren anspringen, die etwas mit der Motivation zu tun haben, mir jetzt diese Substanz zu beschaffen." Diese Motivationsareale sind oft sehr alte Hirnsysteme, die nicht in der Hirnrinde, sondern in älteren Gehirnteilen, etwa den Basalganglien, liegen. "Und deren Aktivität steht leider in enger Beziehung zum Rückfallrisiko", so Heinz.

    Offenbar spielt auch die soziale Situation des Betreffenden eine Rolle. Einsamkeit und Isolation ebnen den Weg zur Sucht. Andreas Heinz: "Man kann das bei Tieren sehr gut nachvollziehen, die sozial isoliert aufwachsen oder gehalten werden. Die haben eine Vielzahl von Störungen im Hirnbotenstoffwechsel." Vor allem zwei Stoffwechselkreisläufe, der so genannte serotonerge und der so genannte dopaminerge spielen dabei eine wichtige Rolle. Drogen könnten in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, um zu beruhigen oder negative Gefühlszustände auszugleichen.

    [Quelle: Michael Engel]