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Einsatz in Kiew
Polizei auf dem Rückzug

Die prowestlichen Demonstranten haben die Polizei in Kiew zum Rückzug gezwungen. Die Beamten hatten zuvor weitere Barrikaden geräumt. Unterdessen ist der ukrainische Regierungschef mit einer ungewöhnlichen Forderung an die EU herangetreten.

11.12.2013
    Polizisten vor dem Kiewer Rathaus
    Polizisten vor dem Kiewer Rathaus (dpa / picture-alliance / Roman Pilipey)
    Nach stundenlanger Konfrontation mit Demonstranten hat sich die Polizei am Mittwochvormittag zurückgezogen. Busse transportierten die Beamten unter dem Jubel der Demonstranten ab. Sie hatten die Sicherheitskräfte zuvor unablässig ausgepfiffen, wie unsere Korrespondentin Sabine Adler aus Kiew berichtet. Abgezogen wurde auch die Polizei vor dem Rathaus, in dem seit Wochen Protestierende ausharren. Oppositionspolitiker Arseni Jazenjuk sprach von einem "großen Sieg". Der ukrainische Innenminister Witali Sachartschenko sagte: "Ich möchte alle beruhigen - der Maidan wird nicht erstürmt." Es werde keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten geben, fügte Regierungschef Mykola Asarow hinzu.
    Polizei räumt Barrikaden
    Einheiten der Polizei hatten in der Nacht laut Medienberichten eine Kette aus oppositionellen Abgeordneten auf der Institutsstraße im Zentrum der Hauptstadt der Ukraine durchbrochen. Die Polizisten räumten Barrikaden am Bürgermeisteramt und versuchten laut der Agentur Reuters, das von Demonstranten besetzte Rathaus zu stürmen. Bei eisiger Kälte wehrten sich einige Protestierende, indem sie die Uniformierten mit Wasser besprühten. Die Nachrichtenagentur AFP berichtet vom Einsatz von Schlagstöcken gegen Demonstranten in der Umgebung des Rathauses. Die Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew, Ursula Koch-Laugwitz sagte im Deutschlandfunk, sie sei "hin- und hergerissen", ob man von einer Eskalation sprechen könne.
    Zu größeren gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der mit Helmen und Schilden ausgerüsteten Polizisten kam es aber offenbar nicht. Es gibt Berichte von elf Festnahmen sowie mehreren Verletzten. Die Polizei erklärte, Ziel des Einsatzes sei nicht die Räumung des Unabhängigkeitsplatzes "Maidan" gewesen. Lediglich eine quer über den Platz verlaufende wichtige Hauptstraße solle wieder freigemacht werden. Um 1 Uhr Ortszeit begann der Polizeieinsatz. Zuvor hatte ein Gericht entschieden, dass weitere Kundgebungen im Zentrum Kiews untersagt werden.
    Opposition setzt Proteste fort
    Trotz des zunehmenden Drucks der Staatsmacht will die ukrainische Opposition in ihrem Kampf um einen proeuropäischen Kurs ihres Landes nicht aufgeben. Auf einer Bühne in der Mitte des rief eine Sängerin die Polizisten dazu auf, die ihnen gegebenen Befehle nicht zu befolgen. "Das werden wir nicht verzeihen. Morgen wird es hier Millionen von Menschen geben, und das Regime wird fallen", sagte Arseni Jazenjuk von der Batkiwtschina-Partei (Vaterlandspartei) der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko.
    Der Oppositionspolitiker Witali Klitschko rief die Bewohner von Kiew auf, sich zu erheben: "Nur gemeinsam können wir das Recht erkämpfen, in einem freien Land zu leben." Die Kyiv Post berichtet auf ihrer Internetseite, dass Menschen in sozialen Netzwerken kostenlose Fahrten zu dem zentralen Platz anbieten, um die Proteste aufrecht zu erhalten.
    Ministerpräsident Asarow stellt Bedingungen an die EU
    Derweil forderte Ministerpräsident Mykola Asarow von der Europäischen Union Hilfskredite im Umfang von etwa 20 Milliarden Euro. Mit Blick auf das gestoppte Assoziierungsabkommen sagte er, "diese Angelegenheit" könne "durch das Angebot von finanzieller Unterstützung an die Ukraine gelöst werden". Die Bundesregierung sieht in der Forderung ein Ablenkungsmanöver. Vize-Regierungssprecher Georg Streiter sagte in Berlin, "mit dieser Forderung scheint die ukrainische Führung von ihrer alleinigen Verantwortung für die aktuelle und politische Lage ablenken zu wollen". Streiter rief die ukrainische Regierung zu Gesprächen mit den Demonstranten auf, die für eine engere Bindung an Europa eintreten.
    Präsident Viktor Janukowitsch hatte zuvor erneut klargemacht, dass es mit ihm keine Annäherung an die Europäische Union geben werde. Janukowitsch sagte, ein weitreichendes Abkommen mit der Europäischen Union gefährde die wichtige Landwirtschaft der früheren Sowjetrepublik. Er beteuerte, ein Westkurs des Landes sei unumkehrbar, kündigte aber zugleich neue Bedingungen an die Europäische Union für den Abschluss eines Assoziierungsabkommens an.
    Die Opposition dagegen beharrt auf ihren Positionen, in den vergangenen Tagen demonstrierten zeitweise hunderttausende Menschen in Kiew gegen den Präsidenten. Sie fürchten, dass Janukowitsch die Ukraine in eine von Russland dominierte Zollunion führen will und damit eine Annäherung an die EU verhindert.
    Mit bunten Graffitis besprühte Barrikaden blockieren den Chreschtschatyk, die zentrale Straße in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
    Die Demonstranten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew bleiben hartnäckig. (Deutschlandfunk / Sabine Adler)
    Der Präsident hatte im November die Unterzeichnung eines über mehrere Jahre ausgehandelten Freihandelsabkommen mit der EU überraschend abgelehnt. "Jetzt sind wir hier schon seit 18 Tagen und die Regierung setzt wohl immer noch darauf, dass wir irgendwann schon gehen werden. Aber wir werden nicht gehen", sagte Witali Klitschko. Die Opposition werde sich erst mit Präsident Janukowitsch an einen Tisch setzen, wenn er ihre Forderungen erfüllt: Rücktritt der Regierung, Freilassung der Demonstranten, Bestrafung brutaler Sicherheitskräfte. "Dann wird es eine neue Ukraine mit einem neuen EU-Abkommen geben."