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Einsturz Kölner Stadtarchiv: Examen adé?

Eckhard Freise von der Bergischen Universität Wuppertal rät Studierenden, die bei ihrer Forschung von dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs betroffen sind, sich zunächst mit ihrem Examensbetreuer und dem Prüfungsamt abzustimmen. Der Stadt Köln empfahl er, Fachstudenten mit Werksverträgen auszustatten, sodass diese dann bei den Aufräumarbeiten dank ihrer Sachkenntnis helfen könnten.

Eckhard Freise im Gespräch mit Armin Himmelrath |
    Armin Himmelrath: Vor zwei Tagen stürzte das Kölner Stadtarchiv zusammen und noch immer konnten die Bergungsarbeiten wegen der gefährlichen Situation vor Ort nicht richtig beginnen. Zwei Menschen werden noch vermisst. Doch in den Trümmern liegen auch unersetzliche Archivalien der deutschen Kulturgeschichte. Material mit dem sich auch Dutzende Doktoranden und Examenskandidaten aus diversen Universitäten beschäftigt haben. Die Studenten und die Nachwuchsforscher stehen nun vor einer fatalen Situation: Ihre Arbeiten können sie erst einmal nicht weiterführen. Eckhard Freise ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal. Was raten Sie Studierenden, die bei ihrer Forschung von der Kölner Katastrophe betroffen sind?

    Eckhard Freise: Also erst einmal Nerven bewahren. Wir wissen überhaupt noch nicht, wie die Verluste konkret nun aussehen. Das Zweite ist natürlich, sofort zu ihrem Betreuer gehen, die sind mindestens genauso getroffen. Sie wissen ja, Historiker und Literaturwissenschaftler weinen gerade in diesen Stunden. Es ist tatsächlich eine Katastrophe für die europäische Geschichtswissenschaft, wenn man mal den Rang Kölns ansieht. Ja, was machen Studierende? Sie sollten sehr genau auf ihr Thema schauen und unbedingt sich mit ihrem Doktorvater oder ihrem Examensbetreuer zusammensetzen. Denn eines ist vollkommen klar: Selbst wenn also Reste aus diesem Krater gerettet werden könnten, sind die Aufräumarbeiten wahrscheinlich so umfänglich und auch zeitintensiv, dass in den nächsten Jahren nicht damit zu rechnen, dass sie da an Originale herankommen werden.

    Himmelrath: Zumal ja neben der reinen Bergung dann auch die Frage der Restaurierung und überhaupt Katalogisierung wieder eine Rolle spielt?

    Freise: Das ist richtig. Also ich weiß jetzt nicht, ob die Findbücher sozusagen im vorderen Trakt lagen oder es hinten noch mal eine Dublette gab, das ist natürlich sehr, sehr wichtig. Ohne Findbücher können Sie in einem Archiv eigentlich so gut wie nichts machen. Das ist der Plan, an dem nun Dokumente und Materialien nun gefunden werden können. Aber ich gehe mal davon aus, dass es also noch mehrere Arten von Findbüchern gibt, und irgendetwas muss überlebt haben. Dann wäre es natürlich nötig, erst mal festzustellen, was überhaupt überlebt hat und welche Dinge nun wirklich abgeschrieben werden müssen. Eine Kollegin aus Köln hat gestern sehr richtig gesagt, um die mittelalterlichen Pergamenturkunden müsste man sich nicht so furchtbar Sorgen machen, schlimm wären die etwas weniger haltbaren Materialien wie Fotos, Karten und natürlich Papier aus der frühen Neuzeit.

    Himmelrath: Haben Sie selber Studierende oder Mitarbeiter, die von diesem Einsturz jetzt in ihrer Arbeit betroffen sind?

    Freise: Im Augenblick nicht. Meine letzte Dissertation, die ich vergeben habe, ging über Würzburger Lorscher Materialien, wir sind nicht betroffen.

    Himmelrath: Was muss man jetzt als Geschichtswissenschaftler tun, um hier möglicherweise auch helfen zu können? Hatten Sie so den Impuls, wir fahren dahin und graben mit aus?

    Freise: Ja, wenn man uns ließe, täten wir das ja. Also ich bin ziemlich sicher, dass wir unter fortgeschrittenen Geschichtsstudenten und Mitarbeitern gleich eine kleine Kompanie ausrüsten könnten, die also mitbuddeln würden. Denn das Problem ist jetzt nicht so sehr der trockene Schutt oder das Begrabensein in diesem riesigen Steinhaufen, sondern das Problem ist die Feuchtigkeit, die Nässe, die natürlich Papier und Pergament innerhalb kürzester Zeit dann zersetzen wird. Aber wir können ja nicht buddeln mit bloßen Händen. Und Vorrang haben natürlich jetzt erst einmal die Bergungsarbeiten für die beiden Verschütteten.

    Himmelrath: Wie sieht es aus mit den Materialien, wenn sie denn nun geborgen werden, aus Ihrer Sicht, wie viel Zeit, wie viel Kapazitäten braucht man auch, um die überhaupt zu restaurieren und wieder zugänglich zu machen?

    Freise: Das Erste ist einmal ein Platzproblem. Wir hatten in Köln im Historischen Stadtarchiv über 65.000 Urkunden. Was davon erhalten geblieben ist, kann ich im Augenblick nicht übersehen. Ich habe eben gerade in die "FAZ" geschaut und habe dann doch voller Freude festgestellt, aha, da wurden einige gerettete Materialien gezeigt aus dem Haupturkundenarchiv im Hinterhaus, das ist offensichtlich also nicht so sehr betroffen. Nichtsdestotrotz, es wird eine erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Und ich würde, wenn ich mal einen dummen Vorschlag machen darf, vielleicht der Stadt Köln empfehlen, für genau diese Studierenden und Doktoranden vielleicht doch irgendwelche Werkverträge auszusetzen, denn die sind in der Regel sehr gute Sachkenner und würden aus ihrer eigenen Kenntnis der Materialien vielleicht mithelfen können, als die nun gewiss sehr willigen und sehr fähigen, aber dann doch rein personell überforderten Mitarbeiter des Historischen Stadtarchivs. Und das Zweite ist natürlich die Magazinfrage: Was jetzt geborgen werden kann, hoffentlich möglichst schnell, müsste verteilt werden auf andere Magazine. Es muss ja einigermaßen brand- und wassersicher untergebracht sein, sonst gibt es Folgeschäden.

    Himmelrath: Wie sieht es aus rein prüfungsrechtlich? Gibt es da schon Überlegungen, wie man mit solchen Fällen umgeht, wenn jetzt jemand, sagen wir mal, eine Examens-, Lehramtsausbildung beendet, hat dort sein Staatsexamen angemeldet, konzentriert sich auf diese Bestände, und die fehlen nun - was kann man da tun?

    Freise: Auch da muss man wahrscheinlich differenzieren. Also Examensarbeiten, die jetzt eine Laufzeit von vier, vielleicht sogar mit Verlängerung fünf Monaten hätten, da würde ich, wenn sie noch nicht angefangen worden sind, dringend empfehlen, das Thema zu ändern. Das ist dann eine Sache der Absprache mit dem Betreuer und natürlich auch eine Sache der Großzügigkeit des Prüfungsamtes. Also unbedingt einen Antrag stellen wegen höherer obwaltender Umstände, die Arbeit nun auszusetzen oder die laufenden Fristen auszusetzen. Etwas anderes ist es natürlich mit den Arbeiten, die jetzt unmittelbar vor Abschluss stehen. Da haben ja die Betroffenen sehr häufig schon Exzerpte oder auch Kapitel gemacht, da würde ich nun nicht unbedingt im Fluss noch die Pferde wechseln, aber eben halt wird wahrscheinlich doch öfter in den Anmerkungen einer solchen Arbeit stehen: Letzte Prüfung konnte leider nicht erfolgen, weil das Historische Stadtarchiv eingestürzt ist.

    Himmelrath: Das bedarf aber dann im Einzelfall der Absprache mit Prüfungsamt und Betreuer?

    Freise: Ja, unbedingt. Aber wie gesagt, was ich machen würde, also das Historische Stadtarchiv, also die Mitarbeiter, wären sicherlich gut beraten, kundige Wissende aus ihrer Nutzerschaft mit heranzuziehen. Vielleicht könnten da Werkverträge ausgelobt werden.

    Himmelrath: Eckhard Freise war das, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Wuppertal, mit Hinweisen und Ideen dazu, wie sich Studierende, wie sich junge Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler verhalten können, die möglicherweise vom Einsturz des Kölner Stadtarchivs betroffen sind. Ganz herzlichen Dank!