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Eisfrei in Afrika

Klima.- Wenn vom Gletschersterben die Rede ist, denken die meisten wohl sofort an die Alpen, an Grönland oder an die West-Antarktis. Doch auch Afrikas Gletscher schrumpfen immer mehr – zum Beispiel auf dem Kilimandscharo.

Von Volker Mrasek |
    Einige nennen ihn bloß den Eismann. Der US-Glaziologe Lonnie Thompson von der Ohio State University hat sie alle schon mehrfach erklommen: die Gipfel der höchsten Gletscher in den Tropen und Subtropen. Von den Anden in Südamerika bis zum Himalaja in Asien. Jetzt legt Thompsons Arbeitsgruppe neue Daten über den Kilimandscharo vor. Der höchste Berg Afrikas misst knapp 5900 Meter. Auch er trägt eine Eiskappe. Die Frage ist nur: Wie lange noch?

    "Seit 1912 gibt es Karten von den Eisfeldern auf dem Kilimandscharo. Man kann sie mit dem aktuellen Zustand vergleichen. Wenn man das tut, sieht man: 85 Prozent der Gletscherfläche von damals sind inzwischen verschwunden. Allein zwischen den Jahren 2000 und 2007 ging noch einmal ein Viertel des gesamten Eisfeldes verloren."

    Ernest Hemingway setzte dem Kilimandscharo einst ein literarisches Denkmal. Heute steuert die berühmte Vulkan-Kuppe in Tansania schnurstracks auf den eisfreien Zustand zu:
    "1912 betrug die Eisfläche auf dem Gipfel noch zwölf Quadratkilometer. 2007 waren es nur noch 1,85. Daraus kann man einen Trend ableiten. Schreibt man ihn fort, dann werden die Gletscher am Kilimandscharo vielleicht schon im Jahr 2022 abgeschmolzen sein. Spätestens aber 2033. Das heißt, das Eis wird in den nächsten Jahrzehnten verschwinden."

    Flugzeuge machen in regelmäßigen Abständen Luftaufnahmen vom Kilimandscharo. Außerdem haben die Forscher die Gipfel-Gletscher mit einem Netzwerk aus 50 Messstäben gespickt. An ihnen lässt sich der Eisstand ablesen.
    Die Daten zeigen, dass die Gletscher am Kilimandscharo nicht nur an ihren Rändern abschmelzen, sondern dass sie auch immer dünner werden. Im Durchschnitt schrumpfen sie nach Lonnie Thompsons Berechnungen um 1,80 Meter pro Jahr:
    "Wir haben herausgefunden, dass auf diese Weise genauso viel Eis verloren geht wie durch den Rückzug der Gletscher an ihren Rändern. Sie werden praktisch geköpft. In unserer heutigen Welt akkumulieren sie kein Eis mehr, sondern sie verlieren es von oben nach unten."
    Der Kilimandscharo ist dabei kein Einzelfall. Das weiß der weitgereiste Gletscherforscher aus seinen Untersuchungen auf drei verschiedenen Kontinenten:

    "Wir verlieren die Gletscher überall in den Tropen: auf dem Mount Kenya, im afrikanischen Ruwenzori-Gebirge, in den südamerikanischen Anden, im Himalaja und in Neuguinea. Es gibt heute klare Hinweise dafür, dass sich die mittlere und obere Wetterschicht in den Tropen erwärmt. Auf die Gletscher wirkt sich der Wandel dabei in allen Facetten aus: Sie reagieren auf die Veränderungen der Temperatur, des Niederschlags und der Luftfeuchte mit einer beschleunigten Abschmelzrate."
    In Asien könnten die Eisverluste verheerende Folgen haben. Das Schmelzwasser von Gletschern im Himalaja speist zehn der größten Flüsse Asiens, darunter den Ganges, den Indus und den Yangtze. Über 1,3 Milliarden Menschen in der Region sind auf die Abflüsse im Frühjahr angewiesen. Wenn sich viele Gletscher auf dem Dach der Welt weiter zurückziehen oder sogar verschwinden, droht über kurz oder lang der Wasser-Notstand.

    Auch am Kilimandscharo wäre der Verlust der Eisfelder vermutlich tragisch. Der Berg ist der größte Touristen-Magnet in Tansania. Doch es ist fraglich, ob er das bleibt. Denn seinen größten Zauber bezieht er nun einmal von seinem schneeweißen Gipfel.