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Elementarteilchen

Michel Houellebecq spielt ein gefährliches Spiel, das der zynischen Selbstpreisgabe. Wer sich in Interviews und Essays derart entblößt, mit seiner Hässlichkeit kokettiert und sich dem weiblichen Teil des Publikum als unterversorgter Lover andient, der muss sich nicht wundern, wenn er dann auch mit seinen hässlichen Romanfiguren identifiziert wird.

Christian Gampert |
    Dabei wäre da sehr genau zu unterscheiden: zwischen der öffentlichen Person Houellebecq und dem künstlichen Raum eines Romans, auch wenn Houellebecq selber dafür sorgt, dass sich da manches verwischt.

    Schlimmer noch als dieses Abwerten der eigenen literarischen Konstruktion, als wenn man die nur mal so lala hinkriegen könnte, ist die Gleichgültigkeit, mit der Houellebecq der Verwertung des eigenen Werks in anderen Medien wie Film, Theater und Popmusik begegnet. Zwar passt das zum Globalnihilismus und den ständig enttäuschten und kaum noch zugegebenen Glückserwartungen seiner Figuren, aber es wird sein Werk auf lange Sicht beschädigen. Vielleicht ist das Programm: einer der wichtigsten Schriftsteller Europas begeht da Selbstmord auf Raten.
    Denn dieses "Je m’en fous", mir ist alles scheißegal, führt nun dazu, dass Hinz und Kunz, Himpel und Pimpel Houellebecqs Werke bearbeiten. Zum Beispiel der Regisseur Albrecht Hirche für das Theater Basel. Hirche ist sichtlich fasziniert von der Schonungslosigkeit, mit der Houellebecq den Gegenwartskapitalismus europäischer Prägung und vor allem die Lebensentwürfe der 68iger und Post-68iger-Generation in den Mülleimer der Geschichte wirft. Aber Hirche hat leider nicht verstanden, dass Sätze, die im Sog eines Romans wahr sind und wie lauter kleine Niederschläge wirken, auf dem Theater gänzlich ohne Punch bleiben können – wenn man sie nicht abfedert durch dramaturgische Konstruktion, durch Dialoge und Figuren.
    Hirche hat keine. Er stellt die beiden Halbbrüder aus den "Elementarteilchen", den sexsüchtigen Bruno und den in sich zurückgezogenen Michel nebst dazugehöriger Frauen in einen maschendrahtumsäumten Freizeit-Menschenpark und lässt zwei weißgewandete Labormediziner als Stichwortgeber, Kommentatoren und Showmaster eines epischen Vorzeigetheaters Pseudodramatik verbreiten - aus dem Versuchslabor des Theaters Basel. Viel Videobildchen aus dem Familienalbum der siebziger Jahre, dazu Hendrix und Miles Davis, Soundtracks der angeblichen Ekstase.
    Schon die Einführung des Erzähler-Paars als eine Art epische Krücke zeigt, dass Hirche kein theatrales Konzept hat, auch wenn die Dame immer so nett französelt, weil französische Kapitalismus ist genauso schlimm wie deutsche Kapitalismus. Und Houellebecqs zynischer Haupt-Angriffspunkt, die endgültige Deformation der Liebe durch die sexuelle Befreiung der 68iger, die den Sex zu einem neuen Wettkampf- und Konkurrenzfeld gemacht habe, wird von Hirche durch das Aufsagen zotiger Sprüche abgehandelt, die im Theaterraum verpuffen und uns bald langweilen. Die Lakonie und Trostlosigkeit, die Houellebecqs Roman auszeichnen, die Schärfe seiner Gegenwartsdiagnose gehen völlig verloren.
    Bruno und Michel sind zwei von einer egoistischen 68iger-Mutter verlassene Kinder. Die Tristesse ihrer Jugend gehört zu den stärksten Teilen des Romans. Bruno zum Beispiel wird im Internat von seinen Mitschülern gequält und sexuell missbraucht, im Mai 68. Regisseur Hirche lässt in Basel den um Spießigkeit bemühten Bruno-Darsteller Christoph Müller nur kabarettistisch jammernd mit einem langen Seil als Penis über die Bühne torkeln: der Missbrauchte als Karikatur. Der depressive Michel des vorsichtigen Edmund Telgenkämper kann als Pubertierender mit Mädchen kaum sprechen, er kann nicht tanzen, sich nicht öffnen, er fällt aus der Welt. Das wird in Basel von seiner heftig begehrten Freundin Annabelle so nebenbei erzählt.
    Und immer, wenn das Begehren der nunmehr Erwachsenen dann eine wahre, eine humane Dimension bekommen könnte, lauert bei Houellbecq gleich der Tod. Bei Hirche wird diese Todesnähe zwar wortreich behauptet, aber letztlich planscht man bei ihm dann mehr im Swimmingpool herum und simuliert Oralverkehr.

    Zum schlechten Ende baut uns der Regisseur Michels naturwissenschaftliche Endzeit-Vision, nämlich das Klonen des geschlechtsneutralen Homo Sapiens, als riesiges Brave-New-World-Luftkissen auf die Bühne. Was bei Houellebeqc eine Parodie auf Nietzsches Übermenschen ist, eine Satire auf die Bioforschung, wird bei Hirche zum warnenden Exempel.
    Es gibt Romane, die sollte man Romane sein lassen, weil sie nur im Epischen Kraft entfalten. Hirche Befruchtungsversuch im theatralischen Reagenzglas ist gründlich misslungen.