Archiv


Elite-Uni auf Koffern

In der großen cremweißen Marmor-Eingangshalle der Ecole Nationale d’Administration, kurz ENA, ist es auffallend ruhig. Nur vereinzelt tauchen Menschen mit Aktenordnern unter dem Arm auf, um gleich wieder in einem der Aufzüge zu verschwinden. Die traditionsreiche Pariser Adresse der ENA "rue de l’université" ist nur noch eine vorläufige. Das Gebäude soll aufgegeben werden, die Eliteschule endgültig umziehen ins drei Zugstunden entfernte Strassburg. Der erste Jahrgang, der seine Ausbildung ausschließlich in Strassburg absolvieren wird, wurde dort gerade offiziell empfangen. "Erster Akt unserer Reform", nennt ENA-Direktor, Antoine Durrleman, den Standortwechsel an die deutsch-französische Grenze, - "ins Herz Europas", wie er sagt. Eine Reform, die ENA-Schüler - besser als bisher - auf ein modernes, europäisches Frankreich vorbereiten soll.

Von Margit Hillmann |
    Das alte ENA-Schulmodell hat sich seit 60 Jahren nicht verändert. Wir werden es mit der Reform komplett erneuern, den Anforderungen einer sich verändernden Verwaltung anpassen: in Sachen Europa und französische Dezentralisierung. Wir werden unseren Schülern die Kapazitäten vermitteln, die eine Modernisierung der Verwaltung erfordert. Denn die ENA-Schüler, deren Ausbildung kostspielig ist - der Preis eines Porsches – sollen später selbst die Verwaltung reformieren, die Dinge vorantreiben.

    Sicher soll die Reform auch den Kritikern der traditionsreichen Eliteschule den Wind aus den Segeln nehmen. Denn während der vergangenen Jahre ist die ENA in ein regelrechtes Kreuzfeuer geraten. Sie sei nicht zeitgemäß, zu teuer, zu elitär. Selbst ehemalige Absolventen der ENA beklagen sich zunehmend über die Grand Ecole. Der Besuch der Schule gleiche eher einem Schönheitswettbewerb als einer sinnvollen Ausbildung, spötteln die Eliteschüler öffentlich.

    Ob die angekündigte Reform die Kritiker der ENA tatsächlich besänftigen werden, ist allerdings mehr als fraglich. Schon der Umzug nach Strassburg hat sie wieder auf den Plan gerufen. Schädlich für den Ruf der ENA, sind sie sich einig. Denn, so das Argument, im zentralistisch organisierten Frankreich ist die Hauptstadt der Ort des Geschehens. Vorteile der alten Pariser ENA-Adresse, wie der direkte und unkomplizierte Austausch mit sämtlichen nationalen und internationalen Behörden und den politischen Schaltstellen der Macht, die ihren Sitz in Paris haben, bleiben bei dem Umzug nach Strassburg auf der Strecke. Selbst das alte ENA-Prinzip, die jeweils besten Fachkräfte aus der Praxis als Gast-Dozenten an die Schule zu holen, steht zur Debatte. Stefanie Schneider, ausgebildete deutsche Juristin und derzeit ENA-Schülerin in Paris:

    Der Hauptpunkt, über den noch gestritten wird, ist, ob man das alte System beibehält oder in Zukunft feste Lehrstühle einrichtet. Weil, es gibt natürlich Vorteile beim bisherigen System, - dass man erstens Praktiker hat, die die Materie wirklich kennen, und zwar aus dem Alltag und nicht theoretisch. Und, dass man auch wirklich die kompetentesten Leute aussuchen kann. So lange die Schule noch in Paris war, hatte man die Leute auch zur Hand. Sie haben ihr Ministerium, in dem sie gearbeitet haben, drei Strassen weiter und konnten leicht mal einen Nachmittag in der ENA vorbeischauen. In Strassburg wird das natürlich schwieriger.

    Attackiert wird auch immer wieder das so genannte "Classement" am Ende der ENA-Ausbildung. - Ein Ranking zur Vergabe der begehrtesten Beamtenposten des Landes, die den ENA-Absolventen reserviert sind. Der beste ENA-Schüler einer Abschlussklasse darf unter den freien Beamtenstellen wählen. Dann bedient sich der Zweitbeste und so weiter. Ein System, das immer wieder – auch unter ENA-Eleven - für Unmut und Kritik sorgt. Stefanie Schneider, die übrigens nach ihrer ENA-Zeit einige Jahre in der französischen Verwaltung arbeiten wird:

    Es ist richtig, dass es Kritik gibt, vor allem an der Rigidität dieses 'Classements’ und daran, dass eben oft die Posten, die man mit den besten Positionen in diesem Classement bekommen kann, ein derartig hohes Sozialprestige haben, dass die Versuchung sehr groß ist, die Posten zu nehmen. - Auch, wenn man eigentlich das Gefühl hat, dass seine Neigungen Talente eher andere sind.

    Die Direktion der ENA will jedoch – trotz Reform – grundsätzlich an der Tradition des Classements festhalten. Direktor Durrleman:

    Es ist kein System der ENA. Es wird überall in der französischen Verwaltung bei der Vergabe von Stellen benutzt wird. Es ist die Französische Methode, Vetternwirtschaft, Parteieneinfluss oder Druck der Regierung bei der Vergabe von der Posten zu verhindern.

    Ehrenhafte Motive, das ENA-Classement beizubehalten. Doch ist auch klar: Würde die ENA auf das Privileg verzichten, die attraktivsten Beamtenposten Frankreichs an ihre Schüler zu verteilen, ginge es ausschließlich um die Lehrqualitäten der Schule – dann würde das Interesse an der ENA und auch ihr Ruf deutlich nachlassen. Darüber täuscht auch die Reform nicht hinweg.