Sonntag, 28. April 2024

Archiv


Elmar Brok: Bilder des Gazakonflikts sprechen auf Dauer gegen Israel

Das militärische Zurückschlagen der Hamas-Raketenangriffe wird Israel auf Dauer nicht helfen, befürchtet der EU-Politiker Elmar Brok (CDU). Er warnt eindringlich vor einer kriegerischen Entwicklung, deren Bilder im Fernsehen die Weltmeinung schnell wieder gegen Israel richten könnte.

Das Gespräch führte Gerd Breker | 16.11.2012
    Gerd Breker: Der ägyptische Ministerpräsident Kandil auf Vermittlungsmission im Gaza-Streifen – doch viel zu vermitteln gab es offensichtlich nicht, denn die israelische Regierung muss allein schon aus wahlkampftechnischen Gründen Härte zeigen, selbst wenn das die radikalen Kräfte in der Hamas stärkt. Es gehört zu den tragischen Erkenntnissen dieses Konflikts, dass nun eine Radikalisierung auf beiden Seiten erfolgt. Die Popularität der hamas, sie bröckelte schon, doch nun müssen die Palästinenser im Gaza-Streifen sich wieder zur Hamas stellen. Ähnliches auf israelischer Seite: die Sozialproteste des Sommers treten in den Hintergrund, im Kampf steht man vereint, im Kampf kennt man keine Parteien.
    Die Eskalation der Gewalt zwischen Israel und der Hamas ist Besorgnis erregend. Der drohende Einmarsch der israelischen Armee in den Gaza-Streifen sollte verhindert werden, denn der zu erwartende Blutzoll wäre hoch. Beim letzten Einmarsch 2008/2009 starben etwa 1400 Palästinenser und 13 Israelis, und wie man sieht, hat auch jener Einmarsch keine dauerhafte Lösung des Konflikts gebracht. Ägypten war bislang der Vermittler in den Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis, doch muss fraglich bleiben, inwieweit sich das neue Ägypten mit dem Präsidenten Mursi von der Muslim-Bruderschaft auf die Seite der Hamas stellen muss, wenn denn ein israelischer Einmarsch käme. Der ägyptische Ministerpräsident Kandil wurde in den Gaza-Streifen geschickt, und derweil sollten die Waffen vorübergehend schweigen. Doch die Wirklichkeit, sie war – wir haben es gehört – anders. Kandil hat inzwischen seinen Besuch abgebrochen.
    Am Telefon begrüße ich nun den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, den CDU-Abgeordneten Elmar Brok. Guten Tag, Herr Brok.

    Elmar Brok: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Herr Brok, teilen Sie die Einschätzung von Außenminister Guido Westerwelle, dass die Hamas in diesem Fall der Aggressor ist?

    Brok: Sicherlich ist es immer so, dass die Raketenangriffe aus dem Gaza-Streifen auf israelische Städte eine verheerende psychologische Wirkung in Israel haben und von daher auch immer eine Grundlage geben, dass Hardliner in Israel dann in der Lage sind, damit zu argumentieren und zurückzuschlagen, sodass vom Ablauf her das sicherlich der Fall ist. Aber gleichzeitig wissen wir auch, dass das Vorgehen Israels auf Dauer in der Weltgemeinschaft wegen der Bilder, die damit verbunden sind, Israel nicht helfen wird. Und wenn wir sehen, dass Ägypten nicht wie früher kritischer Beobachter und Mittler ist, sondern sich zunehmend auf eine Seite stellt, und wir sehen auch, dass Jordanien in außenpolitischen Möglichkeiten wegen der inneren Verhältnisse immer schwächer wird, dann wird hier die Situation für Israel zunehmend problematisch und in einem solchen asymmetrischen Krieg werden die Bilder immer gegen Israel sprechen. Deswegen ist eine neue kriegerische Entwicklung sicherlich nicht zugunsten Israels.

    Breker: Israel hat geantwortet mit der Rückkehr zur Option der gezielten Tötung, indem der militärische Führer der Hamas bombardiert wurde. Ist das eine angemessene Antwort der Israelis?

    Brok: Das ist eine schwere Frage, die noch schwerer zu beantworten ist. Es ist sicherlich so: Wenn man Dinge begrenzt hat und weiß, dass Leute verantwortlich sind für terroristische Akte, dass dagegen vorgegangen wird, dafür kann man Verständnis haben, obwohl das natürlich aus ethischen Gründen auch eine Überlegung wert ist. Aber dafür kann man Verständnis haben. Aber wenn dies dann zu einer Eskalation führt, die mit diesen Bombenschlägen zu tun hat, wo man nicht wirklich zwischen terroristischen Aktivitäten und Zivilbevölkerung unterscheiden kann, wenn man sieht, dass man einen Bodenkrieg am Vorbereiten ist und sich da vor Augen hält, wie die Situation in den Städten des Gazastreifens ist, dann wird es sehr schwer sein, das wirklich rein militärisch in Angriff zu nehmen. Und dann wissen wir, wie über die Bilder im Fernsehen die Weltmeinung sich schnell wieder gegen Israel aussprechen wird. Deswegen ist diese Entwicklung sicherlich nicht zugunsten Israels.

    Breker: Inzwischen verfügt die Hamas über iranische Raketen, die auch Tel Aviv erreichen können. Wir haben das erlebt, erstmals seit 1991 hat es wieder Luftalarm in Tel Aviv gegeben. Da ist die Eskalation eigentlich schon im Gange.

    Brok: Die ist sehr im Gange, und wenn wir sehen, dass offensichtlich die Hamas Fähigkeiten hat, die die Hisbollah im Norden ohnehin schon hat, dann die großen israelischen Städte zu erreichen, vielleicht auf Dauer auch zielgenauer zu erreichen, wird das eine verheerende psychologische Wirkung auf die israelische Bevölkerung haben, wenn ihre Kinder landesweit nicht ohne Sorgen und Angst in die Schulen gehen können, beispielsweise. Und dann sind wir in einer ganz schwierigen Situation, auf Dauer auch die Stabilität Israels selbst zu behalten, und deswegen ist es ja auch, glaube ich, eine schlimme Sache, dass wir nach dem letzten Gazakrieg nicht in der Lage waren, auch mit internationaler Hilfe die Zufuhr von Raketen in den Gazastreifen zu verhindern. Und dies wird jetzt durch die Veränderung der ägyptischen Politik noch problematischer, sodass der Zugang solcher Waffen an die Hamas noch verstärkt werden wird, und dadurch wird der Kreislauf der Gewalt noch höher werden, weil das dann Dimensionen erreichen kann, die für Israel außerordentlich bedrohlich sind.

    Breker: Derweil reagiert Israel mit Luftangriffen, Herr Brok. Wir wissen: Luftangriffe können zwar zerstören, aber sie lösen in der Regel keine Konflikte. Macht das eine Bodenoffensive in Gaza wahrscheinlicher?

    Brok: Die Gefahr besteht, aber ich weiß auch nicht, wie das gelöst werden kann. Man muss sich die Straßenschluchten Gazas anschauen, wie eng dort alles zusammenlebt, auf relativ kleinem Raum. Das würde praktisch Häuserkrieg bedeuten, und dann kann man es immer noch nicht unter Kontrolle bringen, wenn man die ganzen Bunker dort sieht. Also das müsste eine Totaloffensive sein mit all den Konsequenzen, die dann für die Zivilbevölkerung verbunden sind, und möglicherweise mit einem begrenzten militärischen Erfolg. Das hat ja Israel bei der letzten Auseinandersetzung mit der Hisbollah im Süd-Libanon schon erlebt, wie wenig man dann zum Schluss damit erreichen kann, und auch der letzte Gazakrieg hat ja nicht Fortschritte erreicht. Ich glaube nicht, dass das auf Dauer eine Lösung der israelischen Sicherheitsinteressen bringt.

    Breker: Wer kann denn in diesem Konflikt vermitteln? Ägypten fällt langsam aus, weil, Ägypten schlägt sich auf die Seite der Hamas. Auf wen kann Netanjahu hören, auf wen hört die Hamas, wer kann hier überhaupt die beiden Seiten zur Vernunft bringen?

    Brok: Ich glaube, dass das Quartett wieder herangehen muss. Das heißt, die Europäer, die Amerikaner, die Russen und die Vereinten Nationen. Aber hier müssen die Amerikaner eine besondere Rolle übernehmen. In den letzten eineinhalb Jahren war diese amerikanische Politik dort nicht möglich, aus innenpolitischen Gründen des Wahlkampfes heraus, und ich glaube, dass jetzt Präsident Obama mit seinem Mandat hier tätig sein muss, um eine Brücke zu bauen. Vielleicht ist er auch noch in der Lage, Kairo dazu zu bringen, doch eine eher Vermittlerrolle einzunehmen, denn das Quartett in Zusammenarbeit mit der Arabischen Liga, mit Ländern wie Ägypten zusammen, haben eine Chance, auf beiden Seiten die Garantie zu geben, die dann zu Waffenstillstand und Frieden führen. Aber dazu gehört es natürlich auch, dass man mit den gemäßigten Palästinensern, die mit Präsident Abbas in der Westbank sitzen, Erfolge hat. Die Radikalisierung auf der palästinensischen Seite wird sich fortsetzen, je weniger Palästinenser sehen, dass der gemäßigte Weg zu Lösungen führt.

    Breker: Was kann denn eigentlich, Herr Brok, Europa tun? Sie haben die Fatah angesprochen. Die gemäßigten Palästinenser wollen ja in zwei Wochen bei den Vereinten Nationen erreichen, dass sie staatlich anerkannt werden. Sollte sich Europa dafür einsetzen, eben halt um diese Seite zu stärken?

    Brok: Ich glaube nicht, dass Deutschland beispielsweise da mitmachen kann und sollte – aus verschiedenen Gründen, die sicherlich auch mit unserer Geschichte zu tun haben. Aber der Punkt wird sein, dass diese Auseinandersetzung dazu führen wird, dass Abbas eine Unterstützung bekommen wird. Das ist ohne Zweifel so. Und auch da wird es dann zu einem Konflikt kommen im Rahmen der Vereinten Nationen. Und wenn dann die Vereinigten Staaten dagegen stimmen sollten und eine Blockade ausüben sollte, wenn dann die Umsetzung eines klar formulierten Beschlusses dann in den Sicherheitsrat hineinkommt, dann wird die Eskalation dort noch weitergehen. Und dann kann es am Ende des Tages sein, dass ein Teil des Westens völlig isoliert ist, gemeinsam mit Israel, und damit der Westen auch seine Fähigkeit verliert, vermittelnd einzugreifen.

    Breker: Droht der Europäischen Union in dieser Frage auch die Spaltung?

    Brok: Ich glaube ja, dass hier nicht gemeinsam abgestimmt werden kann. Ich glaube nicht, dass sich Länder wie die Niederlande, Luxemburg (bei Luxemburg bin ich mir da nicht sicher, aber die Niederlande vor allen Dingen), Deutschland und ein paar andere auf die falsche Seite schlagen werden, so manche Sympathie dort auch vorhanden sein mag, das zu tun. Vielleicht ist es ja auch möglich, diese 14 Tage, auch angesichts der gewaltigen Krise, die jetzt um den Gazastreifen wieder entsteht, zu nutzen, jetzt vielleicht doch einen Durchbruch zu finden, damit wir nicht völlig in die Gräben hineingehen.

    Breker: Also fällt Europa als Vermittler in dieser Frage völlig aus?

    Brok: Nicht als Vermittler, denn das haben wir ja getan. Im Rahmen des Quartetts hat in den letzten 15, 16 Monaten allein die Europäische Union mit Frau Ashton hier Politik betrieben. Aber wir sind sicherlich gut beraten, vielleicht auf dies zu wirken, dass diese Entscheidung nicht stattfindet und dass man vor dieser Entscheidung in den Vereinten Nationen auch dazu kommt, hier Lösungen anzustreben, einen neuen Friedensprozess in Gang zu setzen. Und dies ist vielleicht dann auch ein Angebot an Israel, doch zu versuchen, die Angelegenheit im Gaza-Streifen zu deeskalieren, um auf diese Art und Weise doch noch eine Lösung anzustreben.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Ansicht von Elmar Brok, er ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament. Herr Brok, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Brok: Ich danke auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.