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Empire Amerika?

"Woher kommt der Hass auf Amerika?", "Weltmacht Amerika - Das neue Rom", "Imperium der Angst", "Heiliger Krieg: Amerikas Kreuzzug" oder "Empire Amerika". So beängstigend klingen viele Titel, die in diesem Jahr auf den Markt gekommen sind. Sie analysieren Kosten, Nutzen, Ursachen und Folgen der Militarisierung US-amerikanischer Politik. Sie fragen, in welcher Tradition George W. Bush steht bzw. mit welcher Tradition er bricht, und sie diskutierten, was Unilateralismus und die Entschlossenheit zum Krieg für die Staatengemeinschaft und das internationale System bedeuten. Einige der Neuerscheinungen will ich Ihnen heute vorstellen, und zwar im Gespräch mit Detlef Junker.

    Detlef Junker ist Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg. Von 1994 bis 1999 war er Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Washington, und er hat ein viel gerühmtes Buch herausgebracht, in dem er "die Globalisierung des außenpolitischen Aktionsradius der USA" untersucht. "Power and Mission - Was Amerika antreibt" ist das Werk überschrieben, und es ist erschienen im Freiburger Herder Verlag. Zu Beginn unseres Gespräches habe ich Detlef Junker nach dem "historischen Ort" des 11. September, also jenes Ereignisses gefragt, das Dreh- und Angelpunkt aller neuen Studien zur amerikanischen Politik ist.

    Detlef Junker:
    Der 11. September gab George W. Bush die Handlungschance und auch seinen neokonservativen Beratern, etwas zu tun, was sie schon vorgedacht haben, nämlich Amerika als eine neue unilaterale Supermacht zu etablieren. Und insofern ist natürlich der 11. September der Anlass gewesen. Auf der anderen Seite ist unzweifelhaft, dass der 11. September ein ganz tiefes Schockerlebnis für die Amerikaner gewesen ist, von einer Tiefe, die wir uns schwer vorstellen können. Warum? Weil ein ganz wichtiger und selbstverständlicher Bestandteil des American Way of Life, nämlich die territoriale Integrität, vernichtet wurde. Als Historiker weiß man: 1812 bis 1814 haben die Briten einmal das Weiße Haus und einen Teil Washingtons niedergebrannt. Seitdem gehört eben die Sicherheit eines insularen Staates zum Kernbereich des American Way auf Life.

    Hermann Theißen:
    Das ist die spezifisch amerikanische Erfahrung, aber erstaunlich ist, dass auch europäische Kommentatoren sagen: Dieses Ereignis markiert einen Epochenbruch. Es werden Vergleiche gezogen. Der französische Philosoph André Glucksmann beispielsweise vergleicht dieses Ereignis mit Hiroshima. Was steckt dahinter?

    Detlef Junker:
    Also, es ist natürlich ein spektakuläres Ereignis, es hat die Energien der Amerikaner revitalisiert, es hat vor allen Dingen Amerika einen großen neuen Feind gegeben, und eine meiner Hauptthesen in diesem Buch ist ja, dass dieser Weg zur Super- und Hypermacht nicht möglich wäre ohne den jeweiligen großen Feind, und es ist natürlich ein spektakuläres Ereignis. Ob ich das mit Hiroshima vergleichen würde, weiß ich nicht. Mir scheint aus amerikanischer Perspektive eher, dass es ein vergrößertes Pearl Harbor ist.

    Hermann Theißen:
    In Ihrem Buch schreiben Sie, dass seit dem 11. September die Grundzüge der Bush-Politik klar sind, und dann heißt es: Dieser Grundzug ist der permanente Ausnahmezustand. Politisch lebt seine Präsidentschaft vom und durch den Krieg. Was heißt das? Ist Bush nur ein Kriegspräsident?

    Detlef Junker:
    Bush war ja, wie wir alle wissen, außenpolitisch ein unbeschriebenes Blatt. Er ist auf halblegitime Art und Weise ins Amt gekommen, seine Präsidentschaft schlitterte so dahin, sie wurde sogar erheblich geschwächt durch den Überlauf eines Republikaners zu den Demokraten im Senat, und dann kam dieses weltgeschichtliche Ereignis. Und ich beschreibe ja auch in meinem Buch, wie er sofort sozusagen den Mantel der Geschichte sah. Schon am 12.11. sagte er: Dieses Ereignis wird meine Präsidentschaft bestimmen. Und seitdem lebt er innen- und außenpolitisch mit und von dem Krieg. Er wäre - aus meiner Perspektive - politisch wieder ein Nichts ohne den Kampf gegen den Terrorismus.

    Hermann Theißen:
    Unmittelbar nach dem Anschlag gab es ja zuerst keine militärische Gegenreaktion der Amerikaner, es gab Konsultationen, es gab eine weltweite Solidarität, die man auch zu nutzen schien, die Beschäftigung der UN. Mit Russland und mit China wurde geredet, es wurde ein großes Bündnis geschmiedet, und es sah aus, als ob dieses Ereignis und die Solidaritätsbewegung genutzt würden, um eine starke multilaterale Politik zu führen. War diese Analyse damals schon falsch oder was hat sich geändert?

    Detlef Junker:
    Nein. Nach dem 11. September hat ja Bush sofort zwei Dinge gesagt: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." Wir werden eine Koalition bilden, und dann gab es ja zeitgleich eine weltweite Sympathiewelle für die USA, und die NATO hat das erste Mal in ihrer Geschichte erklärt, dass das ein Angriff auf das Bündnis sei. Es gab im Effekt eine multilaterale Antwort, und dieser Krieg in Afghanistan ist ja auf dieser, wenn Sie wollen, zumindest politisch-multilateralen Basis geführt worden. Dann allerdings - und das ist das entscheidend Neue - hat Bush eigenhändig die Mission der USA ausgedehnt, wenn Sie wollen, die Büchse der Pandora geöffnet, und in dem Maße, in dem er das getan hat, also "preemptive strike", die Behauptung, dass es Massenvernichtungswaffen gebe. Der erfolgreiche Versuch, die Mehrheit der Amerikaner davon zu überzeugen, dass Saddam Hussein tatsächlich als Teil der Al Qaida-Bewegung für den 11. September verantwortlich sei, also in demselben Maße, wie er die Mission ausgeweitet hat, ist die weltweite Kritik an Bush gestiegen. Das war das Eine. Das Zweite ist: Es gab in Europa sozusagen einen zweiten Blick auf diese sog. Neokonservativen, und die Welt entdeckte plötzlich schrittweise - und das war ja überall zu lesen -, dass wir es mit einem neuen unilateralen Politikentwurf zu tun haben, der entscheidend von der Politik der USA im Kalten Krieg abwich. Also diese Radikalisierung setzt mit der Ausweitung der amerikanischen Mission ein.

    Hermann Theißen:
    Intellektueller Träger dieser Radikalisierung ist eine Gruppe, die Sie benennen als eine Gruppe von konservativen Revolutionären. Der amerikanische Vizepräsident gehört dazu, die Sicherheitsberaterin, der Verteidigungsminister und sein Stellvertreter. Was hält diese Gruppe zusammen, was wollen sie?

    Detlef Junker:
    Sie haben in den 90er Jahren darüber nachgedacht, wie nach dem Ende des Kalten Krieges Amerika seine neue Stellung als einzig verbliebene Supermacht definiert. Und das Ergebnis dieses Nachdenkens war eben: Wir müssen in erster Linie auf unsere eigenen Kräfte vertrauen. Denn der Kosovo-Krieg ist eben so gewertet worden, dass die Europäer die Amerikaner mehr gehindert haben als geholfen, und die Grundanalyse dieser Neokonservativen ist: Alle multilateralen Institutionen, die es so gibt, ob das die UNO ist oder andere, sie leisten nicht, was sie leisten sollen, sie sind im Konfliktsfall nicht handlungsfähig, und das gilt auch besonders für die Europäer. Und das Zweite ist: Die Amerikaner sind in militärischer Hinsicht die einzig verbliebene Supermacht, und so soll es auch bleiben. Das Revolutionäre daran ist, dass sie in der internationalen Politik das Grundprinzip ihrer eigenen Verfassung, nämlich die Machtbegrenzung und Machtverschränkung, aufheben wollen, um Amerika zur einzig verbliebenen Supermacht zu machen. Das war der große Zug. Und die ideelle Komponente dieser Neokonservativen: Sie sind eben zutiefst davon überzeugt, dass Amerika das einzige verbliebene Modell für die Welt hat. Der berühmte Fukojama, den man mal "Hegel im Außenministerium" genannt hat, hat ein Buch geschrieben vor einigen Jahren: "Das Ende der Geschichte". Das heißt eben nicht, dass es keine Geschichte mehr gibt, sondern seine Hauptaussage war: Es gibt neben diesem liberal-kapitalistischen, freiheitlichen Modell Amerikas kein legitimes Gegenmodell mehr. Und diese drei Komponenten zusammen bilden die Weltanschauung, plus eine verstärkte Hinwendung auf das nationale Interesse, das heißt, was die für das nationale Interesse halten, das steht ja nicht über Washington am Himmel geschrieben, sondern das wird definiert.

    Hermann Theißen:
    Also der Begriff der konservativen Revolution ist ja einer, der in der deutschen Geschichtsschreibung arg strapaziert worden ist und bringt Leute zusammen, die kommen vom christlichen Fundamentalismus bis hin zum Nationalbolschewismus. Und wenn man mal guckt, was könnte all diesen Leuten gemeinsam sein, dann ist es sicher immer eine gewisse Faszination für den Krieg und zum anderen sicher auch ein Denken, was von einer natürlichen Aristokratie in der Gesellschaft ausgeht. Sind das Assoziationen, mit denen Sie auch spielen, wenn Sie diesen Begriff benutzen?

    Detlef Junker:
    Also natürliche Aristokratie, ich würde das mal in amerikanische Begriffe kleiden: Also, im angelsächsischen Freiheitsverständnis gebiert eben Freiheit Ungleichheit. Das ist ein ganz anderes Freiheitsverständnis, als wir das seit der Französischen Revolution in Europa haben. Da hat man uns ja Freiheit und Brüderlichkeit und Gleichheit gleichzeitig versprochen. Die Amerikaner sind in der Hinsicht Liberale. Und sowohl im Lande selbst als auch in der Welt haben sie kein Problem damit, als Ergebnis von Freiheit Ungleichheit zu akzeptieren. Es gibt eine Chancengleichheit in Amerika, die wird akzeptiert, aber es muss keine Ergebnisgleichheit sein. Und wenn Sie sozusagen dann diese sich ergebenden Unterschiede als natürliche Aristokratie bezeichnen, dann kann man es so tun.

    Hermann Theißen:
    Der französische Publizist Eric Laurent hat ein Buch geschrieben, das heißt: "Die neue Welt des George W. Bush. Die Machtergreifung der Ultrakonservativen im Weißen Haus", und es ist bei Fischer in Frankfurt erschienen. In diesem Buch charakterisiert Laurent diejenigen, die Sie als Vertreter der konservativen Revolution bezeichnen, mehr oder weniger als Verschwörerbande, die seit Jahr und Tag an der Machtergreifung gearbeitet hat, um ihr außenpolitisches Konzept durchzusetzen, aber auch um innenpolitische Konzepte durchzusetzen, also Steuern runter, noch mehr Sozialabbau, Homosexuelle wieder stigmatisieren, und es ließe sich mehr nennen, also ein Prozess auch der gesellschaftlichen Formierung. Laurent macht weiter darauf aufmerksam, dass diese Gruppen gesponsert worden sind von reaktionären bis konservativen Gesellschaften, Verlegern, von der Likud-Vertretung, der Vertretung der israelischen Likud-Partei in den Staaten, er macht darauf aufmerksam, dass diese Truppe sich morgens zum Gebet trifft und dass alle Verbindungen haben in den militärischen, industriellen Komplex hinein, aber auch in die Erdölindustrie. Ist das Kolportage oder ist das auch ein Szenario dieser Gruppe mit Realitätsgehalt?

    Detlef Junker:
    Also: Verschwörungstheorie ist ganz falsch, die haben ja mit offenem Visier gekämpft. Sie haben eine Idee über das, wie Amerika sein soll, dafür haben sie ihre innenpolitischen Verbündeten mobilisiert, und in der Tat ist es so, dass die evangelikale Rechte, die "moral majority", ein Eckpfeiler der innenpolitischen Unterstützung von Bush ist. Das hängt eben auch damit zusammen, dass Bush, wenn Sie wollen, urbi et orbi, also in der Stadt Washington und im Erdkreis, jedem, der es hören will, erklärt, er habe mit 40 Jahren ein Paulinisches Bekehrungserlebnis gehabt. Und in all seinen Botschaften an die Nation sind Bibelzitate eingebracht, auch als Botschaften an diese evangelikale Rechte, und man muss eben sehen: Bush ist ja letzten Endes nur von 23 Prozent der Amerikaner gewählt worden. Und von diesen 23 Prozent gehören 38 Prozent zu der evangelikalen Rechten. Das ist also eine ganze wichtige Gruppe, die ihn unterstützt. Das andere ist in der Tat so: Er hat hervorragende Verbindungen zu den großen Unternehmen, er hat ja auch die Steuern reduziert. Für den kleinen Mann fällt auch was ab, aber die Masse der Steuerreduktion bedient eindeutig Big Business, und das ist die zweite Gruppe, die ihn unterstützt. Nur, das sind keine Verschwörungstheorien, das wird in Amerika auf dem offenen Marktplatz verhandelt.

    Hermann Theißen:
    Ich will noch mal auf den Irak-Krieg kommen. Es gab ja wechselnde Begründungen für die Kriegsführung. Es gab zunächst den Hinweis, Saddam Hussein habe Massenvernichtungswaffen. Dann wurde darauf hingewiesen, es gebe eine Zusammenarbeit mit terroristischen Netzwerken, dann ging es zwischendurch auch einmal um Systemwechsel, es ging sogar um Menschenrechte, aber es ging auch um einen sozusagen paradigmatischen Versuch von Neuordnung im Nahen und Mittleren Osten. Ist das auch nur eine Idee oder ist das ein Konzept, diese Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens?


    Detlef Junker:
    Aus meiner Perspektive ist das so, das kann man eben auch überall nachlesen in den Schriften der Neokonservativen, aus meiner Perspektive ist das der entscheidende Grund gewesen, um dort einzumarschieren. Das ist eine ganz wichtige Komponente. In diesen Memoranden steht oft ein Satz, der sehr bezeichnend ist: Es kann im Nahen Osten nur Frieden geben, wenn auf beiden Seiten Freiheit herrscht. Das heißt: Auch wenn der palästinensische Staat ein freiheitliches Regime ist, dann kann es dort Frieden geben. Nur, darin ist natürlich zugleich die große amerikanische Utopie enthalten, nämlich dass es möglich ist, in Kulturen, die auf ganz anderen Grundlagen beruhen, so etwas wie das angelsächsische Modell von Freiheit zu exportieren. Das ist ja der Kern der amerikanischen Sendungsidee. Ich darf Sie erinnern: Woodrow Wilson, 1917, Kriegserklärung an Deutschland. Worum ging es aus der Perspektive Woodrow Wilsons? "To make the world safer for democracy.” Das heißt, die Welt für die Demokratie sicherer zu machen. Und der Untertitel meines Buches "Mission" heißt ja, versuchen zu erklären, dass diese Missionsidee der Sendung ein ganz oder vielleicht der wichtigste Teil der amerikanischen Identität ist. Eine ganz andere Frage ist, ob das nicht von vornherein illusionär ist. Also ich persönlich bin der Meinung, es wird scheitern. Wir werden weder in Afghanistan noch im Irak eine Demokratie haben können, aus historischer Perspektive deshalb, weil alle in Jahrhunderten gewachsenen Voraussetzungen der westlichen Demokratien eben dort nicht vorhanden sind. Ein zynischer Amerikaner hat mir mal gesagt: Ja, das ist ja ganz prima da im Irak. 7000 Jahre Kultur, aber kein Tag Demokratie.

    Hermann Theißen:
    Aber das ist ja ganz erstaunlich, dass die normativen Anteile dieses Konzepts so wunderschön klingen, wenn man aber auf die analytischen Anteile guckt, dann sind die überhaupt nicht elaboriert. Dass im Irak keine Zivilgesellschaft vorhanden war, das wurde offensichtlich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.

    Detlef Junker:
    Das ist aber das Wesen der Utopie und der Ideologie: Die Vision der Welt wird beibehalten, sie wird geglaubt, unabhängig davon, was die schlechte Wirklichkeit und die leidigen Tatsachen sagen. Und wir haben ja einen wieder hervorragenden Beweis dafür gehabt. Jeder fragt sich natürlich: Warum, um Gottes Willen, haben die Amerikaner nicht vorausgesehen, dass sie nach dem militärischen Sieg in eine Art Guerillakrieg verwickelt werden. Die Antwort ist ganz einfach: Es gab darüber innerhalb der Administration Diskussionen, und Cheney und Wolkowitz haben gesagt: Wir werden als Befreier begrüßt, es ist nicht notwendig. Es gab auf der anderen Seite eine Tausendseiten-Studie des State-Departments, des Außenministeriums, in der kritisch darauf hingewiesen wurde. Das hat Rumsfeld zur Seite gefegt, er hat ja im Grunde zwei Kriege geführt, einen im Irak und einen gegen das eigene Außenministerium. In der Gruppe, die dort im Irak auftauchte, waren fast alle Vertreter des Außenministeriums verschwunden.

    Hermann Theißen:
    Diese Verblendung, um den Begriff mal zu nennen, hängt - das haben Sie eben selber angesprochen - sicher damit zusammen, was Sie in Ihrem Buch auch im Titel schon als Mission bezeichnet haben, als die amerikanische Mission, und in dem Zusammenhang schreiben Sie unter anderem: "Die amerikanische Nation hat keine Ideologie, sie ist eine." Das sollte aber erklärt werden.

    Detlef Junker:
    Meine Hauptaussage ist - und das ist nun wirklich keine Erfindung von mir, sondern ein wirklich gesicherter Bestand der Forschung -, ist, dass die amerikanische Nation ihre Identität auch durch eine Mission begründet, und diese Mission ist weltgeschichtlich ein Produkt aus Christentum und Aufklärung. Also: Zunächst flohen die Puritaner in die Kolonien, sie wollten das neue Jerusalem herstellen und hatten insofern Missionsvorstellungen. Die Gründungsväter ihrerseits waren Aufklärer in erster Linie, und mit der Unabhängigkeitserklärung verfassten sie ein revolutionäres Dokument für die damalige Zeit, nämlich die Menschenrechte und all diese Dinge, und seitdem ist die amerikanische Identität auf dieser seltsam zivil-religiösen Basis aufgebaut, eine Mischung aus Christentum und Aufklärung. Und das hält Amerika zusammen. Amerika ist eine Ideologie, und das ist auch eine zukunftsbezogene Idee, und sie muss es ja auch tun, weil die Herkunft der Amerikaner ist ja sehr unterschiedlich, aus allen Teilen der Welt, und deshalb kann die amerikanische Identität nur auf die Zukunft gegründet werden. Und das soll eben heißen, dass diese zivil-religiöse Sendungsidee ein Kernbestand der amerikanischen Identität ist, und ich war ein- oder zweimal am 4. Juli auf den Stufen des Kapitols, und dann müssen Sie diese seltsame Mischung aus Coca Cola, Popcorn, Sendungsidee, die Anrufung des "Sweet Land of Liberty", des süßen Landes der Freiheit, dann sehen Sie, das ist der Kern der amerikanischen Identität. Und in dem Sinne meine ich, Amerika hat keine Ideologien, sondern ist eine. Es wurde auch einmal gesagt, wenn man lange genug an einem Amerikaner kratzt, kommt eben der Erlöser zum Vorschein.

    Hermann Theißen:
    Sie sagen weiter, dass neben diesem Missionsgedanken eine andere wesentliche Auszeichnung amerikanischer Politik von Anfang an die Idee der territorialen Ausdehnung war, und da sagen Sie auch. Es ging um Kauf von Territorien, aber die Methoden gingen hin bis zum Völkermord, bis zum Krieg. Gehörte das über die Strecken zum Repertoire? Also war sozusagen der Krieg immer eine Möglichkeit amerikanischer Außenpolitik?

    Detlef Junker:
    Ja. Amerika beginnt als ein Gemeinwesen, das vom Tag der Gründung an auf Expansion angelegt ist. Es beginnt ja schon bei dem Unabhängigkeitskrieg. Im Frieden von 1783 wird eben nicht nur die Unabhängigkeit von England festgeschrieben, sondern die Verdoppelung des Staatsgebietes, die Verdoppelung des Staates Mississippi. Und dann Louisiana. Durch Jefferson wieder eine Verdoppelung, und 1848 ist man nach der Halbierung Mexikos am Pazifik. Und diese Expansion nach Westen ist ein Grundzug Amerikas. Mitte des 19. Jahrhunderts ist man am Pazifik, und sofort bekommt die amerikanische Außenpolitik zwei neue Komponenten, zwei neue Dimensionen, in den Pazifik herein und nach Lateinamerika. Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg hat die amerikanische Außenpolitik eine globale Dimension. Und nun gibt es viele Interpreten der amerikanischen Geschichte und der amerikanischen Außenpolitik, die sagen: Expansion ist ein Wesen Amerikas. Die Amerikaner lieben es, unabhängig im Auto gen Westen zu fahren, und ein Schlager sagt das hervorragend: "Don’t fence me in!" Diese expansive Lebensgefühl ist eben ein Grundgefühl des amerikanischen Nationalcharakters, wenn ich das so sagen darf.

    Hermann Theißen:
    Das heißt, diese Ausdehnung, Globalisierung der amerikanischen Herrschaftsbereiche und Missionsbereiche unter George W. Bush ist dann auch nicht mehr umkehrbar, also es ist unwahrscheinlich, dass diese Politik zurückgenommen wird, also die Hoffnung auf einen Präsidentenwechsel bringt uns auch nicht weiter.

    Detlef Junker:
    Also, dass Amerika sozusagen per Beschluss entscheidet: Wir sind jetzt keine Weltmacht mehr, wir reduzieren unser nationales Interesse per Beschluss auf die westliche Hemisphäre - das ist das, was die Isolationisten in den 30er Jahren wollen - halte ich für ganz unwahrscheinlich, auch unmöglich. Was allerdings mit einem Präsidentenwechsel möglich wäre, wäre ein Wechsel der Methode im Grunde hin zur Außenpolitik des Kalten Krieges, in dem Amerika der wohlwollende Hegemon war, besonders gegenüber Europa, in dem die Interessen der anderen Mitspieler besser bewahrt werden und indem er auch Machtkompromisse macht. Und das wäre meiner Ansicht nach schon qualitativ ein wichtiger Sprung. Auf der anderen Seite wird Amerika die einzige Ordnungsmacht der Welt bleiben, und dort wird es immer die Gefährdung, die Arroganz der Macht geben. Es scheint wohl so zu sein: Macht korrumpiert, und totale Macht korrumpiert total. Und bei Amerika ist die Gefahr der Arroganz der Macht und bei uns Europäern die Arroganz der Ohnmacht. Bei aller Kritik an Amerika, meine persönliche Auffassung ist, wenn diese beiden verbliebenen demokratischen Wohlstandsregionen auf beiden Seiten des Atlantiks, wenn die völlig auseinander driften, dann ist eben kein Weltproblem mehr lösbar, und wir brauchen weder, was ja impliziert ist in dieser Position der Neokonservativen, wir brauchen weder eine neue amerikanische Unabhängigkeitserklärung von Europa noch brauchen wir auf der anderen Seite eine europäische Unabhängigkeitserklärung von den USA, das ist ja eine Position von Habermas und Derrida. Was wir brauchen, ist eine neue transatlantische Erklärung der Interdependenz. Und in diesem Fall stimme ich eben auch mit Reagan überein, der mal gesagt: "It always takes two to tango." Man braucht zwei zum Tangotanzen. Und das wird die Herausforderung der Zukunft sein, Amerika wieder dazu zu bringen, Primus inter Pares zu sein und die Interessen der anderen Mächte einzubeziehen und auch in die Politikgestaltung wieder die Ahnung davon hineinzubringen, dass es andere Kulturen in der Welt gibt, die auf anderen Grundlagen basieren.

    Hermann Theißen:
    Damit grenzen Sie sich ja ganz dezidiert ab von Positionen, auf Deutschland bezogene, auf Europa bezogene Positionen, die ja mehr und mehr Anklang finden. Also Egon Bahr zum Beispiel vertritt ja die Position: Diese transatlantische Wertgemeinschaft existiert schon lange nicht mehr, und deshalb - so auch der Titel eines neuen Buches von ihm - muss es einen deutschen Weg geben, der ein europäischer Weg ist. Es gibt ein Buch von dem Frankfurter Politologen Harald Müller, "Amerika schlägt zurück - die Weltordnung nach dem 11. September", ebenfalls bei Fischer erschienen, Müller hat ähnliche Analysen der aktuellen amerikanischen Politik wie Sie, kommt aber zu anderen Ergebnissen. Auch er fordert eine Distanzierung Europas gegenüber den USA und sagt: Die Europäer müssen ihren eigenen Weg deutlich machen. Davon halten Sie gar nichts?

    Detlef Junker:
    Doch, doch. Ich halte sehr viel davon, dass die Europäer einen eigenen Weg deutlich machen, ich halte auch außerordentlich viel von den analytischen Qualitäten von Egon Bahr, er ist einer der wirklichen außenpolitischen Denker in der Bundesrepublik. Ich halte bloß nichts von der Illusion zu meinen, dass wenn es denn ein aktiveres Europa gäbe, dass man irgendetwas Wesentliches in der Welt gegen Amerika machen könnte. In der Tat, ein verstärktes Europa, der zweite Pfeiler jenseits des Atlantiks als alte Forderung, aber dann in Kooperation mit den USA. Anders kann ich mir das gar nicht vorstellen. Und wir haben also Gefährdungen dieser Kooperation auf beiden Seiten. Sie können ja so mit einer unilateralen Macht, die per definitionem sagt: Ihr seid nur gute Verbündete, wenn ihr das tut, was wir wollen, mit der kann man schwer kooperieren. Auf der anderen Seite glaube ich, wäre das eine gefährliche Selbstüberschätzung der Europäer, dass sie meinten, sie würden sozusagen in machtpolitischen Begriffen etwas schaffen, was besonders auf militärischem Gebiet den USA gewachsen ist, noch zu meinen, man könne Politik gegen Amerika machen. Da ist auch das Machtgefälle in militärischer Hinsicht zu stark, und dann: Wir alle starren wie gebannt auf den amerikanischen Markt und erhoffen uns eine Änderung der deutschen Misere auch dadurch, dass der amerikanische Markt wieder anzieht und dass, wenn Sie wollen, der amerikanische Verbraucher sich wieder hoch verschuldet, der ja sehr viel eher geneigt ist, Schulden zu machen als der Deutsche. Nur in der Hinsicht, ich weiß auch nicht, ob diese beiden Autoren wirklich meinen, Europa könne gegen die USA etwas machen oder ob sie nur dafür plädieren, die deutschen Interessen in Europa deutlicher zu machen und Europa wieder zu einer Gegenmacht werden zu lassen.

    Hermann Theißen:
    Aber was deutlich ist, ist, dass beide davon ausgehen, dass Europa andere Vorstellungen hat von einer guten Weltordnung als die USA und dass es von daher schon der Anstrengung bedarf, europäischer Anstrengung bedarf, diese Unterschiede einfach deutlich zu machen, und da hat man in einigen europäischen Ländern ja den Eindruck, dass man da eher mit Ängstlichkeit umgeht.

    Detlef Junker:
    Für mich gilt immer noch der oft kolportierte Witz von Henry Kissinger, der sagt: "Immer, wenn ich in Europa anrufe, ist auf der anderen Seite keiner in der Leitung." Wir dürfen also bei all dem, was wir wünschen würden im Namen Europas, kein Moment die Augen davor verschließen, dass wir eben bisher keine gemeinsame Sicherheitspolitik haben und dass wir auch keine gemeinsame Außenpolitik haben. Nur im außenhandelspolitischen Sinne agiert Europa teilweise unabhängig gegenüber den USA, aber in anderen breiten Bereichen nicht. Ich sehe genau das Gegenteil. Also wenn Sie genau hingucken: Das alte Problem der britischen Außenpolitik, denn die müsste zu Europa dazu kommen, das sehe ich nicht, und jetzt entdecken die Spanier ihre neue Größe, ihre besondere Mission in Lateinamerika und wollen auf dieser Basis bilaterial mit den USA ins Geschäft kommen. Die ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion haben ein anderes Verhältnis gegenüber den USA, das heißt, ich sehe überhaupt im Moment nicht, dass Europa weltpolitisch in absehbarer Zeit handlungsfähig wird, so gern ich das hätte.

    Hermann Theißen:
    Ich möchte noch mal zurückkommen zur Beschreibung dessen, was Amerika, die USA heute sind. Sie sprechen von "Weltvorherrschaft", grenzen das ab zu "Weltherrschaft", aber auch von der Kategorie, die Sie eben schon gebraucht haben, "wohlwollende Hegemonie". Was sind das für Unterschiede, was bedeutet das?

    Detlef Junker:
    Weltherrschaft oder Imperialismus heißt im traditionellen Verständnis, dass ein Staat einen anderen Staat besetzt und mit unterschiedlicher Intensität beherrscht. Da gibt es also sehr viele Beispiele in der Weltgeschichte. Solche Art von Weltherrschaft streben die USA nicht an, und man kann ja auch nicht sagen, dass Deutschland von den USA besetzt sei. Was sie aber wollen, besonders die Neokonservativen, sind pro-amerikanische Strukturen in der Welt, die auf jeden Fall die vitalen Interessen der USA nicht mehr gefährden können. Also pro-amerikanische Strukturen in der Sicherheitspolitik, in der Wirtschaftspolitik, und dafür tun sie einiges, um diese pro-amerikanischen Strukturen herzustellen. Also es wird offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen, aber die Amerikaner haben ja jetzt militärische Basen als Stützpunkte überall in der Welt, das expandiert. Und das nenne ich Weltvorherrschaft. Sie dominieren die Welt, sind eine Weltvorherrschaft, ohne nun eine imperiale Macht zu sein. Das ist überhaupt ein großes Problem. Obwohl sie diese Weltvorherrschaft anstreben, die Amerikaner, besonders die Regierung Bush, scheut sie in der Selbstbeschreibung das Wort Imperium wie der Teufel das Weihwasser, weil das natürlich auch mit der eigenen freiheitlichen Tradition kollidiert.

    Hermann Theißen:
    Aber im Umfeld, auch im ideologischen Umfeld, ist es ja ganz anders. Ich will noch mal ein Buch ins Spiel bringen, bei der DVA erschienen, "Empire Amerika" überschrieben, "Perspektiven einer neuen Weltordnung", herausgegeben von Ulrich Speck und Nathan Sznajder, und da sind verschiedene Positionen versammelt, die um den Begriff des Imperialismus kreisen, und da fällt schon auf, mit welcher Unbefangenheit, insbesondere in den USA selber, dieser Begriff des Imperialismus heute positiv besetzt wird.

    Detlef Junker:
    Also, ich nehme nicht an, dass irgendein aktiver Politiker dieser Administration ein Beiträger ist.

    Hermann Theißen:
    Das ist richtig.

    Detlef Junker:
    Etwas ganz anderes ist natürlich diese freie Debatte zwischen Intellektuellen und think tanks, und da kann ich mir gut vorstellen, das Wort "informal empire" zum Beispiel ist ein schon lange gebräuchlicher Terminus, um diese informelle Macht der USA zu beschreiben. "Informal empire" im Gegensatz zu "formal empire". Und in methodischer Hinsicht ist ja jeder Wissenschaftler frei, er kann sagen, "empire" soll heißen a, b, c. Und so ist es natürlich auch in diesem Buch, jeder definiert "empire" in seiner Art und Weise, und als Leser kann man das dann mit Gewinn vergleichen. Aber Sie sagen auch zu Recht: Kein einziger, Powell oder Bush, selbst Cheney oder Rumsfeld, würden die Selbstbeschreibung "empire" nehmen. Da muss man schon unterscheiden, aber die akademische Debatte, die ist ja frei, da können Sie jeden Begriff benutzen, den Sie wollen.

    Hermann Theißen:
    Ja, und da wird es ja wirklich inflationär, wir haben es da zu tun beispielsweise mit einem "empire lite". Michail Ignatieff, der Politologe, Menschenrechtsprofessor, der in dieser Woche mit dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet wird, hat das gleichnamige Buch bei der EVA vorgelegt, und da geht es schon darum, dass also Amerika, die USA, eine Ordnungsmacht sein soll, aber dies mit multilateralen Methoden und der Notwendigkeit, nicht nur Regimewechsel zu betreiben da, wo Menschenrechte nachweisbar gefährdet sind oder nicht beachtet werden, dass sie auch "nation building" betreiben muss. Und damit sind wir ja schon wieder auf einer Höhe, die durchaus europäischen Forderungen entspricht.

    Detlef Junker:
    Also, das ist eine der vielen Entwürfe, die es in der gegenwärtigen Debatte in den USA und außerhalb der USA gibt. Was sollen die USA tun? Und dieses "Empire lite", so wie das beschrieben ist, hat ja viele Ähnlichkeiten mit dem wohlwollenden Hegemon des Kalten Krieges, und das Problem der "nation building" ist natürlich besonders problematisch, weil "nation building" natürlich bedeutet: hohe Kosten, vor allen Dingen, dass man möglicherweise ein Land, entweder im Namen der UNO oder unilateral, zehn, fünfzehn Jahre besetzt, die Strukturen aufbaut, sicherstellt, dass in Ländern, die keine freien Wahlen hatten, sich das einspielt, das kostet natürlich alles sehr viel Geld. Und deshalb hat man unter Clinton auch sehr gezögert, und übrigens auch im Wahlkampf hat Bush der Jüngere noch gesagt: Auf keinen Fall "nation building". Das ist eines der Bücher, die eine normative Schneise reinschlagen wollen. Und, wie vorhin gesagt, ob eine zukünftige amerikanische Administration das macht, steht auf einem ganz anderen Blatt.

    Hermann Theißen:
    Und eine andere Frage ist, ob die Amerikaner überhaupt geeignet sind, das zu machen. Jetzt will ich noch ein Buch einbringen. Es ist überschrieben: "Woher kommt der Hass auf Amerika?" Die Autoren sind zwei britische Publizisten: Ziaudin Sardar und Merryl Wyn Davies. Und da wird also aufgezählt, was es alles in der Welt gibt, weswegen die Amerikaner gehasst werden können. Das ist der Einfluss auf die Wirtschaft, die Ausbeutung der Dritten Welt, es ist der Kulturimperialismus, es ist die Arroganz, mit der Amerikaner auftreten, es ist der Provinzialismus, der sich für den Rest der Welt nicht interessiert, und das sind ja alles mehr oder weniger zutreffende Erkenntnisse, die diese Nation nicht gerade prädestinieren für "nation building" in der Dritten Welt.

    Detlef Junker:
    Also, da habe ich das große Privileg, mit Ihnen nicht ganz einer Meinung zu sein. Nehmen wir mal den Wirtschaftsimperialismus. Es ist in der Tat so, dass die USA von einem liberalen Weltwirtschaftssystem hervorragend profitieren. Das machen aber auch wir Europäer. Und es ist eine große Frage in sich selbst, ob Sie sozusagen die Ergebnisse eines liberalen Geldwirtschaftssystems als Wirtschaftsimperialismus beschreiben. Es ist natürlich so: Ich sehe die Defizienzen in der Dritten Welt, fast überall in der Welt, mehr in den internen Bedingungen, also die korrupten Eliten und all diese Dinge, ob es Lateinamerika ist, es ist ja unglaublich. Das würde ich eben nicht Wirtschaftsimperialismus nennen. Kulturimperialismus, ja. Also natürlich hat die amerikanische Vergnügungs- und Unterhaltungsindustrie einen unglaublichen Einfluss. Das hängt damit zusammen, dass Amerika selbst ein globaler Markt ist, weil die Produkte, die in Amerika verkauft werden, die müssen für ein multikulturelles Publikum in den USA anziehend sein, und die Tendenz ist natürlich, den größten gemeinsamen Nenner zu nehmen. Auf der anderen Seite wird niemand in Deutschland gezwungen, die amerikanische Popkultur oder MTV zu konsumieren, sondern es liegt offensichtlich in diesen Botschaften, die die amerikanische Kulturindustrie ausstrahlt, etwas Attraktives für die Jugend weltweit. Also, wenn Sie das Imperium nennen, da müssen Sie aber Empire, Imperium, durch Einladung oder Nachahmung sagen. Sie sehen, dass ich mit diesen Begriffen, die sind polemisch gebraucht, meine Probleme habe. Auf der anderen Seite ist richtig: Natürlich, Amerika ist die mächtigste Macht der Welt, sie hat eine Definitionsmacht, das steht auch in diesem Buch nebenbei drin, und die amerikanische Machtentfaltung und die amerikanische Missionsidee der Freiheit ist das, was in anderen Regionen der Welt auf die größte Kritik stößt. Es scheint wohl so zu sein - das ist ja kein neuer Fall in der Weltgeschichte: Wenn man die Macht hat und auch die Macht zu definieren, dann wird man von den Machtlosen nicht geliebt. So einfach ist das. Also das heißt, natürlich das Faktum, dass die weltweite Kritik an Amerika zugenommen hat, gewaltig in den letzten Jahren, hängt aus meiner Perspektive eher mit dieser unilateralen Politik von Bush zusammen und diesem ganz einseitigen Entwurf einer Weltvorherrschaft als mit dem amerikanischen System selbst.

    Hermann Theißen:
    Dann will ich jetzt am Ende doch noch mal zurückkommen auf die Diskussion "Europa - Amerika". Dieser Ansehensverlust der USA in der Welt - geht der einher mit einem positiven Ansehensgewinn der Europäer? Ich könnte andersherum fragen, vielleicht sind wir dann doch nicht so weit auseinander: In diesem Buch gibt es einen wunderbaren Fehler. Es wird argumentiert: Die Amerikaner mit ihrem Provinzialismus und ihrem Kulturimperialismus - und ein Beispiel dafür ist die orientalische Sängerin - da wirklich überall bekannt - Om Kalsoum. In der deutschen Übersetzung wird aus dieser Sängerin der Sänger. Also von daher scheinen die Europäer ja gar nicht so weit entfernt zu sein, was Provinzialismus und Kulturfixiertheit auf die eigene Kultur angeht?

    Detlef Junker:
    Das scheint so eine anthropologische Grundkonstante des Menschen zu sein. Das, was man selbst kennt, hält man in der Regel für gut. Das Fremde, das andere, erschreckt, und eines der großen Kulturleistungen in der Erziehung eines Menschen ist ja, aus seiner eigenen Perspektive herausspringen zu können und den Perspektivenwechsel nachvollziehen zu können und eine andere Kultur, ein anderes Zeitalter aus der eigenen Voraussetzung zu verstehen. Und da, würde ich sagen, in dieser Hinsicht haben die Amerikaner große Probleme, weil die Bedingung der eigenen Stärke ist das ungebrochene Sendungsbewusstsein. Die Amerikaner sind gleichsam immer auf Sendung, wenn ich das so im Rundfunk sagen darf. Diese Bedingungen der eigenen Stärke sind auch die Bedingungen der eigenen Begrenztheit. Sie können nicht zugleich offensichtlich ihre eigene Sendung vertreten und den anderen in seiner Eigenart voll zur Kenntnis nehmen. Obwohl, das muss ich auch sagen, es gibt eben ja hervorragende Institutionen in den USA, die ein Wissen über die Welt haben, für die es nichts Vergleichbares gibt in einer Region, aber etwas anderes ist noch der allgemeine Amerikaner. Es gab gerade eine Umfrage: Die wenigsten wissen überhaupt, wo der Irak liegt.

    Hermann Theißen:
    Soweit Detlef Junker. Seine Analyse der kontinuierlichen Ausdehnung amerikanischer Interessen und des Territoriums, das die USA mit ihrer Mission beglücken wollen, trägt den Titel "Power and Mission - Was Amerika antreibt". Es ist erschienen im Freiburger Herder Verlag. 191 Seiten, 19,90 Euro.

    Hier nun die bibliographischen Daten zu den anderen in dem Gespräch erwähnten Büchern.

    Eric Laurent ist der Autor von "Die neue Welt des George W. Bush. Die Machtergreifung der Ultrakonservativen im Weißen Haus". Fischer Verlag, Frankfurt, 287 Seiten, 16,90 Euro.

    Diskussionen darüber, ob die US-amerikanische Politik als imperialistisch bezeichnet werden kann, auch Versuche, den Begriff Imperialismus von seiner negativen Konnotation zu lösen, dokumentiert der Band "Empire Amerika - Perspektiven einer neuen Weltordnung". Ulrich Speck und Natan Sznaider haben ihn bei der DVA in München herausgegeben. 223 Seiten, 14,80 Euro.

    Eine historische Perspektive bringt ein Band in diese Diskussion, der in dem Gespräch mit Detlef Junker nicht mehr behandelt, gleichwohl hier genannt werden soll. In seinem Buch "Weltmacht Amerika - Das neue Rom" versucht der Publizist Peter Bender 2000 Jahre zu überbrücken und wagt sich an einen Vergleich zwischen dem Römischen Kaiserreich und der heutigen Politik Washingtons. Dieser Band ist bei Klett Cotta in Stuttgart erschienen. 295 Seiten, 19,50 Euro.

    Ein Plädoyer für eine multinational abgesicherte US-amerikanische Hegemonialpolitik, die vor militärischen Interventionen und auch vor einer zeitlich begrenzten imperialen Herrschaft nicht zurückschreckt, hält Michael Ignatiff in dem Band "Empire lite - Die amerikanische Mission und die Grenzen der Macht." Er ist erschienen bei der Europäischen Verlagsanstalt in Hamburg, umfasst 114 Seiten und kostet 14 Euro.

    Der Frankfurter Politikprofessor Harald Müller ist Autor des Bandes "Amerika schlägt zurück. Die Weltordnung nach dem 11. September". In diesem im Frankfurter Fischer Verlag erschienenen Band fordert Müller unter anderem, die Europäer sollten ihre Vision von einem auf internationaler Zusammenarbeit und auf rechtmäßigen Verfahren beruhenden gedeihlichen Zusammenleben der Staaten schärfer gegen das US-amerikanische Kriegsmodell profilieren. Dieses Buch umfasst 287 Seiten und kostet 12,90 Euro.

    Den Band "Woher kommt der Hass auf Amerika?" schließlich haben die britischen Publizisten Ziaudin Sardar und Merryl Wyn Davies vorgelegt. Zu Klampen Verlag, Springe, 223 Seiten, 14,80 Euro.