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Endet der Alptraum Milosevic?

"Serbiens Tragödie ist die Tragödie des Balkans: Dem serbischen Volk wurde die Chance verwehrt, in freien und fairen Wahlen eine Führung nach seinem Wunsch zu wählen. Niemand wünscht einen fünften Balkankrieg, in den letzten neun Jahren hatten wir vier davon, ein fünfter wäre der gefährlichste."

Wolf Oschlies |
    Richard Holbrooke, US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, aus früheren Missionen aber bestens mit dem Balkan vertraut. Sein skeptisches Urteil über serbische Wahlen könnte an diesem Wochenende eine neue Bestätigung erfahren: Ende Juli wurden für den 24. September drei Wahlen angesetzt: Parlaments- und Präsidentenwahlen der Bundesrepublik Jugoslawien - also Serbien und Montenegro - und Kommunalwahlen in Serbien. Präsident Jugoslawiens ist Slobodan Miloševic, dessen Absichten der montenegrinische Vizepremier Dragiša Burzan so beschrieb:

    "Miloševic hat es eilig, seinen Plan eines Zentralstaats umzusetzen. Er will die Lage zuspitzen, auch mit Waffen, und durch allgemeine Verwirrung sein Mandat verlängern. Alle Ereignisse der letzten Monate bestätigen vollauf unsere altbekannte Ansicht: dass Miloševic keine Mittel scheut, um seine Macht zu erhalten. Das September-Ende kommt ihm gerade recht, denn einen Monat vor den US-Wahlen sind im Ausland kaum Reaktionen zu erwarten."

    Am 24.Juli hatte Miloševic vier Wahlgesetze durch das unter seinem Einfluss stehende Parlament ändern lassen, um per Direktwahl für weitere acht Jahre im Amt bleiben zu können - eben mit diesem gehorsamen Parlament. Milosevic spielt wie immer falsch, sagt der Politologe Dušan Pavlivic:

    "Auf der einen Seite des Schachbretts steht Miloševic mit 16 Figuren, auf der anderen Seite die serbische Opposition mit nur einer Figur. Mit dieser ungleichen Startposition beginnt das Spiel - und eine Minute vor Spielende ändert Miloševic die Spielregeln, und niemand ist da, der ihm das verwehrt."

    Es kann sein, dass er sich verrechnet hat. Vielleicht hat Miloševic seine Wahlausschreibung schon bereut, denn sie könnte der Anfang von seinem Ende werden. Daran kann die Bildung der 26 neuen Wahlkreisen schon einen Anteil haben, die für Ulrich Fischer, Vizepräsident der Internationalen Helsinki-Föderation, Montenegro diskriminiert:

    "Die jüngsten Verfassungsänderungen haben unserer Ansicht nach bewirkt, dass Montenegro nur noch der 27. Wahlkreis in Serbien ist, aber kein gleichwertiger Partner im Bundesstaat."

    Montenegro, der kleine Teilstaat Jugoslawiens, stellt nur sieben Prozent der jugoslawischen Wähler. Die internationale Gemeinschaft hätte es gern gesehen, wenn die montenegrinischen Stimmen, die mehrheitlich der regimefeindlichen Opposition zugerechnet werden, stärker ins Gewicht fallen. So gab es Ratschläge aus dem Ausland, wie Montenegros Präsident Milo Djukanovic am 14. September erläuterte:

    "Die internationale Gemeinschaft versuchte, uns zu überzeugen, an den sogenannten Bundeswahlen teilzunehmen. Ich verstehe ihre Absicht, durch Wahlen die Diktatur von Herrn Miloševic zu stürzen. Aber ab dem ersten Tag habe ich allen Politikern gesagt, dass diese Taktik für Montenegro inakzeptabel ist. Wir sind überzeugt, dass wir durch Wahlbeteiligung die konstitutionelle Gewalt legitimieren würden, die Herr Miloševic seit Anfang Juni gegen Montenegro anwendet. Mit seinen Verfassungsänderungen ist die Bundesrepublik Jugoslawien endgültig zerstört worden. Ich denke, die wichtigsten Politiker im Ausland haben unsere Argumente sehr gut verstanden, denn sie haben bald aufgehört, Montenegro zur Teilnahme an diesen Wahlen zu drängen."

    Wer möchte, kann in Montenegro wählen - obwohl die Provinz die Wahlen offiziell boykottiert. Die Folgen dessen erklärt der angesehene Soziologe Vladimir Goati:

    "Weil die Montenegriner nicht wählen, ergibt sich für die Bundeswahlen eine neue Lage, da Montenegros 50 Parlamentssitze verloren gehen. Sie gehen an die Regierungskoalition, und das ist so, als hätte jemand bei einem 100-Me-ter-Lauf 30, 40 Meter Vorsprung."

    Die Demokratische Opposition Serbiens (DOS), aus 18 Parteien gebildet, nahm es gelassen. Chef ihres Wahlstabs ist der in Deutschland gut bekannte Zoran Djinjic, Vorsitzender der Demokratischen Partei, der seit Juli Opposition und Wähler auf ein Ziel einschwört:

    "Es geht um ein Referendum über und gegen Miloševic und über die Zukunft Serbiens: Wir wollen, dass dieses isolierte Land ohne Verbündete und ohne Zukunft nach Europa zurückkehrt."

    Allerdings läuft die Amtszeit Milosevics formal bis zum Juni des kommenden Jahres. Man wird abwarten müssen, wie sich dies auswirkt. In jedem Fall ist die Präsidentenwahl das alles entscheidende. Vier Kandidaten stellen sich ihr: Miloševic für seine Sozialisten (SPS) und die Vereinte Linke (JUL), deren Chefin seine Frau Mira Markovic ist, während der dritte Regierungspartner, die Radikalen (SRS) des Vojislav Šešelj, den Bautechniker Tomislav Nikolic, 1952 geboren, aufstellten. Auch die größte Oppositionspartei, die Serbische Erneuerungsbewegung (SPO) des Literaten Vuk Draškovic, nominierte mit Vojislav Mihajlovic, Jahrgang 1951 und seit Januar 1999 Oberbürgermeister von Belgrad, einen eigenen Kandidaten. Eigentlicher Oppositionskandidat ist jedoch der 1944 geborene Jurist Vojislav Koštunica, seit 1992 Chef der Demokratischen Partei Serbiens. Art und Aussichten dieses Quartetts wertete der Psychiater Jovan Maric:

    "Die Kandidaten Vojislav Mihajlovic und Tomislav Nikolic sind nur Ersatzleute, weil ihre Parteichefs sich nicht einschalten können oder wollen. Alles läuft auf eine Abrechnung zwischen Slobodan Miloševic und Vojislav Koštunica hinaus. Für mich ist Miloševic ein Mann von emotionaler Härte, unspontan bis fast zum Autismus: er redet wenig, taucht in der Öffentlichkeit selten auf. Er umgibt sich mit einer geheimnisvollen Aura, weil er weiß, dass so etwas bei Serben immer ankommt. Aus seinen Taten wird aber klar, dass mit ihm der Verfall weitergeht, die ganzen Lügen und falschen Versprechungen. Ökonomisch können wir unter ihm nicht überleben. So etwas kann man Vojislav Koštunica nicht anhängen: Er ist friedfertig, konsequent, seriös, ehrlich - einfach so gut wie sein Wahlslogan: Der darf euch immer in die Augen schauen."

    Weil die Menschen in Serbien einfach Angst haben, sind Meinungsumfragen sehr schwierig. Hinzu kommt, dass viele, zumal Jüngere, noch unentschlossen oder gänzlich wahlabstinent sind, so dass kann man Prognosen kaum wagen kann. Srbobran Brankovic und sein Belgrader Median-Institut haben dennoch Umfragen durchgeführt:

    "Koštunica ist auf dem Land etwas schwächer als in der Stadt, besiegt aber auch dort Miloševic mit 29 zu 26 Prozent, während er in Städten mit 38 zu 23 Prozent führt."

    Koštunica wird im ersten Wahlgang rund acht Prozent vor Miloševic liegen, aber es wird ein zweiter Urnengang nötig werden, weil keiner der Kandidaten sofort eine absolute Mehrheit erwarten kann. Dieser zweite Wahlgang ist noch nicht terminiert. Den sollte die Opposition überzeugend gewinnen, da das Gros der Wähler des SPO-Kandidaten Mihajlovic zu ihr stoßen wird. Auch Seseljs Radikale wagen den Konflikt: Sie sperrten das Milosevic-hörige Staatsfernsehen von ihren Veranstaltungen aus, versagten dem Präsidenten die Unterstützung im zweiten Wahlgang und schlugen kesse Töne an. Kandidat Nikolic erklärte am 13. September:

    "Nach dem Bundeswahlen empfehlen wir allen Parlamentsparteien in Jugoslawien eine Koalition, damit nicht mehr eine Partei allein das gesamte Leben der Bürger monopolisiert."

    Am Vorabend der Wahl sieht es so aus, dass Miloševic kaum eine Chance hat, die Wahl an den Urnen zu gewinnen. Dušan Lazic, Ex-Botschafter Jugoslawiens in Moskau, meint, er habe diese Chance nie gehabt:

    "Es ist doch eine Tatsache, dass die ökonomische und soziale Lage im Land mit jedem Tag schlimmer wird. Mir scheint, dass unter den Wählern das Bewusstsein wächst, dass dieses Regime nicht die grundlegenden Lebensprobleme des Volkes lösen kann. Im Wissen um diese Entwicklung wechselt es die These und offeriert den Leuten bei den Wahlen etwas, was die im Moment gar nicht berührt."

    Für den Wiederaufbau nach den NATO-Bomben, mehr noch für den Wahlkampf hat Miloševic die Notenpresse angeworfen: Die Geldmenge hat sich seit Jahresbeginn um fünf Milliarden auf 22,5 Milliarden Dinar erhöht, was Industrieprodukte um 103 Prozent, Nahrungsmittel um bis zu 87 Prozent verteuerte und Serbien im Dezember eine dreistellige Inflationsrate einbringen wird. Das Regime sucht unter so verheerenden Umständen Zuflucht zu blinder Hetze gegen Gegner im In- und Ausland.

    "Verräter wollen auf Befehl der NATO-Allianz unter dem Programm der sogenannten Demokratischen Opposition Serbiens die Ziele der NATO-Aggression realisieren. Was die Bomben und der Terror im Kosovo nicht geschafft haben, soll jetzt durch billige, käufliche Politiker erreicht werden. So etwas hat in Serbien nie geklappt und wird es auch jetzt nicht."

    So Ende August Gorica Gajevic, Generalsekretärin von Miloševics Sozialisten; dessen Frau Mira Markovic äußerte sich ganz ähnlich:

    "Ich bitte euch, denkt daran, dass ihr zwischen Freiheit und Sklaverei wählt, zwischen Krieg und Frieden, zwischen dem Bösen und dem Guten."

    Am 12. September griff Miloševic erstmals in den Wahlkampf ein. Bei der Eröffnung des Donau-Kraftwerks sagte er:

    "Bei allen unseren Anstrengungen und Erfolgen gab es auch solche Leute, die unseren Aufbau gering achteten und auslachten. Das sind nur minderwertige Schwächlinge. Weil sie am Aufbau nicht teilnahmen, sind sie aus dem gesamtnationalen Werk ausgeschlossen, das die ganze Welt beachtet."

    Wenngleich diese Propaganda von vielen als lächerlich angesehen wird, ist sie auch sehr gefährlich, weil hier ein Diktator mit dem Feuer spielt. Von Miloševic setzen sich mittlerweile engste Freunde ab, etwa sein Vorgänger Zoran Lilic, der alle Parteifunktionen niederlegte. Er ist am Ende, aber wird das Ende ruhig?

    "Miloševics Unterstützung im Volk ist heute so gering, dass er in normalen Demokratien damit nicht an der Macht bleiben könnte. Es wachsen Zorn und Unzufriedenheit im Volk, was sehr gefährlich ist: Wenn sich Zorn und Unzufriedenheit nicht artikulieren können, kann sich das Volk in ein alles zerstörendes Erdbeben verwandeln."

    So 1999 Ivan Stambolic, zwölf Jahre zuvor starker Mann Serbiens und politischer Ziehvater Miloševics, dessen Förderung er bald darauf seinen größten Fehler nannte. Die Opposition hätte Stambolic gern an ihrer Spitze gesehen, aber seit Ende August fehlt jede Spur von ihm. Vermutungen gehen dahin, dass die Miloševic-Clique ihn verschwinden ließ. Je näher die Wahlen kamen, desto gewalttätiger wurden die Aktionen der Milosvic-Getreuen. Miloševics Anhänger bewarfen Oppositionskandidat Koštunica in Kosovska Mitrovica mit Steinen, was den sonst so beherrschten Spitzenkandidaten zornig reagieren ließ:

    "Miloševic ist ein Feigling und Verräter, nichts sonst. Fürchtet euch nicht vor diesen Steinewerfern, ich fürchte mich auch nicht."

    Koštunica gilt nicht als Feigling, aber es fragt sich, ob er die internationale Einstellung zu Serbien richtig sieht:

    "Die Menschen hier kann nur der schützen, der ins Kosovo kommen und mit der internationalen Gemeinschaft reden kann. Miloševic kann gar nichts, er ist von der Welt und von seinem Volk isoliert, er ist das Verderben Serbiens."

    Kustonica sieht sich in dieser Rolle des Gesprächspartners für das Kosovo und die Staatengemeinschaft. Deren illusionslos schlechte Meinung über das Milosevic-Regime ist gerade in den letzten Wochen durch deutliche Aussagen vieler Spitzenpolitiker belegt worden. Offene Unterstützung für die Milosevic-Gegner gab es jedoch bislang kaum. Und dann schrieb Bodo Hombach, Beauftragter für den Stabilitätspakt Südosteuropa, gestern in der Belgrader Tageszeitung Blic einen kleinen Artikel, der der letzte Nagel zu Milosevics Sarg werden könnte. Früher, so Hombach, haben Ostdeutsche, Polen Tschechen etc, Jugoslawien ob seines hohen Lebensstandards bewundert. Nach zehn Milosevic-Jahren ist Jugoslawien das "Sirotiste Evrope", das Armenhaus Europas, während das restliche Südosteuropa dank Geldern aus dem Stabilitätspakt, allein im laufenden Jahr rund fünf Milliarden Mark, prosperiert. Und: Europa wartet mit Ungeduld, das Spannung, darauf, auch für ein demokratisches Jugoslawien Geld auszugeben. Hombach wörtlich:

    Die EU-Kommission beabsichtigt, diesen Neuanfang mit über vier Milliarden Mark zu unterstützen - unter der Voraussetzung, dass eine friedliche und demokratische Umgestaltung beginnt.

    Soweit Hombach. Endet jetzt das Schicksal der Serben, das Montenegros Parlamentspräsident Svetozar Marovic unlängst bei einem Parlamentariertreffen in Zagreb so beschrieb:

    "Montenegro ist stolz auf sein gutes Verhältnis mit der Welt, mit Europa. Leider ohne Serbien, dessen Volk es gewiss nicht verdient, wegen eines Mannes bestraft zu werden."

    Wenn die internationale Gemeinschaft die Führung und das System Montenegros wirklich als Alternativen zum Miloševic-Regime sieht, sollte sie ihre Unterstützung verstärken. Stattdessen stiften Miloševics Schläger Unfrieden im Kosovo, UNMIK und KFOR demonstrieren Zurückhaltung bei diesen Präsidentenwahlen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Den Nutzen davon hat vor allem der Belgrader Diktator. Ihn hatte die Kontaktgruppe noch am 15. September vor dem Versuch gewarnt, die Wahlen zu fälschen. Diesen Plänen wollen Miloševic-Gegner vorbeugen: verstehen können:

    "Wir haben Informationen und Beweise für vorbereitete Wahl-Manipulationen und Betrügereien größten Ausmaßes. Zum Glück haben wir dieses Jahr die beste Wahlkontrolle, die die Opposition jemals aufgestellt hat. Mit aller Verantwortung kann ich Ihnen sagen, dass wir eine solide Kontrolle über 98,2 Prozent aller Wahllokale in Serbien (ohne Kosovo) ausüben."

    So der oppositionelle Wahlmanager Zoran Djindjic, der auch um die Rolle des Kosovo in Miloševics Plänen weiß. Das Belgrader Regime hat das gesamte Kosovo in den beiden neuen Groß-Wahlkreisen 24 (Prokuplje) und 26 (Vranje) aufgehen lassen. Für Djindjic riecht das nach offener Manipulation:

    "Die demokratische Opposition Serbiens wird nur solche Stimmen anerkennen, die in regulären Wahllokalen abgegeben wurden. Wenn Herr Miloševic glaubt, aus irgendwelchen Löchern und Bunkern im Kosovo Stimmen herausholen zu können, dann ist das Betrug: Der Präsident Jugoslawiens wird nicht von 500.000 fiktiven Miloševic-Anhängern unter Albanern gewählt."

    Aber es gibt Hinweis, dass er es probieren wird. Er wird, so fürchtet Marko Blagojevic vom Zentrum für freie Wahlen und Demokratie, Hunderte Stimmen aus menschenleeren Bergdörfern und möglicherweise Hunderttausende aus der Armee herbeizaubern:

    "Die Armee stimmt in der Kaserne, in Militäreinrichtungen etc. ab. In jeder Kaserne wird dafür ein eigenes Wahlorgan geschaffen. Aber nirgendwo steht, wer diese Organe erstellt."

    Damit hat das Wahlverfahren in den Streitkräften die Milosevictreue Armeeführung in der Hand. Sie hat zwar erklärt, dass sie einen demokratisch errungenen Wahlerfolg der Opposition akzeptiert, aber sie wird alles unternehmen, damit es dazu nicht kommt. Ganz allein müssen die Serben mit Miloševic fertig werden. Es bleibt fraglich, ob sie es können. Aber sie wollen es, wie Umfragen belegen. Am 6. September haben alle Oppositionspolitiker im Belgrader Sava-Center ein symbolisches Abkommen mit Serbien signiert, mit dem sie sich zu Demokratie, Reformen und Europa-Öffnung verpflichteten. Präsidentschaftskandidat Koštunica fügte noch ein bewegendes Versprechen hinzu:

    "Ich gebe dem Volk mein Wort, dass ich mich im Einklang mit göttlichen und menschlichen Gesetzen bemühen werde, unseren Staat aufs beste zu ändern, aber ich werde nicht zulassen, dass die Macht mich verändert."