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Endlich Journalist sein

Jahrzehntelang wurden tunesische Journalisten zensiert, unterdrückt, verfolgt, eingesperrt und gefoltert. Oder sie fügten sich einfach der staatlichen Propaganda. Nun müssen sie lernen mit der neuen Freiheit umzugehen.

Von Alexander Göbel | 05.03.2011
    Fahem Boukadous genießt das Sonnenlicht. Er kann es immer noch nicht glauben. Er sitzt tatsächlich in einem Café auf der Avenue Bourguiba und atmet die Freiheit. Gegenüber, auf der anderen Seite der Flaniermeile von Tunis, versteckt sich hinter Stacheldraht das Innenministerium - bis vor kurzem noch "Haus des Schreckens" genannt. Ein Ort des Grauens für alle, die gegen Ben Ali gekämpft haben - auch Journalisten wie Fahem. Über zwanzig Jahre lang hat er den Präsidenten kritisiert, wann und wo er konnte. Dafür hat er teuer bezahlt – mit Gefängnis und Folter. Fahems Blick verrät, dass er unvorstellbare Qualen erlitten haben muss. Aber reden will er darüber nicht mehr.

    "Das Regime hat mich immer als Aktivisten, als Terroristen gebrandmarkt. Nun darf ich endlich sein, was ich schon lange bin, und das ist ein großartiges Gefühl: Fahem Boukadous ist jetzt ganz offiziell ein Journalist in Tunesien."

    Fahems enger Freund Slim Boukhdhir nickt anerkennend und lächelt, fast zahnlos. Auch er ist gezeichnet von Jahren des harten Pressekampfes gegen das Regime. Der Zeitungsjournalist, der sich selbst "la plume libre" nennt, die freie Feder, ist froh über die Aufhebung der Zensur. Und darüber, dass Tunesiens Journalisten trotz aller Repression nie aufgegeben haben.

    "Ich sage immer: Man muss viele Eier zerschlagen, um ein Omelette zu braten. Aber ich hätte nie gedacht, dass man mir so oft die Nase brechen muss, bis wir hier endlich die Revolution haben.""
    Ein paar Hundert Meter weiter – der Sitz der Tageszeitung La Presse Tunisie. Fouzia Mezzi ist müde – viel Schlaf bekommt die neue Chefredakteurin in diesen Wochen nicht. Sie muss ein Jahrzehnte altes System auf den Kopf stellen, Vertrauen schaffen, aufräumen in einem Zeitungshaus, das zur Propaganda verdammt war, so wie der gesamte Blätterwald der Ben Ali-Diktatur. Kein leichter Job. Erste Maßnahme: Kurz nach dem Fall des Regimes hat die Redaktion vor laufenden Kameras ihren ehemaligen Direktor davon gejagt.

    "Wir haben alle eine journalistisches Berufsethos, das wir niemals anwenden durften – und jetzt, mit diesem Tsunami der Revolution, ist alles anders. Jetzt müssen wir beweisen, wie wir es mit den Werten unseres Berufes halten. Aber wie geht man mit dieser Freiheit um? Wir müssen ganz neu lernen, frei zu sein, mit anderen Meinungen umzugehen, Kontroversen auszuhalten. Wir müssen uns in einer pluralistischen Gesellschaft zurechtfinden. Mehr als 20 Jahre lang waren das nur leere Worte für uns."

    Der Weg in die Freiheit ist steinig für La Presse Tunisie. Nach dem Sturz von Ben Ali wollte niemand mit La Presse- Journalisten sprechen – zu tief saß das Misstrauen der Tunesier. Kein Wunder, nach mehr als 20 Jahren Lügen und Schönfärberei, mit dem täglichen Foto des Ex-Präsidenten auf der Titelseite. Ein paar Kollegen hat Fouzia Mezzi nun beurlaubt. Die Chefredakteurin nennt sie die "Kadavertreuen". Sie konnten sich einfach nicht an die Zeitenwende anpassen. Andere wiederum, sagt sie, hätten einfach einen Schalter im Hirn umgelegt.

    "Vor dem 14. Januar haben sie noch Propaganda gemacht, am nächsten Tag haben sie die Rolle rückwärts vollzogen und haben das Gegenteil geschrieben. Das war ein Schock für viele. Wir müssen uns langsam an dieses neue Leben gewöhnen. Wir haben keinen Zauberstab, mit dem man alles von heute auf morgen ändern kann. Wir brauchen noch viel Zeit."

    In der Redaktion von Tunivisions geht man da zwar genauso professionell, aber vergleichsweise unbekümmert ans Werk. Denn Tunivisions, Print-Magazin und zugleich interaktive Website, richten sich an ein jüngeres Publikum der Bildungselite. Thema ist alles was auf Twitter oder Facebook Thema ist: Politik, Kultur, Wirtschaft, Lifestyle. Marketingchef Houssem Aoudi sieht Tunivisions als Sprachrohr der Jasmin-Revolution und als ideale Spielwiese für den Nachwuchs. Er ist überzeugt, dass Journalisten wie Fahem Boukadous oder Slim Boukhdhir die Jungen inspiriert haben. Und das sei eine sehr gute Nachricht für die Zukunft der Pressefreiheit in Tunesien.

    ""Nicht jeder ist automatisch qualifiziert, um über Politik oder Wirtschaft zu schreiben. Aber man sieht in Tunesien gerade, dass gerade die jungen Leute unglaublich kreativ sind. Sie wollen sich unbedingt ausdrücken. Und das ist großartig. Es wird sehr wertvoll für die Entwicklung der Medienlandschaft sein. Wir lernen gerade alle, wie man journalistisch arbeitet. Die Revolution hat uns schreiben gelehrt.""