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Endlich wieder Runge

Vor 200 Jahren verstarb der frühromantische Maler Philipp Otto Runge in Hamburg an Tuberkulose. Die Hamburger Kunsthalle erinnert mit einer umfassenden Retrospektive an den norddeutschen Künstler, den sie zuletzt 1977 mit einer bahnbrechenden Ausstellung gewürdigt hatte.

Von Carsten Probst |
    Es gehört zu den wichtigen Details dieser Ausstellung, dass sie in der Galerie der Gegenwart, also dem Haus für Gegenwartskunst und nicht etwa im alten Hauptgebäude der Hamburger Kunsthalle zu sehen ist, wo die sogenannten Alten Meister normalerweise zu Hause sind. Philipp Otto Runge soll in einen Dialog mit der Gegenwart gebracht werden, obwohl Morgenröten, rosige Putten und metaphysische Kinderidyllen für diejenigen, die Runges Werk bisher nicht kennen, aus der Perspektive der Gegenwart möglicherweise erst einmal befremdlich wirken. Aber wer sich die Zeit nimmt und in den hervorragend durchgeführten, sorgfältigen Parcours dieser Ausstellung einsteigt, wird bald der Faszination auch all jener erliegen, die Runge schon lange als einen auch heute noch und wieder aktuellen Künstler sehen und vor der erfinderischen Vielschichtigkeit seines eigentlich schmalen Oeuvres immer wieder nur staunen können. Darum ist es eigentlich schade, dass 33 Jahre vergehen mussten, ehe sich die Kunsthalle nach Werner Hofmanns bahnbrechender Runge-Schau von 1977 wieder in Ausführlichkeit widmet. Runge kann man öfter sehen.

    Natürlich ist sein schmales, malerisches Hauptwerk auch in dieser Ausstellung wieder prominent platziert, mit schönen Sichtachsen zwischen Landschaften, mythologischen Szenen und seinen berühmten Selbstporträts. Natürlich wird man auch auf den "Kleinen" und "Großen Morgen" und die "Hülsenbeckschen Kinder" und die Jahreszeiten hingeführt, doch ist man zugleich allüberall umgeben von Studienzeichnungen, Vorskizzen, vorformulierten Ideen und Grundlagen der Farbe, die den Bildern eine andere Struktur unterlegen. Im Flechtwerk des Biografischen und Ideellen erscheint Runge selbst als ein Analytiker der Farbe, des Lichtes und der Figurenkomposition, geht er von einer Totalität der Bildrepräsentationen, die makrokosmische Züge trägt und nicht von ungefähr manches vom Pathos des Gesamtkunstwerkes vorwegnimmt, das eigentlich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts und erst recht im Jugendstil und in der klassischen Moderne ausformuliert wurde. Runges malerische Praxis basierte eigentlich auf seiner zeichnerischen Erfindungsgabe, beeinflusst unter anderem von Tischbein und John Flaxman. Runges Ideen einer ornamentellen Gesamtumgebung für ein Bild, das massenweise Durchpausen und Kopieren von Figuren, ihr geradezu seriell anmutendes Arrangement auf der Leinwand, das Einsetzen gemalter Zierrahmen als zweiter Ebene der Bildpräsentation - alles das lässt ihn wie einen frühen Konstruktivisten erscheinen. Der romantisch-stimmungshaften Sujets bedient Runge sich nicht zuletzt um für das Publikum eine scheinbar leicht zugängliche, verführerische Oberfläche zu erschaffen, die dann in die metaphysischen Schichten, den Verweis auf das göttliche Ganze hineinziehen sollte. Aufschlussreich für das Publikum ist auch die Erinnerung an Runges künstlerische Entwicklung, die - typisch romantisch - von der Lossagung von den klassischen Bildthemen der antiken Mythologie in der Goethezeit. Runge scheiterte früh bei entsprechenden Wettbewerben, weil seine Figuren zu statisch, zu staffagenhaft wirkten und weil er die Inbrunst der Antikenaneignung als gelebte Idealität im Bild nicht mehr teilen konnte. Für Runge begann das Bild eigene Gesetze zu entwickeln, sich in seinen Idealen von der Realität abzulösen - weshalb man ihm früh vorwarf, was man heute "L'art pour l'art" nennt.

    Die Runge-Schau entfaltet - ihrem Titel gemäß - einen bürgerlichen Kosmos der Romantik. Zugleich aber ist sie immer noch und immer wieder Spiegelbild und faszinierendes Kaleidoskop der Gegenwart nach dem Ende der bürgerlichen Kunst.