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Endspurt in Hessen

Am 22. September stimmen die Hessen parallel zur Bundestagswahl auch über ihr neues Landesparlament ab. SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel verspricht: Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei soll es nicht geben. Das löst bei vielen Wählerinnen und Wählern ein Dejá Vu aus.

Von Anke Petermann |
    Rote Wachstuchdecken auf den Biertischen, am Rand einer mit Brötchen und Mettwurst: Die Genossen im südhessischen Pfungstadt haben das alte Elektrizitätswerk aufgehübscht, um ihren Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel zu empfangen. Und während die Pfungstädter Sozis darauf warten, dass ihr Frontmann eintrifft, tauschen sie Befindlichkeiten aus. Die Stimmung:

    "Euphorisch, wir sind fest überzeugt, dass wir das packen."

    "Nervös, na ja, es wird spannend."

    Mit Blick auf die neue Wahlfreiheit beim umstrittenen Turbo-Abitur und andere Last-Minute-Nachbesserungen schwarz-gelber Politik in Hessen bemerkt Heike Usmar vom SPD-Ortsverein halb amüsiert, halb verärgert:

    "Das sind wir von der Bundesebene gewöhnt. Da wird links überholt, wenn auch nur ein Platz gesehen wird. Das finde ich nicht überraschend. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit."

    Die steht jetzt auch für Thorsten Schäfer-Gümbel auf dem Spiel, wenn es für Rot-Grün bei der hessischen Landtagswahl nicht reicht. Dann würde der 43-jährige Politologe Ministerpräsident Volker Bouffier lieber ohne Mehrheit weiter regieren lassen, anstatt eine mögliche rot-rot-grüne Mehrheit für den Machtwechsel zu nutzen. Das brüskiert insbesondere die Gewerkschafter in der Partei, die 15 Jahre lang auf die Arbeitnehmerfeindlichkeit der Hessen-CDU geschimpft haben. "Idiotisch" hört man sozialdemokratische Arbeiterführer hinter vorgehaltener Hand mäkeln. Die meisten Wartenden in Pfungstadt aber halten lieber den Ball flach. Wie Astrid Rumpf und Inge Neff:

    "Ich sage dazu nichts, ich denke, es wird demokratisch gewählt und was die Politik dann daraus macht, ist ihre Verantwortung."

    "Das kommt aufs Ergebnis an und ob's Koalitionen gibt und welche Koalitionen. Ich glaube, das entscheidet sich dann erst nach der Wahl."

    Die SPD-Basis - zu allem bereit. Nur wenige plädieren dafür, die Linke links liegen zu lassen, und zwar auch dann, wenn die Sozialdemokraten Schwarz-Gelb nur mit ihrer Hilfe verhindern können. Aber wäre es denn strategisch nicht besser gewesen, wenn ihr Spitzenkandidat sich weiterhin alles offen gehalten hätte? Damit die SPD nicht wie nach der letzten Wahl eine Wortbruch riskiert? Die Genossinnen Rumpf und Neff schweigen betreten. Nur ein Jüngerer im TSG-Wartespalier redet Klartext:

    "Vor vier Jahren wäre der Wechsel in Hessen zumindest möglich gewesen, hat halt nicht geklappt, war halt schade, aber mein Gott. Und wenn es eine Mehrheit links gibt, dann könnte man es ja auch durchaus durchziehen und die Mehrheiten nutzen, wie sie dann sind. Man hat gesehen in NRW hat es für Rot-Grün dann später in der vorgezogenen Landtagswahl gereicht. Also von daher kann man ja sehen: Man kann gute Politik machen, auch wenn man sich eine Mehrheit beschafft, die nicht gewollt ist, die da ist. Ich halte das auch für durchaus legitim. Es hat schon immer Minderheitsregierungen gegeben, nicht nur in Deutschland. Warum sollte man es dann nicht trotzdem machen."

    Da fährt der Bus vor. Thorsten Schäfer-Gümbel samt Presse- und Wahlkampf-Tross steigen aus. Kurze Frage: Nimmt er den parteiinternen Unmut über seinen Strategiewechsel ernst? Der Spitzenkandidat weicht aus:

    "Es ist völlig klar, wir haben immer gesagt, und insofern gibt's dazu auch nichts Neues zu sagen: Wir wollen eine rot-grüne Regierung bilden, weil wir eine stabile Regierungskonstellation brauchen. Das ist der Politikwechsel für Hessen. Die Alternative ist Schwarz-Gelb oder Rot-Grün. Sie ist Volker Bouffier oder Thorsten Schäfer-Gümbel."

    Keine Antwort ist auch eine Antwort. Der Linken durch systematische Nichtbeachtung die entscheidenden Prozentpunkte beim Wählerpotenzial abzujagen – mit Schäfer-Gümbels Vorgängerin Andrea Ypsilanti war dieser Versuch gescheitert. Eilig stürmt der jetzige Spitzenkandidat in die Halle:

    "Der Wechsel ist in Sicht, der Wechsel ist möglich","

    betet Schäfer-Gümbel ins Mikrofon. Die Gretchenfrage: "Wie hältst du's mit der Linkspartei", stellt keiner im Publikum. Erst zurück auf dem Weg zum Bus gibt's von Walter Hübenbecker doch noch Saures.

    ""Ich hab zu ihm gesagt: Sie sollen aufhören mit der 'Ausschließeritis', mit wem sie nicht wollen und können, weil: Wir brauchen eine Politik links von CDU und FDP."

    Und was hat der SPD-Spitzenkandidat geantwortet?

    "'Das geht nicht' und hat keine Begründung abgegeben, das ist klar. Aber dann muss er sich natürlich fragen lassen, ob er wirklich Politik links von CDU und FDP machen will. Das scheint wohl schwierig zu sein."

    Nicht, dass hier der Eindruck entsteht, es keime eine sozialdemokratische Rebellion gegen seinen Kurs. Schäfer-Gümbel dreht sich kurz noch einmal um, zeigt feixend zu seinem Kritiker:

    "Er ist Kandidat von der Linken, das muss man dazu wissen."

    Walter Hübenbecker lacht. Er ist der örtliche Direktkandidat für die Linke bei der Bundestagswahl. Zwanzig Jahre lang war er selbst Sozialdemokrat, bis zu Schröders Agenda 2010. Die Absage von Schäfer-Gümbel an die Linke nimmt der Gewerkschafter gelassen.

    "Ach, für uns war das kein schwerer Schlag. Sondern es ist möglicherweise eher für die Sozialdemokratie kein gutes Bild. Ich krieg' immer wieder, wenn ich auf Podien bin und zu dieser Frage Position beziehe, immer wieder Beifall.
    - Von ihrer eigenen (Partei)?
    - Nein, net nur von meinen eigenen! Selbst von Sozialdemokraten!"

    "Beim Experiment mit der Linken haben wir uns schon mal zerlegt", gibt ein Genosse nach Schäfer-Gümbels Abreise zu bedenken. Der neue TSG-Kurs – schon in Ordnung, findet er. In ihrem Verhältnis zur Linkspartei bleiben die hessischen Sozialdemokraten gespalten und widersprüchlich. In dieser Hinsicht, meinen hessische Linke, ist auf die SPD durchaus Verlass.