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Endzeitstimmung

Also "gekämpft" haben wir ein Jahr. Und das haben wir ja auch erfolgreich – na ja: erfolgreich nicht – also: wir haben ein Jahr versucht, die Krise abzuwenden. Da haben wir auch zusammen richtig gekämpft, das haben wir auch gut gemacht. Nur geschafft haben wir’s nicht.

Von Karin Lamsfuß |
    Ralf Plachetka, Geschäftsführer der Studiosysteme Schell GmbH, einer mittelständischen Kölner Firma, die technisches Zubehör an Filmproduktionen, Hochschulen und Werbung verkauft. Ein florierendendes Unternehmen. 40 Mitarbeiter.

    Noch vor zwei Jahren blickte Ralf Plachetka optimistisch in die Zukunft: Zuwächse von 15 Prozent pro Jahr. Das Unternehmen gedieh fast von alleine. Gründung einer Zweigstelle in Berlin, neue Arbeitsplätze entstanden. Sonderzahlungen für die fleißigen Mitarbeiter. Das war vor der Krise. Dann sanken die Umsätze.

    Globale Wirtschaftskrise, starker Euro, Konsumflaute, schlechte Zahlungsmoral, restriktive Kreditvergabe der Banken - das treibt immer mehr Firmen in den Ruin. 39.700 haben laut Creditreform im letzten Jahr einen Insolvenzantrag gestellt. Das sind 5,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Insgesamt haben sich die Insolvenzen innerhalb der vergangenen 10 Jahre mehr als verdoppelt. Vor allem trifft es kleine und mittelständische Firmen.

    Ja, uns war schon klar, was passiert. Weil dadurch, dass wir halt nicht so’ne große Firma waren, hat natürlich auch jeder gemerkt, dass da irgendwas langsam aber sicher den Bach runtergeht. Also man natürlich genau bei den Verkaufszahlen gesehen, dass die zurückgegangen sind, und der Technik war’s klar, die hatten halt weniger zu montieren, das was schon klar: es ist nicht mehr so wie’s mal war.

    Delia Vohl, 35. Vertriebsassistentin und Controllerin. Die studierte Betriebswirtin stand noch ganz am Anfang ihrer Karriere, steckte alle Energie in ihre Arbeit, war voller Elan.
    Hätte man ihr damals gesagt, dass die Tage bei ihrem ersten festen Arbeitgeber gezählt sind, sie hätte es nicht geglaubt.

    Die große deutsche Pleitewelle rollt nicht erst seit gestern. Handwerk, Baugewerbe und Einzelhandel stecken schon seit längerem in der Krise. Das Neue jedoch: Heute sind auch Branchen betroffen, die noch vor wenigen Jahren eine verheißungsvolle Zukunft versprachen. IT, Medien, Werbung. Und natürlich deren Zulieferer.

    Anfangs sind die Zeichen noch leise. Fast unmerklich schleichen sich die Veränderungen ein: Firmenwagen bleiben immer öfter auf dem Parkplatz stehen, Außendienstler trinken gelassen ihren Kaffee in fröhlicher Runde. Zeit totschlagen, anstatt raus zu den Kunden zu fahren. Die wiederum stornierten bereits vergebene Aufträge, bitten um Zahlungsaufschub. Einige melden Insolvenz an. Branchenkrise.

    Da kamen dann die ersten Diskussionen auf – hitzige Diskussionen – unter den Gesellschaftern: ja, wie ist denn das jetzt zu erklären? Anfühlen tut sich das nicht so gut, weil das natürlich auch Angst auslöst. Dass man denkt: Machen wir denn hier alles richtig? Das heißt: man wird dann ganz aktiv und versucht – also: wir haben versucht, verschiedenen Szenarien durchzuspielen, dass wir sagen: O.K. wie können wir da gegensteuern?

    Das Problem wird zunächst auf der Führungsebene diskutiert. Hitzig, planlos, desorientiert. Die Frage nach Lösungen bleibt unbeantwortet. Dafür kommt die Frage nach Versagen und nach den Versagern auf den Tisch. Das alles hinter verschlossenen Türen. Die Mitarbeiter bleiben zunächst außen vor.

    Die Deutsche Ausgleichsbank, die vor allem junge Gründer finanziell unterstützt, versuchte Risikofaktoren ausfindig zu machen. Ein Ergebnis: Neugegründete Unternehmen mit weniger als fünf Mitarbeitern sind besonders gefährdet, innerhalb der ersten drei Jahre Insolvenz anzumelden.
    Das Gleiche gilt für Unternehmen mit nur einem Standbein, solche, die ausschließlich auf den Chef zugeschnitten sind, die zu schnell wachsen, die ausschließlich technisch orientiert sind und Unternehmen, die sich nur auf das Tagesgeschäft konzentrieren.

    Der interne Strategieplan bei Studiosysteme Schell: mehr verkaufen und weniger ausgeben. Keine Gehaltserhöhungen, keine Neueinstellungen. Weil all das nicht wirklich fruchtet, muss Ralph Plachetka die ersten Kündigungen aussprechen. Freiberufler fliegen zuerst. Die Zweigniederlassung in Berlin wird der Einfachheit halber ganz dicht gemacht.
    Der einst so beliebte Geschäftsführer wechselt seine Rolle: von dem, der großzügig Sushi-Runden schmeißt, zu dem, der rausschmeißt.

    Dann gab’s dann irgendwann mal ne Betriebsversammlung, wo unsere Chefs dann mitgeteilt haben: "Ja, hm, uns geht’s jetzt irgendwie nicht so und wir müssen sparen und Personalkosten sind extrem hoch und, ja, wir haben uns da was überlegt: alle verzichten auf 10 Prozent ihres Gehalts" im Durchschnitt. Ja, und dann fanden wir dann natürlich auch nicht wirklich spaßig, und darauf hin haben wir uns überlegt: so geht das nicht, also: wir wollen gerne helfen, aber es gibt da noch andere Möglichkeiten, und wir gründen jetzt einen Betriebsrat. Dann haben wir konspirative Treffen gehabt, Betriebsrat gewählt – ich bin dann gewählt worden.

    Meine erste Frage war ja auch: warum gibt’s denn jetzt einen Betriebsrat? Das ist ja ein Kommunikationsmittel. Und in dem Moment wo da ein Betriebsrat sich gegründet hat, hab ich das schon persönlich genommen, wo ich gedacht hab: na ja, hier funktioniert was nicht. Beziehungsweise: hier kann jetzt auch Kommunikation verloren gehen. Weil Menschen sich ja auch gern verstecken hinter irgendwelchen Strukturen.
    Gut. Aber in dem Fall hatten wir dann ne Betriebsrätin,. Und das war dann auch letztendlich besser. Weil: ich konnte dann eben mit einem offen reden und musste nicht immer 15 Leuten das erklären. Für mich war’s dann einfach. Weil die hatten die Probleme dann untereinander.


    Aus Kollegen werden plötzlich Konkurrenten – trotz Betriebsrat, der alle gemeinschaftlich vertreten soll. Es entstehen Fronten, erste Risse im Gemeinschaftsgefüge. Heute ein Gefühl von Zusammenhalt, morgen ein Gegeneinander. Eine Berg- und Talfahrt. Einfamilienhäuser, laufende Kredite, ganze Lebensentwürfe stehen auf dem Spiel.
    Klar ist: Jeder will überleben. Falls überhaupt am Ende jemand überleben sollte. Auf dem vielleicht einsamsten Posten kämpft Geschäftsführer Ralf Plachetka:

    Für mich war das ziemlich doof, weil ich mich da an vielen Ecken, beispielsweise von meinem Partner oder auch von einigen Mitarbeitern echt im Stich gelassen fühlte. In dem Moment, wo es klar ist, dass es nicht mehr Geld gibt oder das Unternehmen da jetzt nicht die Zukunft für die eigene berufliche Karriere bildet, dass dann auch – sagen wir mal: ne Loyalität verloren geht. Und solche Erlebnisse, das hätte ich mir auch gerne noch gespart.

    Wenn ein mittelständisches Unternehmen wie "Studiosysteme Schell" wirtschaftliche Probleme hat, ist das arbeitsmarktpolitisch betrachtet besonders dramatisch. Denn der Mittelstand ist mit 3,3 Millionen Betrieben die wichtigste Jobschmiede Deutschlands. Eine, die in den letzten 20 Jahren rund 3 Millionen Arbeitsplätze schuf, während die Großkonzerne permanent wegrationalisierten.

    Die Stimmung in den darauffolgenden Wochen sackt zunehmend in den Keller. Das Wort "Insolvenz" fällt immer häufiger. Eher im Flüsterton als offen ausgesprochen. Hinter vorgehaltener Hand sickert etwas über eine "Deadline" durch. Die soll in zwei Wochen sein, und bis dahin will die Geschäftsleitung noch einmal alles durchrechnen.

    Und als die Deadline dann näher rückte – d.h. freitags war bei uns die Deadline – so ab Mittwoch wurd’s ganz komisch. Also: Kollegen, wir haben einfach immer nur rumgestanden und haben uns Gedanken gemacht, was wird denn jetzt, was wird denn jetzt, wird das noch alles gut, immer auf neue Informationen gelauert und dann auch ständig mit der Geschäftsleitung gesprochen, und die sah’s dann mal positiv, mal negativ, also schwankte auch so – also das ist ein ganz komischer schwebender Zustand: Man hofft die ganze Zeit und wartet dann auf den Tag, wo dann wirklich so die Entscheidung fällt.

    Schließlich meldet Ralph Plachetka beim Amtsgericht vorläufige Insolvenz an.

    Wer "vorläufige Insolvenz" anmeldet, übergibt gibt alle betriebliche Entscheidungsgewalt in externe Hände.

    Das war dann auch sehr spannend, an dem Tag wo Insolvenz beantragt wurde, also: wo das Fax zum Amtsgericht gegangen ist, hab ich mittags noch mit der Geschäftsleitung zusammengesessen und denen ging’s dann auch gar nicht gut, ja, und nach Geschäftsschluss um 18 Uhr hat sich dann die ganze Belegschaft getroffen, in einem Büro vom Chef, und dann haben wir dann erst mal ein paar alkoholische Getränke aufgetischt, uns gegenseitig zugeprostet, der eine oder andere ist noch ein bisschen länger geblieben und hat dann noch ein bisschen mehr getrunken, also das war schon so ein Zu-Grabe-Tragen. Das erste Zu-Grabe-Tragen.

    Schritt eins im juristischen Procedere: Das Gericht setzt einen Insolvenzverwalter ein, der - so heißt es im Juristendeutsch - "die Geschäfte im Sinne der Gesamtgläubigerschaft" weiterführt.
    Die Geschäftsführer dürfen nur noch mit Zustimmung des Insolvenzverwalters handeln. Und aller Wahrscheinlichkeit nach wird er erst die Konten sperren, dann die Buchhaltungsdateien beschlagnahmen und sich dann einen Überblick über alle laufenden und abgeschlossenen Projekte verschaffen. Das Ziel: retten, was zu retten ist.

    Da gab’s auch ganz abstruse Vorstellungen, dass dann irgendwann ein "Verwerter" kommt – was natürlich was vom Metzger hat – und dass es nen Insolvenzverwalter gibt, wo man sich dann scheinbar auch selber drum kümmern muss (...) keiner wusste genau Bescheid.

    In den Geschäftsräumen der "Studiosysteme Schell" muss für Jana Dettmer, Fachanwältin für Insolvenzrecht und seit 10 Jahren Insolvenzverwalterin, ein Schreibtisch freigeräumt werden. Wie ein neuer Mitarbeiter macht sie sich für 3 Monate in der unbekannten Umgebung breit, hat Einblick in alle Akten, und nichts passiert mehr ohne das Okay der Fachanwältin. Entmachtung.

    Aber eigentlich sind alle froh – die Mitarbeiter wie auch die Geschäftsführung, wenn sie einfach wissen: O.K., da ist jetzt jemand, der kümmert sich. (...) d.h. die Mitarbeiter erhoffen sich einfach eine gewisse Sicherheit, weil sie eben wissen: jetzt kommt jemand von außen und der wird uns auch sagen wie’s weitergeht und das ist hoffentlich auch richtig.

    Seit dem sogenannten "neuen Insolvenzrecht von 1999" muss Jana Dettmer alle Möglichkeiten einer Sanierung prüfen und ausschöpfen. Vielleicht wird es ausreichen, nur einen unrentablen Teil des Unternehmens zu schließen. Vielleicht findet sich aber auch ein neuer Käufer, der alle Mitarbeiter übernimmt.
    Noch sind alle Möglichkeiten offen, Studiosysteme Schell genießt also eine Art Galgenfrist.

    In vielen Fällen ist es eben so, dass man reinkommt und noch nicht genau weiß: wie kann man langfristig eine Fortführung des Geschäftes sicherstellen? 32b: Aber eigentlich habe ich das Gefühl, in den Fällen, die ich bisher betreut habe, war es so, dass die Mitarbeiter, auch wenn die Gefahr bestand und sie das wussten, dass ihr Arbeitsplatz möglicherweise nicht langfristig erhalten bleiben kann, haben sie trotzdem bis zum Ende eigentlich mitgearbeitet. Aber eben zwischen Mitarbeitern und Unternehmer ist schon natürlich so, dass die Mitarbeiter in solchen Fällen gerne Schuldzuweisungen an die Geschäftsführung machen. Und oft ist es ja auch richtig.

    Schuldzuweisung als Bewältigungsprozess, aber auch Hoffen, Warten, Bangen. Nichts scheint mehr sicher und vorhersehbar. Wird die Firma auferstehen wie Phoenix aus der Asche? Oder wird die ganze Belegschaft schon in wenigen Wochen gemeinsam beim Arbeitsamt in der Schlange stehen?
    Alles Denken und Fühlen rankt sich nur noch um die eine elementare Frage: Wie wird das Urteil der Insolvenzverwaltung lauten?

    Das Schlimmste ist erst mal diese Ungewissheit. Weil du eigentlich gar nichts weißt. Also: bis zu dem Tag X weißt du eigentlich gar nichts. Du hoffst halt die ganze Zeit – klar, machst du dir Gedanken: wie viel hab ich denn jetzt noch auf dem Konto? Und dann kommt dann auch zum ersten Mal der Gedanke: mein Gott, Arbeitslosengeld, wie viel ist denn das?

    Ja, und wenn man sich dann erst mal überlegt so: Arbeitslosengeld, wie viel ist das? 67 Prozent, dann wird einem dann schon ein bisschen anders. Weil man hat ja auch ganz normal sein Einkommen immer gehabt, hat davon ganz gut gelebt, natürlich war’s meistens zu wenig, aber jetzt halt nicht so drastisch wenig.


    Nach Berechnungen der Creditreform ist allein in Deutschland rund 15 Prozent der Gesamtarbeitslosigkeit insolvenzbedingt. In 2003 gingen rund 613.000 Arbeitsplätze durch Pleiten verloren.
    Laut einer Umfrage des Möllner Markt- und Meinungsforschungsinstituts Inra hält jeder fünfte Deutsche seinen Arbeitsplatz für gefährdet. Und bei einer Online-Umfrage der Internet-Karrierebörse "monster.de" antworteten nur gut 11 Prozent der Teilnehmer, sie fühlten sich ihres Jobs "sehr sicher". Der Rest bangt.

    Finanzielle Sorgen? Ängste, vielleicht überhaupt keinen Job mehr zu finden? So etwas gibt gerade in der Medienbranche kaum einer öffentlich zu. Hier arbeiten schließlich Berufs-Optimisten. Wer wirklich gut ist, muss sich nie Sorgen machen. Die perfekte Maske. Täglich von 9 bis 18 Uhr zur Schau gestellt.

    Natürlich gab’s Arbeit! Es gab noch jede Menge Arbeit. Und zwar: Wir hatten die ehrenvolle Aufgabe, zu versuchen, dass wir noch so viel wie möglich von den Sachen verkauft bekommen. Das heißt: Wir hatten noch jede Menge Demogeräte, wir hatten alle möglichen Sachen, die wir noch verkaufen konnten. Und da war dann auch jeder mit gefordert, sich ans Telefon zu hängen und halt zu versuchen, die ganzen Sachen noch zu verkaufen. Wir haben dann Bestandslisten an unsere Kunden gemailt – dass die auch Bescheid wussten – das lief erst unter dem Deckmäntelchen "Winterschlussverkauf" oder so, also es wurde noch nicht angesprochen, dass halt Insolvenz bevorsteht.

    Die meisten pleitegeplagten Arbeitnehmer gehen jeden Tag tapfer zur Arbeit gehen und machen gute Miene zum bösen Spiel. Viel anderes bleibt ihnen auch nicht übrig. Wessen Zukunft ungewiss ist, wird schweigen, anstatt allzu weit die Klappe aufzureißen und sich schlimmstenfalls mutwillig seiner letzten Chancen berauben. Zur Erinnerung: Ein Insolvenzverfahren kann Monate und Jahre dauern, bis es endlich zum endgültigen Gerichtsurteil kommt, das klärt, wer am Ende wie viel Geld bekommt.
    So ist es verständlich, dass alle Welt die neusten Insolvenzstatistiken kennt, aber kaum einer die Gefühle derer, die dieses Schicksal tragen müssen.

    Man weiß ja auch nicht genau, was man sagen kann und was nicht, weil das ist ja ein schwebendes Verfahren, d.h. man kann auch nicht hingehen zu den Kunden und sagen: Hey, wir sind pleite, kauft jetzt mal schön, Schleuderpreis. Also, das kann man nicht machen.

    Dann, endlich, wird die Entscheidung gefällt. Die Entscheidung, auf die alle so lang gewartet haben. Das Urteil lautet: nichts mehr zu retten. Studiosysteme Schell wird definitiv in drei Monaten schließen. Für die meisten der Mitarbeiter eine Nachricht, die sie einigermaßen mit Fassung tragen.

    Es war insofern ne Erleichterung, dass dieser furchtbare Schwebezustand aufgehoben war. Aber wenn man jetzt auf einmal weiß: O.K., du hast jetzt noch drei Monate hier, dann ist da ne Entscheidung gefällt worden, gegen die man nichts mehr machen kann, wo man sich mit abfinden muss, aber man hat wenigstens Klarheit.

    Ein paar Kunden haben mich tatsächlich angerufen, das war dann, als würde man ein Kondolenzgespräch führen. Und: So richtig Anteilnahme gab’s dann teilweise auch von Kunden, das fand ich dann schon richtig prima. Die auch wissen, dass da wirklich ein menschliches Schicksal dahintersteckt.

    Der Pleitegeier landet rein rechnerisch alle 13 Minuten auf dem Dach einer Firma irgendwo in Deutschland. Das sind pro Tag 108 Unternehmen. An denen Tausende Jobs, Existenzen und Familien hängen.

    Die Mitarbeiter fahren zweigleisig: Während ihre Gedanken um die ungewisse Zukunft kreisen, um das, was sie nun mit ihrem Leben anfangen sollen, hängen sie gleichzeitig am Telefon und versuchen das betriebliche Inventar gewinnbringend zu verscherbeln. Topfpflanzen, Schreibtische und Kühlschränke. Voller Einsatz für ein paar Euro mehr Konkursmasse. Dafür gibt es kein Gehalt, sondern das so genannte "Insolvenzgeld". Aus der Arbeitsamtkasse. Allerdings mit monatelanger Verzögerung.

    Das heißt: man geht drei Monate für lau arbeiten! 37: Man kann sich allerdings auch währenddessen um einen Vorschuss kümmern, d.h.: wir haben dann wirklich so’ne konstatierte Aktion gemacht und sind zum Arbeitsamt gefahren, haben die mehr oder weniger überfallen – weil irgendwann wird einfach das Geld knapp! Es hat kein Mensch für 3 Monate Geld auf dem Konto, dass er damit dann auch ganz normal weiterleben kann, also die wenigsten haben das.

    Und dann kam natürlich auch noch Weihnachten und das ist dann natürlich ein sehr trauriges Weihnachten, wenn man dann irgendwie "Nudeln mit Maggi" essen muss – will natürlich auch keiner – keine Geschenke, kein gar nichts...


    Zum 31. Dezember schließen sich die Tore. Vorher: ein rauschendes Abschiedsfest mit Kunden und Geschäftspartnern. Partystimmung, obwohl es nichts zu feiern gab. Viele der Mitarbeiter haben noch keinen Job.

    Dieser gewisse Galgenhumor, den habe ich schon öfter erlebt. Weil einfach die Mitarbeiter, die müssen schon recht viel ertragen – also, die bekommen drei Monate kein Geld, wenn man das Insolvenz-Geld nicht vorfinanziert, müssen sie drei Monate auch auf Liquidität warten, d.h. sie müssen auch recht lange ohne Geld aushalten, und irgendwann ist es dann so, dass die dann auch sagen: Naja, schlimmer kann’s ja eigentlich nicht mehr werden. Da müssen wir jetzt durch. Also das erlebt man eigentlich schon immer wieder.

    15 Menschen haben ihren Job verloren. Und Ralph Plachetka sein bisheriges Lebenswerk. Er bekommt als Selbständiger natürlich weder Insolvenz- noch Arbeitslosengeld -, sondern steht noch vor einem riesigen Schuldenberg. Über kurz oder lang wird er sein chices Haus am Rheinufer aufgeben müssen, das geliebte Motorrad verkaufen. Denn er bürgt persönlich für Firmenkredite. Geschäftsführer-Schicksal.

    Also nur, weil ich jetzt keinen Porsche mehr fahren kann – ich hab jetzt im Moment überhaupt kein Auto, ich hab jetzt ein schönes Fahrrad da draußen und das ist auch toll, man lernt neue Leute in der Bahn kennen und ich (lacht) gönn mir dann so schöne Sachen, ja dass ich im Kiosk arbeite oder mal ne Inventur im Baumarkt gemacht habe oder: ne Freundin, die macht so Veranstaltungen, der helf ich Luftballone aufblasen – also ich gönn mir wirklich so schöne Sachen, mal überall reinzugucken und so verrückte Dinge zu machen. Und das tut mir richtig gut. Und ich hab viel Zeit für mich. Das ist ein tolles Geschenk.

    Anders als z.B. in den USA sind in Deutschland Pleite-Unternehmer oft noch jahrelang mit einem "Versager-Makel" behaftet. Ein Kraftakt für’s Ego, wieder zu neuem Selbstbewusstsein zu finden, aber auch ein Kraftakt, sich irgendwann mal wieder am Markt zu behaupten.

    Ralph Palechetka ist erst mal auf große Weltreise gegangen – ein langgehegter Traum. Wenn nicht jetzt, wann denn dann? Heute, etwa 1 ½ Jahre nach Schließung der Pforten, haben die ehemaligen Mitarbeiter entweder zur direkten Konkurrenz gewechselt oder noch einmal komplett umgesattelt.

    Auch Betriebsrätin Delia Vohl ist nach einer kurzen Phase der Arbeitslosigkeit wieder gut untergekommen: in einem Logistik- und Transportunternehmen für Veranstaltungstechnik.
    Die Spuren der meisten anderen haben sich verloren. Sichergestellt ist nur die berufliche Existenz der Insolvenzverwalterin Jana Dettmer. Denn sie geht als einige der wenigen Gewinner hervor aus der anhaltenden Pleitewelle in Deutschland.