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Energie aus Gülle und Gelatine

Landwirtschaft. - Die Bauern entdecken die Energiewirtschaft für sich. -Auf den Äckern wachsen zunehmend Pflanzen für die Energieerzeugung. Eine Raiffeisengenossenschaft nordwestlich von Hannover testet den kompletten Zyklus vom Anbau bis zur Erzeugung.

Von Michael Engel | 14.11.2008
    Vor gerade einmal anderthalb Jahren wurden kleine Äste der Korbweide in den Acker gesteckt. Heute sind es richtige Bäume – fünf Meter hoch – deren Stämme aufgrund ihres sehr schnellen Wachstums allerdings kaum dicker als ein Daumen sind. Jürgen Strelow von der Raiffeisen Agil Leese wird den rund zwei Hektar großen "Energiewald" im Dezember abernten:

    "So, das war mal ein Geräusch, wenn ich hier einen Weidenaustrieb abbreche. So ungefähr muss man sich das vorstellen, wenn der automatische Häcksler durch die Reihen fährt und die Kultur dann wieder abhäckselt. Das passiert alle drei Jahre, dann wird die Pflanze auf den Stock gesetzt, so nennt man das. Und alles, was oberhalb wächst, wird dann automatisch gleich zerkleinert zu Holzhackschnitzeln."

    300 Kubikmeter Holz pro Hektar gedeihen hier auf dem Acker. Doppelt soviel wie noch auf dem ersten höher gelegenen Versuchsfeld. "Salix vinimalis" – die Korbweide – braucht viel Wasser, so die Erfahrung. Mit dem neuen Feld in einer feuchten Marsch gelegen hatte man dann mehr Erfolg. Zudem verzweigt sich die neue schwedische Spezialzüchtung "Tordis" buschartig und produziert dadurch noch mehr Holz: Auf dem Feld steht das Äquivalent für 48.000 Liter Öl. Strelow:

    "Das ist eine mögliche Alternative, um zusätzlich Holz auf landwirtschaftlichen Flächen zu gewinnen. Pappeln und auch Weiden gehören zu den Sorten, die am schnellsten wachsen, und dadurch innerhalb von drei bis maximal vier Jahren den Holzmarkt mit zusätzlichen Hackschnitzeln versorgen können."

    Nur einen Steinwurf vom leise rauschenden Geäst des Energiewaldes entfernt herrscht ohrenbetäubender Lärm. Im Maschinenhaus dröhnt ein zwei Meter hoher und fünf Meter langer "Gasmotor" – eine Spezialanfertigung aus Österreich, sagt Torsten Backhaus:

    "Wir haben hier einen 12-Zylinder-Motor mit 600 kW. Es ist ein V-Motor mit Turbolader, mit Wasserkühlung, und wir erzeugen damit etwa 850 kW thermische Leistung und 600 kW elektrische."

    Das Gas, das den riesigen Motor antreibt, stammt aus einem Bioreaktor. Und auch in diesem Fall geht die "Raiffeisen Agil Leese" völlig neue Wege.

    Statt mit Mais – wie üblich – wird die Biogasanlage in Leese bei Hannover mit unterschiedlichsten Abfällen befüllt: Zur Hälfte mit Gülle, die von den 50 beteiligten Landwirten geliefert wird. Der Rest sind organische Abfälle aus der Industrie: Gelatine oder die Schalen von Kakaobohnen, die ein Schokoladenhersteller liefert. Doch die Biogaserzeugung mit Abfällen ist weitaus schwieriger als mit Pflanzen. Immer wieder gibt es Probleme im Zusammenspiel mit den Bakterien im Reaktor, sagt der Betriebsleiter. Torsten Backhaus:

    "Gut mit der Gülle, die ist eigentlich relativ gleich bleibend, aber industrielle Abfälle wie Gelatine oder so was ist dann doch sehr unterschiedlich meistens. Es kann dann mal sein, dass die Werte so ein bisschen schwanken. Dann geht ein bisschen die Biologie zurück, der Gasertrag fällt dann ein bisschen ab, und dann wird durch Steuerungstechnik und anderen Materialien dann ein bisschen gegengesteuert, bis sich das dann wieder fängt."

    Vor allem Gelatine in Verbindung mit Hundefutter habe den Ammoniak-Gehalt gefährlich ansteigen lassen. Die Biogasanlage drohte sogar fast umzukippen, erinnert sich Britta Ronnenberg. Die Geschäftsführerin holte sich wissenschaftlichen Beistand von der Universität Göttingen, um das Mischungsproblem in den Griff zu bekommen. Mit Erfolg. "Forschung für die Praxis", sagt die umtriebige Managerin.

    "Also ich bin der Auffassung, dass es unsere Landwirte so sehen, dass wir diejenigen sind, die das Geld in die Hand nehmen, um solche Dinge auszuprobieren, und die sie bei sich hinterher umsetzen."