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Energiewende
Beschwerden ernst nehmen, Anwohner einbinden

Ob bei neuen Stromtrassen oder Windrädern - der Widerstand seitens der Bürger gegen die Folgen der Energiewende ist oft heftig. Das muss nicht so sein, meinen Forscher. Wenn Anwohner von Anfang an in den Planungs- und Entscheidungsprozess eingebunden werden, steigt ihre Zustimmung zum Projekt.

Von Gregor Paal | 26.05.2014
    Strommast und Windräder
    Viele Bürger lehnen den Bau von Winderrädern und Stromtrassen in ihrer Nachbarschaft ab. (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Eine Energiewende kann man nicht einfach nur beschließen und erklären. Man muss die Bürger auch aktiv einbinden, sagt der Techniksoziologe Ortwin Renn. So hat es auch die Energie-Ethik-Kommission empfohlen, die nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima einberufen wurde und in der Renn mitgearbeitet hat.
    "Aus dem Grund hat auch damals die Ethik-Kommission in ihr Gutachten hineingeschrieben, wir brauchen ein nationales Energieforum, das vor allem die wichtigen Streitfragen im Vorfeld schon anspricht und klärt und dann auch einen Dialog mit der Bevölkerung sucht. Das ist teilweise geschehen, teilweise aber auch nicht, und das sieht man auch jetzt, dass es da ein Stück weit hapert."
    Wenn Bürger einen Windpark in ihrer Nachbarschaft ablehnen, spielen sehr unterschiedliche Gründe eine Rolle. Die einen empfinden ihn als Landschaftsverschandelung, die anderen leiden unter den Geräuschen. Die Umweltpsychologin Gundula Hübner von der Universität Halle stellt in ihren Untersuchungen jedoch fest: Wie stark sich die Anwohner belästigt fühlen, hängt oft nicht von der tatsächlichen Beeinträchtigung ab, sondern vor allem auch davon, wie sehr die Menschen in ihren Beschwerden ernst genommen werden. Hier könnte schon in der Informationspolitik etwa durch die Betreiber von Windparks und Stromtrassen manches besser laufen.
    "Zum Beispiel, dass zweiseitig informiert wird, dass sowohl die Nachteile als auch die Vorteile vermittelt werden, das wurde nach meiner Beobachtung von der professionellen PR-Arbeit für erneuerbare Energie nicht richtig aufgenommen. Wir sehen nämlich, dass die Personen, die den Planungsprozess als belastend und nicht fair erlebt haben, hinterher auch stärkere Belastungen empfinden."
    Identifikation wichtiger Faktor für Akzeptanz
    Bei vielen Windparkprojekten liege der Anteil der Gegner vor Ort oft nur bei fünf bis zehn Prozent. Weil diese Minderheit jedoch in der Öffentlichkeit aktiver und lauter auftritt, werde sie stärker wahrgenommen. In der Summe aber seien Bürger keineswegs mehrheitlich ängstlich und veränderungsresistent, sagt Hübner. Dies bestätigen Untersuchungen im Zusammenhang mit küstennahen Offshorewindparks in Schleswig-Holstein. Dort hat Hübner die Anwohner zunächst nach ihren Einstellungen befragt:
    "Wir haben dann nach diesen Workshops eine Informationsbroschüre gestaltet, wo wir die Ergebnisse dargestellt haben, auch die Anregungen der Anwohner. Und haben dann einzelne Personen gefragt, ob sie einverstanden sind, wenn sie mit Aussagen und Foto in dieser Broschüre auftauchen und das zu autorisieren, also die Seite mit den gesamten Inhalten. Wir haben dann vor der letzten Befragung der Hälfte der Anwohner diese Broschüre vorher zukommen lassen und der anderen Hälfte erst nach dem letzten Interview. Und was wir sehen konnten, sind signifikante Unterschiede, dass die Personen, die diese Broschüre gelesen hatten, die von ihren Leuten mitgestaltet waren, positivere Emotionen hatten, als die, die sie nicht gelesen hatten. "
    Auch Techniksoziologe Ortwin Renn bestätigt: Ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz ist die Identifikation mit einem Projekt. Die könne schon dadurch gestärkt werden, dass das Windkraftwerk als Bürger-Windpark organisiert wird.
    "Wenn Sie Genossenschaften haben, dann wird das Windrad völlig anders gesehen. Also wenn das Windrad von einem großen anonymen Elektrizitätsversorgungsunternehmen gebaut wird, dann ist es eine Schande für die Gemeinde, wenn man es aber selber baut und selber betreibt, ist es etwas, was einen auch persönlich und emotional an diese Anlage bindet, und wo man den Eindruck hat, das ist etwas, was unsere Gemeinschaft zustande gebracht hat."
    Nach Renns Erfahrungen sind Bürger durchaus bereit, Beeinträchtigungen etwa durch Stromtrassen in Kauf zu nehmen – wenn sie überzeugt sind, dass diese für die Energiewende notwendig sind. Renn, der als Wissenschaftler und Berater an vielen Partizipationsprozessen mitwirkt, hat jedoch auch den Widerstand in Bayern erlebt. Dort hatte Ministerpräsident Seehofer vor den Kommunalwahlen den Bau einer Stromtrasse durch Bayern gestoppt. Renn sieht hier auch Netzbetreiber in der Verantwortung:
    "Da ist leider auch eine Chance verloren gegangen, als man diese Trassen geplant hat, auch die zivilgesellschaftlichen Gruppen mit ins Boot zu nehmen, also zu diskutieren: Wie viele Trassen brauchen wir beispielsweise, eine, zwei drei? Und ich hab den Eindruck, dass es häufig einfacher ist, wenn man sagen kann, o.k., sowohl RWE als auch Greenpeace stehen dahinter, die werden auch ihre Argumente mit einbringen. Dann hätte man vielleicht eine Trasse weniger gehabt, aber die dafür von allen getragen. Und das ist sehr gut verständlich, dass Menschen dann sagen, nö, also wenn die sich nicht mal einig sind, was wir eigentlich brauchen, damit die Energiewende gelingt, dann soll das nicht auf unserem Rücken ausgetragen werden."