Theo, der 14jährige Junge aus der ersten Reise, ist mittlerweile ein 23jähriger Mann, ein Medizinstudent und engagierter Umweltschützer. Theo erhält einen Anruf aus einem Krankenhaus in Neu-Delhi. Dort liegt seine Tante Marthe, mit der er einst zu den Orten der Weltreligionen reiste. Theo fliegt zu ihr, stellt jedoch fest, dass Tante Marthe nicht lebensbedrohlich krank ist, sondern nur unter der Luftverschmutzung in Neu-Delhi leidet. Da sich Theo für einen Umweltpreis bewerben möchte und dafür vier Feldstudien machen muss, begibt er sich mit Marthe auf eine Reise zu den Umweltproblemen dieser Erde. Catherine Clément:
" Ich habe eine sehr wichtige ökologische Erfahrung gemacht. Ich habe fast fünf Jahre in einer Stadt gelebt, die zu jener Zeit die Stadt mit der größten Umweltverschmutzung war, noch vor Mexiko-Stadt. Das war Neu-Delhi. Ich kann Ihnen sagen, diese persönliche Erfahrung hat mich zu einer umfassende Dokumentation der Umweltprobleme ermutigt. Aber ich will gar nicht verschweigen, dass ich für einige Passagen des Romans Nachhilfe brauchte: Ich habe ein paar Unterrichtsstunden in Nuklearphysik und -chemie genommen und ein oder zwei in Genetik. Wenn ich etwas nicht weiß, dann lass' ich mir eben helfen."
Catherine Clément weiß ansonsten viel, vor allem, wenn es um die Länder und Menschen geht, über die sie schreibt. Als Tochter eines Diplomaten lernte sie viele Länder kennen, und die Reiselust ist geblieben. Alle Orte, die im Roman vorkommen, kennt die studierte Philosophin und ausgebildete Psychoanalytikerin aus ihrer eigenen Erfahrung. In "Theos zweiter Reise" gleich über Städte und Orte in vier Kontinenten. Theo und seine Tante setzen sich in Afrika mit dem Abholzen der Tropenwälder auseinander, mit der Ausbreitung der Wüste, dem Trinkwasserproblem und mit den Müllbergen. In La Hague besuchen sie die Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll. Und in Nordkanada erfahren sie, wie die Eskimos durch eingeschränkte Nahrungsquellen in ihrer Existenz bedroht sind. Catherine Clément beschreibt die Umweltprobleme ganz bewusst nicht losgelöst von den Bräuchen und Religionen der Menschen:
" Glauben Sie im Ernst, es gebe Umweltprobleme, die nicht in Widerspruch zu den Bräuchen stehen? Sehen Sie sich an, was im Roman in Varanasi passiert. Der Hohepriester des heiligen Affen, der zugleich Ingenieur für Gewässerreinigung ist, ist ein Freund von mir und heißt wirklich so. Er steht für die indische Vorstellung, dass das Wasser des Ganges per Definition heilig ist. Gleichzeitig ist der Fluss aber stark verschmutzt, durch die Asche der Leichen und dadurch, dass die Inder ihr Geschäft in den Fluss verrichten. Der Fluss ist also spirituell rein, aber materiell gefährlich verschmutzt. Man kann also nicht von Umweltfragen sprechen, ohne die Anthropologie im Blick zu haben. Das ist unmöglich."
Theos Reise ist aber nicht nur ein Buch über Umweltprobleme. Es ist auch eine Liebesgeschichte. Ausgerechnet am stinkenden Fluss verliebt sich Theo in die deutsche Renate. Zu Hause in Frankreich wartet Theos Freundin Bozzie, eine dünne, leidenschaftliche Tierschützerin aus der Slowakei. Aber Theo entscheidet sich für die abwägende Renate und gegen die radikale Bozzie und damit ganz im Sinne von Catherine Clément:
" Jede Idee, die radikal ist, ist falsch. Wenn eine noch so gute Idee radikale Züge annimmt, fällt sie in einen tiefen Abgrund. In Frankreich und Europa findet man den Typus der radikalen Umweltschützerin: Diese Frauen sind meist elegant und magersüchtig und eben radikal. Da fehlt nicht mehr viel zur terroristischen Umweltschützerin. Während der samtenen Revolution in Bratislava habe ich solche radikalen Frauen erlebt. Und das wollte ich im Roman verarbeiten. Ist doch eine hübsche Person dabei herausgekommen, oder?"
Hübsch vielleicht. Aber ebenso unwirklich wie fast alle Figuren in Cléments Roman. Anstatt wirkliche Charaktere zu schaffen, drückt Clément ihnen einen Stempel auf. Theo ist der junge aufbrausende Idealist, der im Laufe des Romans lernt, auch die Argumente anderer zu hören. Bozzie die radikale Tierschützerin, Renate die gemäßigte Wasserexpertin, Marthe die reiche, weltoffene Tante. Die Figuren nehmen keine Gestalt an vor dem geistigen Auge des Lesers. Sie sind wie tot. In dem Kapitel über die Verschmutzung des Ganges allerdings lässt Catherine Clément kurz das aufkommen, was man von einem Roman erwartet, der in der Ferne spielt: dass der Leser sich mitten im Geschehen wähnt, geradezu verführt von der Fremdheit der Orte und Bräuche. In diesem Kapitel erscheinen auch die Figuren plastischer. Insgesamt jedoch opfert die Autorin die Belletristik den Ideen, den Umweltproblemen. Die arbeitet sie in krampfhaft inszenierten Gesprächen Punkt für Punkt ab.
" Für mich ist diese Art von Roman - nicht alle, die ich geschrieben habe, aber dieser ja - ein Vehikel, um Ideen zu transportieren. Damit schließe ich an eine Tradition aus dem 18. Jahrhundert an. Nehmen Sie die Romane der Enzyklopädisten. Es gibt ja auch unzählige deutsche Romane, die so verfahren. Das sind Romane, die zum Wissen hinführen und zugleich Initiationsromane sind. Man kann hier noch nicht mal von 'Fiktion' sprechen. Das ist ein Ideenroman, fast schon ein Bildungsroman."
Aber was ist das für ein Bildungsroman, in dem die Literatur auf der Strecke bleibt, in dem die Figuren nur Hüllen für Wissen sind? Und das so sehr, dass sie wie Lexika erscheinen, aus denen Fakten zur Umweltproblematik inklusive der Jahreszahlen längst vergangener Ereignisse nur so hervorsprudeln. Doch damit nicht genug: Der Versuch der Autorin, über Kapitel wie "Was Tante Marthe dachte" dem Leser auch noch Informationen über Theos erste Reise zu vermitteln, erscheint dilettantisch. Eine Frau, die sich selbst mitteilt, was ihr Neffe so alles gemacht hat, dass er zum Beispiel einen Zwillingsbruder hat, wirkt grotesk. Wer etwas über die Umweltprobleme der Erde erfahren will, sollte lieber gleich zum Sachbuch greifen. Nach dem Bestseller "Theos Reise" enttäuscht "Theos zweite Reise" im Großen und Ganzen. Doch das sieht Catherine Clément sicher anders: Sie plant schon Theos dritte Reise.
" Ich habe eine sehr wichtige ökologische Erfahrung gemacht. Ich habe fast fünf Jahre in einer Stadt gelebt, die zu jener Zeit die Stadt mit der größten Umweltverschmutzung war, noch vor Mexiko-Stadt. Das war Neu-Delhi. Ich kann Ihnen sagen, diese persönliche Erfahrung hat mich zu einer umfassende Dokumentation der Umweltprobleme ermutigt. Aber ich will gar nicht verschweigen, dass ich für einige Passagen des Romans Nachhilfe brauchte: Ich habe ein paar Unterrichtsstunden in Nuklearphysik und -chemie genommen und ein oder zwei in Genetik. Wenn ich etwas nicht weiß, dann lass' ich mir eben helfen."
Catherine Clément weiß ansonsten viel, vor allem, wenn es um die Länder und Menschen geht, über die sie schreibt. Als Tochter eines Diplomaten lernte sie viele Länder kennen, und die Reiselust ist geblieben. Alle Orte, die im Roman vorkommen, kennt die studierte Philosophin und ausgebildete Psychoanalytikerin aus ihrer eigenen Erfahrung. In "Theos zweiter Reise" gleich über Städte und Orte in vier Kontinenten. Theo und seine Tante setzen sich in Afrika mit dem Abholzen der Tropenwälder auseinander, mit der Ausbreitung der Wüste, dem Trinkwasserproblem und mit den Müllbergen. In La Hague besuchen sie die Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll. Und in Nordkanada erfahren sie, wie die Eskimos durch eingeschränkte Nahrungsquellen in ihrer Existenz bedroht sind. Catherine Clément beschreibt die Umweltprobleme ganz bewusst nicht losgelöst von den Bräuchen und Religionen der Menschen:
" Glauben Sie im Ernst, es gebe Umweltprobleme, die nicht in Widerspruch zu den Bräuchen stehen? Sehen Sie sich an, was im Roman in Varanasi passiert. Der Hohepriester des heiligen Affen, der zugleich Ingenieur für Gewässerreinigung ist, ist ein Freund von mir und heißt wirklich so. Er steht für die indische Vorstellung, dass das Wasser des Ganges per Definition heilig ist. Gleichzeitig ist der Fluss aber stark verschmutzt, durch die Asche der Leichen und dadurch, dass die Inder ihr Geschäft in den Fluss verrichten. Der Fluss ist also spirituell rein, aber materiell gefährlich verschmutzt. Man kann also nicht von Umweltfragen sprechen, ohne die Anthropologie im Blick zu haben. Das ist unmöglich."
Theos Reise ist aber nicht nur ein Buch über Umweltprobleme. Es ist auch eine Liebesgeschichte. Ausgerechnet am stinkenden Fluss verliebt sich Theo in die deutsche Renate. Zu Hause in Frankreich wartet Theos Freundin Bozzie, eine dünne, leidenschaftliche Tierschützerin aus der Slowakei. Aber Theo entscheidet sich für die abwägende Renate und gegen die radikale Bozzie und damit ganz im Sinne von Catherine Clément:
" Jede Idee, die radikal ist, ist falsch. Wenn eine noch so gute Idee radikale Züge annimmt, fällt sie in einen tiefen Abgrund. In Frankreich und Europa findet man den Typus der radikalen Umweltschützerin: Diese Frauen sind meist elegant und magersüchtig und eben radikal. Da fehlt nicht mehr viel zur terroristischen Umweltschützerin. Während der samtenen Revolution in Bratislava habe ich solche radikalen Frauen erlebt. Und das wollte ich im Roman verarbeiten. Ist doch eine hübsche Person dabei herausgekommen, oder?"
Hübsch vielleicht. Aber ebenso unwirklich wie fast alle Figuren in Cléments Roman. Anstatt wirkliche Charaktere zu schaffen, drückt Clément ihnen einen Stempel auf. Theo ist der junge aufbrausende Idealist, der im Laufe des Romans lernt, auch die Argumente anderer zu hören. Bozzie die radikale Tierschützerin, Renate die gemäßigte Wasserexpertin, Marthe die reiche, weltoffene Tante. Die Figuren nehmen keine Gestalt an vor dem geistigen Auge des Lesers. Sie sind wie tot. In dem Kapitel über die Verschmutzung des Ganges allerdings lässt Catherine Clément kurz das aufkommen, was man von einem Roman erwartet, der in der Ferne spielt: dass der Leser sich mitten im Geschehen wähnt, geradezu verführt von der Fremdheit der Orte und Bräuche. In diesem Kapitel erscheinen auch die Figuren plastischer. Insgesamt jedoch opfert die Autorin die Belletristik den Ideen, den Umweltproblemen. Die arbeitet sie in krampfhaft inszenierten Gesprächen Punkt für Punkt ab.
" Für mich ist diese Art von Roman - nicht alle, die ich geschrieben habe, aber dieser ja - ein Vehikel, um Ideen zu transportieren. Damit schließe ich an eine Tradition aus dem 18. Jahrhundert an. Nehmen Sie die Romane der Enzyklopädisten. Es gibt ja auch unzählige deutsche Romane, die so verfahren. Das sind Romane, die zum Wissen hinführen und zugleich Initiationsromane sind. Man kann hier noch nicht mal von 'Fiktion' sprechen. Das ist ein Ideenroman, fast schon ein Bildungsroman."
Aber was ist das für ein Bildungsroman, in dem die Literatur auf der Strecke bleibt, in dem die Figuren nur Hüllen für Wissen sind? Und das so sehr, dass sie wie Lexika erscheinen, aus denen Fakten zur Umweltproblematik inklusive der Jahreszahlen längst vergangener Ereignisse nur so hervorsprudeln. Doch damit nicht genug: Der Versuch der Autorin, über Kapitel wie "Was Tante Marthe dachte" dem Leser auch noch Informationen über Theos erste Reise zu vermitteln, erscheint dilettantisch. Eine Frau, die sich selbst mitteilt, was ihr Neffe so alles gemacht hat, dass er zum Beispiel einen Zwillingsbruder hat, wirkt grotesk. Wer etwas über die Umweltprobleme der Erde erfahren will, sollte lieber gleich zum Sachbuch greifen. Nach dem Bestseller "Theos Reise" enttäuscht "Theos zweite Reise" im Großen und Ganzen. Doch das sieht Catherine Clément sicher anders: Sie plant schon Theos dritte Reise.