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Entdecker am Operationstisch

Medizin. – Per Zufall haben Bonner Mediziner eine ungewöhnliche Abart des Sauerstoffträgermoleküls Hämoglobin entdeckt. Das so genannte Hämoglobin-Bonn fiel bei einer Operation auf, weil es anders als die Standardvariante des Blutfarbstoffs auf die Überwachung des Sauerstoffgehalts reagierte.

Von Kristin Raabe |
    Die Operation am Hoden des vierjährigen Jungen war eigentlich ein Routineeingriff. Aber noch während der Kleine im OP lag, schlug der Anästhesist Alarm. Das sogenannte Pulsoximeter zeigte erschreckend niedrige Sauerstoffwerte an. Über einen Fingerclip sendet dieses Gerät Infrarotlicht durch den Finger. Sauerstoffarmes Blut schluckt dieses Licht. Je weniger Sauerstoff im Blut ist, desto weniger Licht kommt also beim Sensor des Pulsoximeters an. Die Ergebnisse dieser Messung ließen bei dem Vierjährigen schnell den Verdacht auf einen angeborenen Herzfehler aufkommen.

    "Den hat man auch versucht jetzt auszuschließen und hat auch, glaube ich, zweimal eine intensive kardiologische Untersuchung gemacht und hat nichts rausgefunden. Und dann hat man erst praktisch mit unserem Institut Kontakt aufgenommen."

    Bernd Zur ist Arzt für Labormedizin an der Universitätsklinik Bonn. Sein Spezialgebiet ist das Hämoglobin. Dieser Blutfarbstoff befindet sich in den roten Blutkörperchen und transportiert den Sauerstoff von der Lunge zu den Zellen, die ihn benötigen. Das Hämoglobin des vierjährigen Patienten unterzog er allen verfügbaren Tests. Am Ende war klar: So ein Hämoglobin war noch niemals zuvor in der Literatur beschrieben worden. Deswegen brauchte es einen Namen. Bernd Zur nannte es Hämoglobin-Bonn.

    "Es transportiert genauso viel Sauerstoff, es wird nur von dem Pulsoximeter falsch erfasst. Und das wird ja sehr häufig eingesetzt. Also man kann das auch mit mehr Aufwand messen. Den Sauerstoffgehalt des Blutes kann man auch mit so genannten Blutgasautomaten bestimmen und da hat man eine genaue Bestimmung und da ist das auch normal die Sauerstoffsättigung."

    Der Vierjährige litt also gar nicht an Sauerstoffarmut. Das Hämoglobin in seinem Blut schluckte nur mehr Infrarotlicht als das anderer Menschen. Weil der Pulsoximeter den Sauerstoffgehalt des Blutes anhand des durchgelassenen Infrarotlichts bestimmt, zeigte er ständig falsche Werte an. Die Strapazen der vielen Untersuchungen hätten dem Kind also erspart bleiben können. Auch sein Vater hat dasselbe Hämoglobin im Blut und war lange wegen seines scheinbaren Sauerstoffmangels behandelt worden. Ob das Hämoglobin-Bonn den Jungen irgendwann doch einmal krank machen wird, ist noch nicht geklärt. Zur:

    "Wir haben jetzt auch festgestellt, dass er doch auch eine leichte Blutarmut hat. Inwieweit sich das später noch bemerkbar macht wissen wir noch nicht. Beim Vater hat es sehr wahrscheinlich keine Auswirkungen. Aber beim Jungen kann es sehr wohl sein, dass er eher auch zu einer Anämie, zu einer Blutarmut neigt."

    Bernd Zur hat sogar die Mutation entdeckt, die für die Bildung des Hämoglobin-Bonn verantwortlich ist. Sie verursacht eine strukturelle Instabilität in diesem Blutfarbstoff. Deswegen lassen sich im Blut des Kindes mehr zugrunde gegangene rote Blutkörperchen nachweisen. Noch scheint dies den Kleinen nicht zu belasten. Unklar ist übrigens, ob noch mehr Menschen über das Hämoglobin-Bonn verfügen. Zur:

    "Das würden wir sehr gern noch untersuchen. Nur das wird noch eine zeitlang dauern. Es wird keine sehr häufige Erkrankung sein. Dann müsste man jetzt doch eine Reihe von Studien machen mit Ambulanzen zum Beispiel oder Intensivstationen und jetzt diese Daten erst mal erfassen und das wird natürlich eine Zeit in Anspruch nehmen. Und die müsste man natürlich auch noch auswerten und dann untersuchen. Das möchten wir jetzt langsam mal so ein bisschen angehen, aber das wird doch eine gewisse Zeit dauern."

    Der Bonner Arzt hält es für ziemlich wahrscheinlich, dass auch noch andere Menschen mit dem Hämoglobin-Bonn völlig unnötig wegen des scheinbaren Sauerstoffmangels in ihrem Blut behandelt werden.