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Entwicklungsland Deutschland

Internet.- Wenn es um die freie und öffentliche Zugänglichkeit von drahtlosen Internet-Verbindungen geht, hinkt Deutschland im europaweiten Vergleich hinterher. An der Spitze hingegen steht Estland. Wissenschaftsjournalist Peter Welchering im Interview mit Manfred Kloiber.

15.08.2009
    Manfred Kloiber: Aufgeschoben ist ja bekanntlich nicht aufgehoben. So sagt man jedenfalls. Und so wird wohl der lange geplante freie drahtlose Internet-Zugang in der Berliner City wohl noch etwas auf sich warten lassen. Wie sieht es denn in anderen Städten aus, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Wenn man da in Deutschland bleibt, dann sieht das ziemlich mau aus. Als leuchtendes Beispiel wird ja auf den entsprechenden Konferenzen immer wieder Wolfsburg genannt, die hoch industrialisierte Stadt in Niedersachsen. Und die haben tatsächlich seit kurzem ein flächendeckendes Wireless LAN in der Stadt. Das ist von der Wolfsburg AG in Auftrag gegeben worden. Steckt die Stadt dahinter, steckt auch natürlich Volkswagen dahinter. Und von der Wolfsburg AG wurde das auch im März dieses Jahres auf der Cebit gezeigt. Die Nutzer, die können über das Wolfsburger WLAN beispielsweise Fahrpläne des öffentlichen Personennahverkehrs abrufen, sich auch anzeigen lassen, wenn sie irgendwo stehen an einer Haltestelle: Wann fährt hier die nächste Bahn oder der nächste Bus oder ähnliches. Sie können Stadtpläne herunterladen, sich leiten lassen. Sie können sich beispielsweise Hotels in der Umgebung auf ihr Handy holen und ähnliche Daten. Also sie können in den Daten, die an dieses WLAN angeschlossen sind, auf den Servern recherchieren. Das wird ganz ausdrücklich in Wolfsburg als Maßnahme verstanden, um einfach Touristen enger an die Stadt zu binden, um Besucher in die Stadt zu holen. Und natürlich können auch Unternehmen über das WLAN verschiedene Applikations-Ebenen buchen – das kostet natürlich Geld. Recht heftig diskutiert wurde übrigens das Modell, den Internet-Zugang über das Wolfsburger WLAN mit Prepaid-Karten anzubieten.

    Kloiber: Gibt es ähnliche Ansätze noch anderswo?

    Welchering: Ja, es gibt sehr viele Ansätze, aber es gibt immer nur so punktuelle Ansätze. Also nichts geplantes, nichts Systematisches. Vor allen Dingen nichts, was wirklich mal eine ganze Stadt umfassen würde. Freier Zugang wird etwa in Stuttgart tatsächlich an einigen Hotspots angeboten. Also, ich mein hier den legalen freien Zugang, nicht den Zugang über ungeschützte WLANS von Ministerien, was wir ja auch schon hatten. Da gibt es allerdings in Stuttgart nur einige Testzugangspunkte. Die funktionieren jedoch ganz gut. Von einer stadtweiten Abdeckung kann man da aber nicht sprechen. Und so was eben findet sich in vielen Städten. Beispielsweise in Freiburg, da gibt’s von der dortigen Freifunkinitiative zwei Dutzend Hotspots – die laufen ebenfalls ganz gut. Überhaupt gibt es diese zahlreichen Freifunkinitiativen von Berlin bis Augsburg und die unterhalten einige Hundert Zugangspunkte in der Bundesrepublik. Aber: Das sind eben in der Regel keine flächendeckenden Angebote. Das sind gewöhnlich Angebote für eine Straße, die da abgedeckt wird, ein Straßenzug oder ein Stadtviertel, das eben dann mit WLAN versorgt wird. Ja und dann arbeitet natürlich auch noch der WLAN-Community-Betreiber Fon an der Aufstellung von sage und schreibe 5000 WLAN-Routern bundesweit – 5000, haben sie versprochen. Fon ist allerdings, muss man sehen, im Südwesten sehr viel stärker vertreten als beispielsweise im Osten der Republik. Und Furore gemacht hat vor einiger Zeit ein ganz kleines Örtchen in Baden-Württemberg namens Kirchheim unter Teck. Mit Teck ist dabei die Burg Teck gemeint. Denn die Kirchheimer unter Teck, die haben ihre drahtlose Netzversorgung via Richtfunkanbindung an Stuttgart realisiert und sich auf diese Weise WLAN-Anschluss verschafft. Insgesamt also ist Deutschland bei den drahtlosen Internet-Zugängen, vor allen Dingen bei den freien Drahtlos-Zugängen, und dann erstrecht nochmal bei den drahtlosen Breitband-Zugängen – man muss es so sehen – ein Entwicklungsland.

    Kloiber: Sieht es denn in anderen europäischen Ländern besser aus?

    Welchering: Ja, da gelten beispielsweise die Fon-Netze in (...) in Frankreich also oder auch das Fon-Netz im norwegischen Oslo und das Netz im spanischen Malaga schon als vorbildlich. Spanien hat da auch relativ rasch aufgeholt. Frankreich hat sehr zugelegt, allerdings ist da Fon schon so etwas wie ein Marktführer geworden. Und auch Großbritannien – Großbritannien holt sehr stark gerade beim Aufbau einer drahtlosen Breitband-Infrastruktur auf und ist da an Deutschland beispielsweise längst vorbei gezogen. Aber das Vorbild schlechthin in Europa, das ist nach wie vor noch Estland – und das sind sie schon seit einigen Jahren. Denn deren Einwohner haben sogar einen gesetzlich garantierten Anspruch auf kostenlosen Zugang ins Internet. Und so sind dann im ganzen Land fast 2000 Drahtlos-Zugangspunkte installiert und es gibt außerdem 700 öffentliche Terminals. Ich hab das mal selbst vor ein paar Monaten getestet und der Durchschnittswert, etwa in der estländischen Hauptstadt Tallinn, der lag bei einem Megabit Upload und zwei Megabit Download – also das war ne ganz, ganz gute Geschwindigkeit, die eben sich einer hervorragenden Infrastruktur verdankt. Und die Auswirkungen, die hat mir Maren Diale-Schellschmidt von der Deutsch-Baltischen Handelskammer dann auch erläutert. Frau Schellschmidt hat nämlich darauf hingewiesen, dass Tallinn eine enorme Anziehungskraft auf Unternehmen der Informations- und Kommunikationselektronik ausübt. Skype ist ja bekanntlich in Tallinn gegründet worden. Es gibt mehrere Dutzend an Unternehmen, die da ansässig sind. Und dass Estland die gegenwärtige Wirtschaftkrise vergleichsweise gut wegsteckt, das hat eben auch mit der hervorragenden Internet-Infrastruktur zu tun.

    Kloiber: Und was kann man daraus lernen?

    Welchering: Daraus kann man vor allen Dingen eines lernen: dass man sich eben nicht auf Monopolisten oder Duopolisten verlassen soll. Das hat etwa auch der Bürgermeister von Tallinn immer wider gesagt. Und da hab ich persönlich manchmal schon den Eindruck, dass sowohl die Regierung in ihren Fördermaßnahmen als auch die Regulierungsbehörde ein wenig stark die großen Telekomunternehmen immer im Visier hat und sich nicht so stark den kleinen widmet, wie das eigentlich notwendig wäre.

    Kloiber: Peter Welchering über freie WLAN-Netze in Europa. Danke.