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Epochen-Panorama und brillante Einführung

Gerhard Streminger ist einer der profundesten Kenner der Humeschen Philosophie weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus. Umso bemerkenswerter, dass sich der 59-jährige Fachphilosoph in seiner Hume-Biografie auch als begabter Erzähler erweist.

Von Günther Kaindlstorfer | 02.05.2011
    "Die Erinnerungen des David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren den dogmatischen Schlummer unterbrach, und meinen Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andere Richtung gab." So niemand Geringeres als Immanuel Kant über den 1711 geborenen Philosophen, der zu den Meisterdenkern der schottischen Aufklärung. Mit seinen Hauptwerken "Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand" und "Eine Untersuchung über die Grundlagen der Moral" hat der religionskritische Hume, aber nur Kant, sondern auch andere Denker des 18. Jahrhunderts beeinflusst: Diderot und Voltaire, Montesquieu und Adam Smith. Der 7. Mai ist der 300. Geburtstag Humes. Aus diesem Anlass hat der Verlag C. H. Beck nun eine opulente Biografie des Philosophen vorgelegt. Geschrieben hat sie der in Graz lehrende Philosoph Gerhard Streminger, einer der profundesten Hume-Kenner des deutschen Sprachraums. Günther Kaindlstorfer über Buch und Autor:

    Wer in Berlin, Göttingen oder Wien Philosophie studiert, kommt um die Schriften David Humes nicht herum: die bahnbrechenden Arbeiten des 1711 geborenen Schotten, etwa zur Erkenntnistheorie, gehören zum festen Lehrbestand philosophischer Institute weltweit und natürlich auch im deutschen Sprachraum. Dennoch, so meint Humes Biograf Gerhard Streminger, in der englischsprachigen Welt habe der große Empirist einen weitaus klingenderen Namen als in unseren Breiten, ja, David Hume genieße dort einen nachgerade titanischen Status.

    "Ich meine, dass der Stellenwert David Humes in der englischsprachigen Welt bedeutender ist als bei uns die Stellung Kants. Ich würde meinen, dass zumindest die Stellung Kants und Hegels durch Hume im englischen Sprachraum besetzt wird. Dort gilt er gleichsam als Zeus der Philosophie. Vor einigen Monaten gab es eine Umfrage in den 99 führenden Instituten – Schwerpunkt Nordamerika -, und da wurde gefragt: Welcher Philosoph sei denn der interessanteste? Und da hat Hume eindeutig den ersten Rang eingenommen, übrigens vor Aristoteles, Kant und Wittgenstein. Bei uns, im deutschen Sprachraum, wäre das Ergebnis ganz gewiss ein anderes. Da würde Hume, so nehme ich einmal an, weit hinter Kant, Hegel, Heidegger, Nietzsche und wahrscheinlich Karl Marx rangieren."

    Gerhard Streminger ist einer der profundesten Kenner der Humeschen Philosophie weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus. Umso bemerkenswerter, dass sich der 59-jährige Fachphilosoph in seiner Hume-Biografie auch als begabter Erzähler erweist. Man erfährt auf den 790 Seiten dieses Bandes nicht nur Instruktives und Erhellendes über das Humesche Denken, Streminger gelingt es auch, das Leben des grpßen Schotten auf anschauliche Weise lebendig zu machen. Als David Hume 1711 in ein streng calvinistisches Milieu hineingeboren wird, ist Schottland nicht nur tief gespalten in eine katholisch-keltische Hochlandkultur und einen angelsächsisch-presbyterianischen Süden. Das Land der Moore, Lochs und Glens hat auch mehrere verheerende Hungersnöte hinter sich, denen jeweils bis zu zehn Prozent der Gesamtbevölkerung zum Opfer gefallen sind. Es ist also ein bitterarmes, raues, düsteres Land, das Schottland des frühen 18. Jahrhunderts. Und düster ist auch die calvinistische Kultur, in der David Hume seine Kindheit und Jugend verbracht hat.

    "Also, der Calvinismus in Schottland war extrem fundamentalistisch. Es wurde die These vertreten, dass Gottes Gerechtigkeit darin bestehe, dass er einige wenige rette und die allermeisten für ewig ins Höllenfeuer schicke. Und zwar wurde das begründet mit der Ursünde, der Erbsünde. Das heißt, Adam und Eva haben die Gebote Gottes nicht befolgt, und deshalb ist es nur gerecht, dass Gott die allermeisten Menschen für immer verdammt. Es war eine sehr düstere, strikte Form der Religiosität und hat bewirkt, dass die Menschen sich sehr unsicher gefühlt haben, denn es war unklar, ob sie zu den wenigen Geretteten oder den vielen Verdammten gehören. Und das Zeichen übrigens, woran man jene erkennt, die gerettet werden, ist der gesellschaftliche Erfolg."

    Unter dem Einfluss stoischer Philosophen löst sich David Hume schon als Jugendlicher vom fundamentalistischen Calvinismus. Der Ursprung aller Religion seien Furcht und Angst, analysiert er später, die Angst der Menschen vor Krankheiten, Kriegen, Hungersnöten und Schicksalsschlägen aller Art, letztlich die Angst vor dem Tod. Diese Angst motiviere die Menschen, sich göttliche Instanzen zu erschaffen, die man durch Gebete und Opfergaben gnädig zu stimmen hofft. Dadurch schaffe der Mensch sich die Illusion, sein Geschick – auf quasi göttlichen Umwegen – mitbestimmen zu können. Letztlich freilich beruhe religiöser Glaube immer auf Einbildung und Selbsttäuschung, so Hume. Im Grunde hatte der schottische Aufklärer fundamentale Einwände gegen metaphysische Spekulationen aller Art, wie Gerhard Streminger erläutert.

    "Sein Argument ist so, dass, wenn ich eine metaphysische Aussage treffe, und wenn ich dann zum Beispiel die gegenteilige metaphysische Aussage treffe, so habe ich keine Methode zu begründen, welche dieser beiden Aussagen wahr ist. Also außerhalb des relativ windgeschützten Hafens der Empirie herrscht reines Chaos."

    In Gerhard Stremingers Biografie wird auch der Mensch David Hume lebendig. Den Hume der mittleren und späten Jahre muss man sich als beleibten, einen Meter achtzig großen Herrn mit Puderperücke vorstellen, als geselligen Barock-Gentleman mit einer unverbrüchlichen Liebe zum Kartenspiel Whist.

    "David Hume wird allgemein geschildert als ein ungemein großzügiger Mensch, er war sehr humorvoll, er war sehr dick, ein Obelix, mit Perücke allerdings, nicht mit Zöpfen. Oft wird beschrieben, dass wenn er herein trat in ein Zimmer, das war wie das Öffnen eines Fensters. Also, er hatte sicher Charisma. Hume war nicht nur ein großer Denker, sondern offenbar auch ein großer Mensch."

    Der Einfluss David Humes auf die modernen Wissenschaften kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ob als Erkenntnistheoretiker oder kämpferischer Religionskritiker, ob als diesseitsorientierter Ethiker, als Historiker oder als rational abwägender politischer Denker: David Hume war der prototypische Vertreter eines aufklärerischen Humanismus, der den Menschen schon lange vor Kants berühmter Forderung aus seiner "selbstverschuldeten Unmündigkeit" befreien wollte. Gerhard Streminger hebt in seinem Buch vor allem auch Humes Bedeutung als Religionskritiker hervor.

    "Wenn Sie daran denken, dass praktisch die Hälfte der Menschheit monotheistisch ist, also an einen irgendwie gütigen Gott glaubt, und wenn Hume und die anderen Religionskritiker Recht haben und das ein Märchen ist, dann ist Hume höchst aktuell."

    Gerhard Streminger hat eine opulente und flüssig geschriebene Biografie vorgelegt, zugleich Epochen-Panorama und brillante Einführung in das Denken des schottischen Aufklärers. Mit Büchern wie diesem 800-Seiter macht Philosophieren Spaß.

    Günter Kaindlstorfer war das über: "David Hume: Der Philosoph und sein Zeitalter". Das Buch von Gerhard Streminger ist bei C. H. Beck erschienen, 796 Seiten kosten 34 Euro.