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"Er hat die Dichtung vorangetrieben"

Der Lyriker Peter Rühmkorf hat nach Ansicht von Hajo Steinert, Leiter der Literaturredaktion des Deutschlandfunks, eine frischen Ton in die Nachkriegslyrik gebracht. Nicht Agitationslyrik sondern Sprachwitz seien sein Ding gewesen. Er habe Humor, Freude, Spaß in die politische Dichterszene gebracht.

Interview mit Hajo Steinert |
    Stefan Koldehoff: Peter Rühmkorf ist tot. Einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart starb, wie sein Verlag heute bekannt gegeben hat, am gestrigen Sonntag im Alter von 78 Jahren in einer Bauernkarte im Lauenburgischen nach längerer Krebserkrankung. Ein Dichter war er, nicht nur ein Autor. Denn die ästhetische Form war Rühmkorf mindestens so wichtig wie der Inhalt. Volksschullehrer hatte er eigentlich werden wollen, Pädagogik und Kunstgeschichte, später Germanistik und Psychologie studiert und brach alles ab. Stattdessen gründete er Literaturzeitschriften und politische Magazine, wurde Lektor und begann schließlich selbst zu schreiben, Geschichten, Essays, Pamphlete und immer wieder Gedichte und sah sich in einer Tradition, in der Tradition der deutschen Dichtung. Hajo Steinert ist bei mir im Studio, der Leiter der Literaturredaktion im Deutschlandfunk. Herr Steinert, Sie haben ihn auch privat gut gekannt. Was zeichnete zunächst mal den Dichter Peter Rühmkorf aus?

    Hajo Steinert: Ja, dieses lange Lebenswerk natürlich. Es sind beinahe 50 Jahre her, da sein erster Gedichtband erschien mit dem fast schon damals programmatischen Titel "Irdisches Vergnügen in g". Dieser Band erscheint 1959. Und ich habe ihn ja schon als Student in den 70er-Jahren kennengelernt, als er Vorlesungen gehalten hatte. Und da wurde er mir noch mal deutlich, was er in der Dichtung vorangetrieben hat, war auch in seinen politologischen Essays immer wieder zu spüren. Er hat sozusagen gegen das metaphysische Rauschen der Nachkriegslyrik angeschrieben. Lyrische Beschwörungen der Natur lagen ihm denkbar fern. Brecht lag ihm mehr als Gottfried Benn. Er ist einer, der einen ganz frischen Ton in die Nachkriegslyrik, in die Lyrik der 50er-Jahre gebracht hat und einer, der von Beginn an eigentlich das Leben als eine Feier begriffen hat und der aufgerufen hat und mobilisiert hat in seiner Lyrik, die immer auch eine gereimte Lyrik war. Denken Sie nur an die verschiedenen Titel von ihm. Ich habe mal ein paar schöne jetzt hier vor mir liegen. "Komm raus, lass leuchten, Phoenix voran, bleib erschütterbar und wiedersteh'", so ist er angetreten gegen den lyrischen Muff der 50er-Jahre anzuschreiben und dann auch offiziell und öffentlich aufzutreten. Er hat ja zum Beispiel als Erster Lyrik öffentlich gemacht, indem er zum Beispiel in Hamburg gestanden ist, vom Lastwagen die Lyrik auf losen Blättern runtergeworfen hat. Er hat in Studentenkabaretts gearbeitet, "Die Pestbeule" hieße eine. Er war, um auch ein Pseudonym zu nennen, Leslie Meiers Lyrikschlachthof.

    Er hat sehr kräftig gearbeitet und seine Bedeutung liegt eigentlich schon im 50er- und dann später zwischen den 60er-Jahren, in der er sich nahe der Studentenbewegung gefühlt hat. Aber seine große Kunst lag darin, dass er Poesie und Politik in seiner Dichtung immer stark getrennt hat, keine Agitationslyrik, sondern der Sprachwitz war seine Sache. Er hat parodiert, persifliert, zitiert, kombiniert, Hochspracheslang, Umgangsprache. Es ging bei ihm eine wunderbare Liaison ein, bis zuletzt eigentlich in seiner Dichtung.

    Koldehoff: Wie entstanden diese Gedichte, aus dem Erleben heraus, was dann in Verse umgesetzt wurde, oder waren das Kopfgeburten, die in der Schreibkammer entstanden sind?
    Steinert: Ja, beides natürlich. Er ist einer, der auch zugehört hat, wie wird draußen gesprochen? Denken Sie nur an seinen berühmten Band von 1968. Da hatte er ja einfach Flugblätter gesammelt. Er hatte Toilettensprüche gesammelt. Er hat Kinderverse gesammelt, "Über das Volksvermögen" hieß dieses Buch. Er hat gelauscht. Er hat gehört, wie reden die Menschen, und daraus hat er natürlich dann in strenger Arbeit seine Lyrik geformt und Lyrik gereimt. Das Vergnügen und die Arbeit lagen bei ihm immer sehr beieinander.

    Koldehoff: Sie haben gerade gesagt, er hat immer seine Lyrik und das Politische voneinander getrennt. Aber er war trotzdem ein politischer Kopf?

    Steinert: Er war ein politischer Kopf. Er hat auch keinen Hehl daraus gemacht. Er war immer sehr eng mit Günter Grass befreundet. Er hat sich in den verschiedenen Institutionen, in denen er gearbeitet hat, auch immer für beinahe das Rebellische, für Anarchische eingesetzt, ohne ein Parteigänger zu sein, wiewohl er auch mal für die SPD Parteiwahlkampf gemacht hat. Aber er war in der Gruppe 47 mit seinen Freunden zusammen. Er wollte immer diese Freunde um sich haben. Er war im P.E.N. Er war in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er war an der Akademie der Künste. Und er war immer der am liebsten Gesehene von allen, weil er auch etwas hineingebracht hat in diese ernste politische Dichterszene, nämlich Humor, Freude, Spaß. Und das war etwas, was zum Beispiel sein großer Freund Günter Grass nicht hatte. Grass brauchte Rühmkorf, damit das Leben ein bisschen lustiger ist.

    Koldehoff: Erich Fried, mit dem Rühmkorf auch nicht nur bekannt, sondern befreundet war, hat mal gesagt, wer soviel schreibt wie ich, der schreibt auch viel Mist. Wie war das bei Rühmkorf?

    Steinert: Er hat keinen Mist geschrieben. Er hat wichtigere Werke geschrieben, weniger wichtige geschrieben. Er hat vor allen Dingen keinen Roman geschrieben, sondern immer nur Lyrik gelesen, die auch immer wunderbar vorgetragen. Ich habe ihn bei vielen Lesungen erlebt. Und wir sollten noch mal seine Stimme einspielen in einem Originalton.

    O-Ton Peter Rühmkorf: "Ich selbst geb mich so elitär, wie ich halt reduziert bin und tanz auf keiner Hochzeit mehr, wo ich nicht amüsiert bin. Trage mein Irrlicht durch die Welt in einer Stalllaterne und sag, je älter umso seltsamer erglühen die Sterne."

    Koldehoff: Herr Steinert, was war Peter Rühmkorf für ein Mensch?

    Steinert: Ja, ich kannte ihn in der Tat aus meiner journalistischen Arbeit. Als Student hatte ich ihn kennengelernt. Das Großartige an ihm war, dass er uns Leser, nicht nur Kritiker und Journalisten, angesteckt hat mit seiner Lust, Lyrik zu schreiben, dass er immer wieder seine Leser gefunden hat, ob das die frühe Feier des Lebens war oder seine Alterswerke. Zuletzt ist ja erschienen ein Band von ihm "Paradiesvogelschiss". Da denkt er auch viel über den Tod nach, kann ich sehr zur Lektüre empfehlen. Und wie er aus dem Alltag Lyrik machte. Ich bin mal mit ihm auf der Frankfurter Buchmesse, es ist noch nicht allzu lange her, nach Hause gefahren bzw. zurück ins Hotel gefahren, und er saß vorne im Taxi, ich hinten. Da sage ich zu ihm, guck mal, Peter, die Alte Oper. Es entsteht eine Pause, dreht sich um und fragt mich ganz ernst, hast du gerade Alter Opa zu mir gesagt. So entsteht bei ihm Dichtung, aus dem Gehörten macht er seinen Sprachwitz, ein wunderbarer Mensch.

    Koldehoff: Und einer, der mit Sicherheit fehlen wird und den man, wenn man es nicht schon getan hat, spätestens jetzt sicherlich noch mal lesen sollte. Hajo Steinert war das, vielen Dank, aus der Literaturredaktion des Deutschlandfunks zum Tod von Peter Rühmkorf.