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Erbarmungslos

Feuchte Hände, trockene Lippen, zitternde Knie - mit ein bisschen Fantasie können Sie all das aus der neuen CD heraushören, die ich Ihnen heute früh vorstellen möchte. Aber keine Angst, es sind nicht etwa blutige Anfänger am Werk: Der Trompeter Hannes Läubin und der Pianist Lukas Maria Kuen sind routinierte, hochmusikalische Profis - aber das Repertoire, das sie ausgewählt haben, das ist bisher selten angstfrei gespielt worden.

Von Maja Ellmenreich | 28.05.2006
    Es handelt sich nämlich um Werke, die eigens für die Abschlussprüfung der Trompetenklasse am renommierten "Conservatoire de Paris" komponiert wurden. Und in solch einer Examensprüfung muss der Kandidat natürlich beweisen, was er kann: rasante Läufe, Flatterzunge, Triller - da kennen Komponist und Jury kein Erbarmen!

    " Musikbeispiel: Théo Charlier: Finale aus "Solo de Concours""

    Théo Charlier heißt der Komponist, der mit diesem kurz-knackigen Finale sein "Solo de Concours" enden lässt. Théo Charlier findet man ebenso wenig in einem deutschsprachigen Musiklexikon wie die meisten anderen Komponisten-Namen auf dieser neuen CD. Bis auf Camille Saint-Saëns und Florent Schmitt sind die "Solo de Concours"-Komponisten bei uns weitgehend unbekannt: Jeanine Rueff, Philippe Gaubert, Guillaume Balay, Marcel Bitsch und André Chailleux.

    Allesamt keine großen Komponisten! Sie waren aber prädestiniert, für das Trompetenexamen am Pariser Konservatorium zu schreiben. Denn die Situation, für die ihre Stücke gedacht sind, die war allen bestens bekannt: entweder als Student oder als Professor hatten sie die Prüfungen am "Conservatoire National Supérieur de Musique" durchlitten.

    Mit beiden Perspektiven sogar ist Marcel Bitsch vertraut: Erst hat der 1921 geborene an der Kaderschmiede der französischen Musikszene studiert; später dann als Professor gelehrt.

    In seinem Examensstück schlägt Bitsch gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Zum einen stellt er natürlich hohe spieltechnische Anforderungen, aber er absolviert auch einen Zeitsprung in die Blütezeit der Trompete und fordert dem Prüfling barocke Klänge ab, indem er ein Thema von Domenico Scarlatti variiert hat.

    Musikbeispiel: Marcel Bitsch: Ausschnitt aus "Quatre Variations"

    Wenn der Trompeter Hannes Läubin und der Pianist Lukas Maria Kuen auf ihrer gemeinsamen neuen CD Variationen von Marcel Bitsch spielen - dann ist es ein unfaires Spiel: Denn zweifelsohne steht die Trompetenstimme im Vordergrund, ihrer Ausarbeitung wurde - wie in fast allen Fällen - mehr Aufmerksamkeit geschenkt! Hannes Läubin, Professor an der Münchner Musikhochschule, er darf also alle Register ziehen und tut das auch. Wären da nicht einige klitzekleine Unsauberkeiten, würde man ihm für sein "Solo de Concours" die höchste Punktzahl geben.

    Sein Begleiter hat weitaus weniger Möglichkeiten zu zeigen, was er kann. Lukas Maria Kuen fügt sich aber in sein Schicksal, er nimmt die Rolle an, die ihm aufgetragen wurde und spielt diese nicht immer hoch-anspruchsvollen Klavierparts mit bewundernswerter Besonnenheit. Eine Rolle, die ihm bestens vertraut ist: Denn seit 2003 ist Lukas Maria Kuen offizieller Begleiter beim ARD-Wettbewerb.

    Bei allem Verständnis für Sinn und Zweck der dargebotenen Kompositionen - im Grunde sind sie schließlich nichts anderes als Gebrauchsmusik - bei allem Verständnis freut man sich dann aber, wenn es ein Komponist versteht, beide Instrumente zu ihrem Recht kommen zu lassen. Ein Glück also, dass auch Florent Schmitt für die "Solo de Concours" geschrieben hat. Schließlich hat er sich nicht zuletzt mit seinen Klavierkompositionen einen Namen gemacht. Im hohen Alter von 85 Jahren schrieb er für die Trompeter-Prüflinge des Jahrgangs 1955.

    " Musikbeispiel: Florent Schmitt: Gaîment aus "Suite en trois parties", op. 133"

    Die Suite von Florent Schmitt und die Fantasie von Camille Saint-Saëns - sie sind eindeutig die beiden Prunkstücke auf der neuen CD "Solo de Concours" von Hannes Läubin und Lukas Maria Kuen.

    Die anderen Examensstücke sind aber noch lange nicht zu missachten: Sie erweitern das magere Kammermusik-Repertoire für Trompete und Klavier mit Werken aus dem 19. und 20. Jahrhundert; sie sind ein wahrer "Abenteuerspielplatz" für jeden begabten Trompeter; und als Hörer hat man gelegentlich den Eindruck, Zeuge einer Testfahrt zu sein: Wie ein neuer Wagen wird die Trompete geprüft, muss Vollbremsungen, Slalomparcours und nasse Fahrbahnen überstehen.

    Ohne schlimme Blessuren absolviert Hannes Läubin diese Testrecke - mit Lukas Maria Kuen hat er einen routinierten Beifahrer. Und glücklicherweise dürfen die beiden auch vorführen, wie das "Modell Trompete" bei ruhiger Fahrt auf der Straße liegt. Beim "Solo de Concours" am Pariser Konservatorium müssen die Examenskandidaten eben auch beweisen, dass sie einen langen Atem haben.

    " Musikbeispiel: André Chailleux: Lent aus "Morceau de Concours""

    Hannes Läubin, Trompete, und Lukas Maria Kuen, Klavier, sie spielten den Anfangssatz aus dem "Morceau de Concours" von André Chailleux.

    Auf ihrer neuen CD sind außerdem Werke von Théo Charlier, Jeanine Rueff, Philippe Gaubert, Guillaume Balay, Marcel Bitsch, Camille Saint-Saëns und Florent Schmitt; Kompositionen, die speziell für die Abschlussprüfungen der Trompetenklasse am Pariser Konservatorium geschrieben wurden. Die neue CD ist als SACD bei dem Label Audite erschienen.

    Diskographie
    Titel: "Solos de Concours"
    Solisten: Hannes Läubin, Trompete
    Lukas Maria Kuen, Klavier
    Label: audite
    Labelcode: LC 04480
    Bestell-Nr.: 92.521