Archiv


Erben der kolonialen Vergangenheit

Ein prominenter Kongolese, einst der Erste mit belgischer Schulausbildung, war vor knapp hundert Jahren ein Kriegsgefangener in Hannover. Die ethnologische Sammlung des Landesmuseums der niedersächsischen Hauptstadt zeigt Hörspiele und Exponate zur Heimat von Paul Panda Farnana.

Von Michael Laages |
    Historischer Zufall verbindet ausgerechnet Hannover mit dem Kongo: in der Geschichte von Paul Panda Farnana:

    "Der erste intellektuelle Kongolese heißt Paul Panda Farnana. Der war eigentlich ein Diener und der Belgier war so barmütig und hat ihn nach Belgien mitgenommen. Und das war der erste Kongolese, der zur Schule gegangen ist und eine Ausbildung gemacht hat und wurde auch diplomiert. Und der erste Schwarze der vor dem Parlament in Belgien gesprochen hat und der gesagt hat, dass diese Massaker und alles aufhören müssten."

    Alte Phonographen-Aufnahmen, gepresst in den allerersten Jahren der Schallplatte auf den Maschinen von Emil Berliners Grammphon-Plattenproduktion in Hannover, dokumentieren das Interesse der Kolonisatoren im Alten Europa an dieser Neuen Welt; und Paul Panda Farnana verbindet noch mehr mit Hannover – er, der als erster Afrikaner vor dem Parlament in Brüssel Hochrufe auf König Leopold ausbringt (dessen privater Besitz der Kongo ja ist), dieser belgische Afrikaner arbeitet 1916 für einige Zeit als Kriegsgefangener in Hannover. In Erinnerung bleibt er aber auch im Hörspiel der Berliner Medien-Agentur Kriwomasow, weil er auch sprach auf dem ersten Kongress, der zumindest nachzudenken beginnt über den eigenen Weg dieses großen und reichen Landes. Kongolesen, die heute in Hannover leben, erinnern auch daran:

    "Also die Geschichte von Kongo, ich kann wirklich sagen, das ist eine Geschichte von Ausbeutung, die angefangen hat seit den 16. Jahrhundert. Aber früher war das ein großer einziger Royaume."

    Ein "Royaume", ein riesiges Königreich mit eigenem König und vielen Sprachen – "Congo Connection" ist eine Sammlung von Hörspielen, die die Geschichte des Kongo erzählen, von früher Ausbeutung der Bodenschätze über Patrice Lumumba, den Helden der Unabhängigkeit, bis zu den Kabila-Präsidenten der jüngsten Zeit; das Publikum, mit Kopfhörern und tragbaren Datenspeichern bewehrt, hört zu und wandert derweil durch die Ethnologische Sammlung des Landesmuseums in Hannover. Im letzten Teil begegnen wir im Video all den hannoverschen Kongolesen, die uns ihr Land näher gebracht haben – diese eindrucksvolle Lehrstunde, die das Festival an allen Tagen begleitet, wird bedauerlicherweise ein wenig verwirrt durch den wunderschönen Museumsort selbst. Denn zu sehen sind in der Sammlung, durch die die Hörstrecke führt, nicht etwa nur Fundstücke und Dokumente aus Zentralafrika, ja nicht mal nur aus Afrika – die Optik führt auch nach Japan oder Indonesien; und die Datenfolien, die zum Nachlesen der Kongo-Geschichte auf die Schaukästen geklebt sind, mühen sich nun redlich, um Verbindungen zwischen den fremden Welten herzustellen. Das wirkt leider manchmal an sehr langen Haaren herbei gezogen – dieses sonderbare Ungleichgewicht prägt auch einige der Bühnen-Produktionen.

    "Drums and Digging" etwa, die triste Kongo-Beschwörung vom "Studio Kabako" um Faustin Linyekula. Die Erinnerung an die Verwüstungen, die der Potentat Mobutu hinterließ, sind sehr locker mit Tänzen und Musik verbunden; außerdem auch noch mit der kritischen Selbstbefragung des Künstlers: danach, ob er denn überhaupt erzählen könne von so viel Schrecken und Schicksal. Boyzie Cekwana aus Südafrika ist erklärtermaßen befreundet mit Linyekula – "In Case of Fire, run for the Elevator" heißt seine Produktion; und fordert damit gerade das, was im Feuerfall strikt verboten ist: nämlich den Fahrstuhl zu benutzen. Drei Akteure, einer davon im Spiderman-Outfit, kreieren höchst abstrakte Bild-Konstellationen, und dazu gackern ein paar Hühner – auch hier, so scheint es, herrscht große Skepsis gegenüber erzählten Geschichten. Das auf Moderne geeichte Festival-Publikum jubelt.

    Der Belgier Alain Platel hat für "Nine Fingers" das Selbstzeugnis eines Kinder-Soldaten in Duo-Szenen übersetzt: hier der brüllende Kung-Macho-Killer, dort eine zarte, puppenhaft bewegliche Tänzerin. Das gerät so kalt wie schockierend – und vor manchem Abgrund der Gegenwart blieben wir, die Erben der kolonialen Vergangenheit und Profiteure der Ausbeutung, im Grunde wohl besser stumm.