Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Erdbebenwacht im All

Geophysik. – Chile gehört zu den am stärksten erdbebengefährdeten Gebieten der Erde. Erst unlängst entlud sich mit Zentrum nahe der Stadt Concepción ein weiteres Teilstück der Störung. Ein Team von Geophysikern hat schon vorher die chilenische Erdbebenzone als Testgebiet gewählt, um den Esa-Schwerefeld-Satelliten Goce auf seine Eignung als Erdbebenschnüffler zu testen. Der Test verlief erfolgreich, doch genauen Ort und Zeitpunkt des Bebens konnte auch Goce nicht vorhersehen.

Von Matthias Günther | 19.03.2010
    "Erdbebenvorhersage gibt es nicht. Die gibt es auch in den nächsten 20, 30 Jahren nicht","

    sagt Hans-Jürgen Götze, Professor für Geophysik und Geoinformatik in Kiel. Aber:

    ""Wir sind in der Lage, die Gebiete zu identifizieren, wo also eine Katastrophe droht."

    Und das könnte künftig noch besser gelingen. Hans-Jürgen Götze geht davon aus, dass dazu auch die Messung der Erdanziehungskraft einen wertvollen Beitrag leisten wird. Er hat mit seinen Kollegen Ron Hackney aus Australien und Andres Tassara aus Chile folgende Hypothese aufgestellt: Wenn sich eine Erdplatte unter die andere schiebt und sie sich dabei verhaken, dann entsteht in dem am stärksten von einem Erdbeben bedrohten Gebiet ein besonderer Druck, der mit einer Gravitationsmessung feststellbar ist. Die Wissenschaftler wollten dem nachgehen. Für ihre Forschungen wählten sie schon vor dem sehr starken Erbeben Ende Februar das Gebiet um Concepción in Chile aus. Das war kein Zufall, erklärt Hans-Jürgen Götze:

    "Man weiß, dass das Gebiet gefährdet ist. Dieses Gebiet ist gefährdet seit dem 16. Jahrhundert. Es gab immer wieder verheerende Erdbeben in Concepción – gerade in Concepción. Aber man weiß nicht genau, wann es losgeht."

    Die Daten für ihre Forschungen lieferte der Satellit Goce. Er kreist seit dem vergangenen Jahr in nur 250 Kilometer Höhe um die Erde und vermisst das Schwerefeld der Erde mit bisher nicht gekannter Präzision. Und bei Concepción wurde dann in der Tat ein besonders starker Druck festgestellt. Die Forscher schlossen daraus, dass sich die pazifische Platte hier mit der südamerikanischen Kontinentalplatte verhakt hatte und es nur eine Frage der Zeit wäre, bis sich dieser Druck durch ein Erdbeben entladen würde. Götze:

    "Das Concepción-Beben passt wunderbar – so verheerend es ist – aber es passt sehr, sehr gut in diese Hypothese. Das Beben startete da, wo wir eine hohe Schwere haben, wo wir viel Masse haben, die auf diese abtauchende Platte draufdrückt und infolgedessen für diese Verhakung zuständig war."

    Ob sich der besonders starke Druck in der Region Concepción, der dank der Daten des Satelliten Goce festgestellt wurde, nun durch das Erdbeben wie vermutet abgebaut hat, konnten die Wissenschaftler noch nicht überprüfen. Aussagekräftige Daten gibt es erst in etwa einem halben Jahr. Vom Satelliten Goce erwartet Hans-Jürgen Götze hochpräzise Gravitationsmessungen von ein bis zwei Zentimeter Genauigkeit, Daten, die beispielsweise Aufschluss geben über Sedimentschichten im Untergrund und die so Anhaltspunkte liefern für das Vorkommen von Rohstoffen. Mit Goce ließe sich die Landesvermessung standardisieren, weiß der Kieler Wissenschaftler:

    "Dass die Höhe null in jedem Land die Höhe null ist, das gab es bisher nicht. Wenn wir also von Österreich nach Deutschland fahren, dann springt die Höhe auf einmal um 23 Zentimeter. Das ist für eine moderne Landesvermessung nicht akzeptabel."

    Der Geoforscher Hans-Jürgen Götze will sich aber weiter der Erdbeben-Warnung widmen. Sein Forschungsgebiet ist diesmal der Norden Chiles. Denn auch dort rechnet nicht nur er mit einem starken Erdbeben:

    "Wir sind jetzt dabei, mit einem Multi-Messsystem – Seismologie, GPS-Messungen, Schwere-Messungen am Boden aber auch jetzt mit Goce dieses Gebiet genau unter die Lupe zu nehmen, genau zu überwachen, jede Bewegung dieser Verwerfungslinie, die man auch an der Oberfläche schon sieht, genau irgendwie zu detektieren und aus den Unterschieden, die wir jetzt in der nächsten Zeit ableiten, den Ort des grausigen Geschehens, also den Ort, wo das Erdbeben vielleicht dann auftritt, genauer bestimmen zu können, eingrenzen zu können. Wo es wirklich bricht, wissen wir nicht."

    Und auch den Zeitpunkt werden die Forscher nicht vorhersagen können.