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Erinnerung an Kindsmord

Zwischen 1940 und 1944 wurden im Wiener Sanatorium Baumgartner Höhe Hunderte Kinder mit Behinderung ermordet. "Spiegelgrund" hieß der Spitalskomplex dort und ist heute auch Gedenkstätte zur Geschichte der NS-Medizin. Der Linzer Komponist Peter Androsch hat nun in einer Oper an die Euthanasieverbrechen erinnert.

Von Frieder Reininghaus | 26.01.2013
    Eine Stunde lang diente die Tribüne des Prunksaals nicht der Politik und ihrer Selbstrepräsentation, sondern der Erinnerung an ein Desaster der Politik und eine menschliche Katastrophe. Dass sich Österreich mit der Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit schwertat und fortdauernd gewisse Probleme an den Tag legt, gehört nicht nur zu den gelegentlichen Erfahrungen der Touristen. Nach wie vor und neuerlich gibt es nicht wenige in der Alpenrepublik, die dieses "leidige" Thema am liebsten für immer abgeschlossen wissen möchten. Aber wie anderswo ist dies auch hier nicht möglich – und in europäischen Kontexten ohnedies nicht. Dieser Hintergrund erläutert, warum das österreichische Parlament mit dem Erinnerungsstück von Peter Androsch ein Signal setzen wollte und will.

    Die Heil- und Pflegeanstalt Am Steinhof, zu Beginn des 20. Jahrhunderts als modernste und größte psychiatrische Institution am Stadtrand von Wien ins Leben gerufen, wurde in den Jahren nach 1938 rasch zu einem Zentrum nationalsozialistischer Tötungsmedizin umfunktioniert und profilierte sich zugleich auf dem Gebiet der Zwangssterilisation. Durch gezielte Tötung, Mangelernährung und planmäßige Vernachlässigung wurden fast 8000 Menschen umgebracht. Unter dem Namen "Am Spiegelgrund" existierte auf dem Gelände eine "Fachabteilung", der von 1940 bis '44 mindestens 789 Kinder- und Jugendliche zum Opfer fielen.

    Erinnerung muss und sollte also stattfinden – und künstlerische Mittel können durchaus geeignet sein, das Nachdenken entschiedener zu fördern als das argumentative Wort (das eigentlich im parlamentarischen Raum einen gewissen Vorrang genießen sollte). Die rhetorischen und musikalischen Mittel, die Peter Androsch bei seiner in einen staatlichen Rahmen eingebundenen Gedenkarbeit zum Einsatz brachte, waren in programmatischer Absicht einfach und klar zugeschnitten. Sie scheuten das Herbeizitieren von musikalischen Archaismen nicht und erinnerten in ihrer Kombination an Radio-Produktionen der 60er- und 70er-Jahre. Dabei unterlief die Produktion das allzu stimmungsmäßige "Einfangen" von Betroffenheit durch die protokollarisch sachlich gehaltenen Textfragmente und eine in theatraler Hinsicht völlig zurückgenommene Art der Präsentation – ein paar Spruchbänder sollten als Dekoration genügen.

    Auch vier Stimmakteure – ein Sprecher, ein Bass und zwei Sängerinnen auf der Regierungsbank und den Plätzen der Parlamentspräsiden; unter ihnen die Flötistin, das Streichquintett und der Perkussionist – das Ensemble 09, das Thomas Kerbl vom Cembalo aus leitete. Sie präsentierten eine – offensichtlich gerade auch von jugendlichem Publikum – mit großer Aufmerksamkeit und hörbarer "Ergriffenheit" aufgenommene Produktion. Gattungsmäßig wäre sie wohl dem Genre der Kammeroper zuzurechnen. Das räumt auch der Urheber indirekt ein:

    "Es ist eigentlich ein Opern-Oratorium. Natürlich wurde das oratorische Moment noch verstärkt, weil ja hier keine Spielhandlung inszeniert werden kann. Aber das ist auch etwas, was mich sehr beeinflusst hat – 70er-Jahre Hörspiele, Radiospiele, dann die Messiaen-Schule – zusammen ist es diese Welt, in der ich mich gerne bewege."

    Die von Peter Androsch konzipierte "innere Handlung nahm vor den ans klassisch antike Athen erinnernden Säulen, Giebeln und Koryphäen Bezug auf Sparta und erinnerte damit daran, dass der Reichskanzler Hitler diesem antiken Modell nacheifern wollte. Sie entwickelte ihre musikalischen Klangfarben zu den Farben der Kinderleichen – rot, grün, blau und versöhnte mit Kinderlied-Zitaten. Ob diese Mixtur heute kompositorisch auf der Höhe der Zeit ist, mag dahingestellt bleiben. Die funktional konzipierte Musik hat ihre gutgemeinte Fun