Dina Netz: Susanne Lothar wurde 1960 als Tochter zweier Schauspieler geboren. Sie studierte an der Hamburger Hochschule für Theater und Musik, machte ihre ersten eigenen Bühnenschritte am Hamburger Thalia-Theater, und dann ging’s los: Köln, Wien, Stuttgart hießen die nächsten Stationen, dann wieder Hamburg, wo sie mit Peter Zadeks Inszenierung von Wedekinds "Lulu" den Durchbruch als Schauspielerin schaffte. Susanne Lothar hat an allen wichtigen Bühnen gespielt, 1983 auch in ihrem ersten Film: "Eisenhans" von Tankred Dorst – und der wurde gleich mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet. Mit dem Filmregisseur Michael Haneke hat sie danach mehrfach gearbeitet, mit Luc Bondy und Thomas Ostermeier am Theater. Und immer wieder auch mit ihrem Mann Ulrich Mühe, der vor fünf Jahren an Krebs starb.
Heute kommt die erschütternde Meldung, dass Susanne Lothar im Alter von nur 51 Jahren gestorben ist – die Ursache nennt der Anwalt der Familie nicht. Lothar hat oft labile und verzweifelte Frauen gespielt, und sie hat einmal erklärt, warum:
!"Natürlich interessieren mich Menschen, die es nicht schaffen, mehr, weil es einfach interessanter ist und weil es, glaube ich, auch mehr mit mir zu tun hat, weil ich mich, was den Bereich Schmerz, Ängste und Verletzungen angeht, einfach ganz gut auskenne, ich kann es sehr gut nachempfinden."
Netz: Und Susanne Lothar hatte den Mut, Verletzlichkeit auf Leinwand und Bühne zu zeigen. - Ich habe den Berliner Filmkritiker Knut Elstermann gefragt: Worin liegt denn die besondere künstlerische Bedeutung Susanne Lothars?
Knut Elstermann: Ich denke, genau in dem, was Sie gerade beschrieben haben, nämlich dieser ungeheuere Mut von ihr. Sie war jemand, die wirklich ganz dezent umgegangen ist, sehr verantwortungsvoll mit ihrem künstlerischen Talent, mit ihrer großen Begabung. Sie hat sie nicht verschlissen, sondern sie hat sehr genau hingesehen, was drehe ich, was mache ich, wie präsentiere ich mich meinem Publikum, und da war sie allerdings dann oft unglaublich radikal. Ganz schutzlos hat sie sich ausgeliefert, sie hat sich jede Rolle wirklich hergenommen und manchmal mit ganz kleinen, ganz unauffälligen Mitteln dann doch einen großen Eindruck vermittelt. Man hatte auch immer den Eindruck, wenn man sie sieht, dass man ihren Figuren bis in die Seele hineinschauen kann, und das war eben die große Leistung dieser außerordentlichen Schauspielerin.
Was mich auch immer so fasziniert hat, war diese Energie, die sie verströmte. Man spürte wirklich, dass auch hinter der manchmal ruhenden Fassade tatsächlich Leidenschaften brodeln. Sie ist ohne Frage eine der ganz bedeutenden Schauspielerinnen ihrer Generation.
Netz: Herr Elstermann, nehmen wir mal ein Beispiel aus der frühen Zeit von Susanne Lothar: Sie hat ja am Theater angefangen, berühmt geworden ist sie mit "Lulu" in der Regie von Peter Zadek. Er hat Susanne Lothar damals eine der aufregendsten Entdeckungen der letzten Jahre genannt. Was war denn so aufregend an dieser frühen Susanne Lothar und ihrer "Lulu"?
Elstermann: Das war wirklich auch wieder diese Radikalität, dieses Extreme. Sie hat diese Figur nackt gespielt, und zwar buchstäblich nackt gespielt. Das muss man sich mal vorstellen, wie sie sich da ausgeliefert hat, wie sie sich diese Figur dann auch wieder hergenommen hat. Das ist sicherlich ein Meilenstein übrigens der deutschen Nachkriegstheatergeschichte, was sie da geleistet hat, wie sie wirklich auch Theater mit neu erfunden hat zusammen mit Zadek. Sie war zum Beispiel auch ein großer Fan der Berliner Volksbühne, also der Nachwende-Volksbühne, wo ja ähnlich radikal gearbeitet wurde, und sie hat sich da – das ist gar nicht so bekannt – tatsächlich auch beworben, sie wollte da gerne anfangen. Aber Frank Castorf hat eben kein Interesse an Stars aus dem Westen, er wollte seine eigenen Stars aufbauen, das ist ihm auch gelungen. Er wollte mit ihr nicht arbeiten, was ich gerade jetzt doch sehr bedauere, weil ich mir vorstellen könnte, dass diese Zerbrechlichkeit, gepaart mit dieser Aggressivität und Energie, durchaus auch auf der Volksbühne Bestand gehabt hätte.
Netz: Susanne Lothar war ja mit Ulrich Mühe verheiratet, so viel weiß man, aber sie hat ihr Privatleben sonst immer sehr geschützt. Sie haben mit ihr ja mal gesprochen. Was für eine Frau war sie denn jenseits von Leinwand und Bühne?
Elstermann: Also Sie hat sich tatsächlich, wie Sie sagen, nicht in die Karten schauen lassen. Sie hat ganz bewusst versucht, das rauszuhalten, den Boulevard nie bedient, und das war auch völlig richtig so und war sicherlich auch sehr wichtig für ihre künstlerische Entwicklung. Im Gespräch damals zum Beispiel, da merkte man einfach, was für eine ernsthafte Künstlerin sie war. Da waren keine Floskeln möglich, kein journalistisches Smalltalk-Geschwätz, was man ja durchaus manchmal auch mit bedient. Nein: klare Fragen, klare Antworten. Sobald sie sich auf die künstlerische Arbeit bezogen, war sie von einer unglaublichen Ernsthaftigkeit. Und ich habe es vorhin schon mal versucht zu erklären: Verantwortungsbewusstsein, das war etwas, was sie geprägt hat, und dann konnte man mit ihr natürlich auch hervorragend reden über ihre Arbeit. Eine große Sensibilität spürte man auch bei der Privatperson Susanne Lothar.
Netz: In den letzten Jahren hat Susanne Lothar mehr Filme gedreht.
Elstermann: Ja.
Netz: Welche Rollen von ihr werden in Ihren Augen bleiben?
Elstermann: Das fällt mir ganz schwer, weil ich finde, wann immer sie in einem Film auftauchte, selbst nur in so kleinen Rollen – "Klavierspielerin", da spielt sie ja nicht die Hauptrolle, in dem Film von Michael Haneke -, dann hatte sie sofort diese enorme Präsenz. Und wenn ich sage, "Rückhaltloses Spiel", ein Spiel, das tatsächlich dann ohne doppelten Boden passiert, wo man sich ganz ausliefert, denke ich natürlich vor allem an die Filme von Michael Haneke, "Das weiße Band" zum Beispiel, auch das eigentlich eine kleine Rolle in diesem großen Ensemble-Film, aber wie sie da diese geschundene, verletzte Figur hinstellt, unvergesslich. Oder aber "Funny Games", ein Film von 1997, auch von Michael Haneke: Sie spielt ein Gewaltopfer, die Gewaltspirale wird immer, immer schrecklicher in diesem Film, und wie sie das zeigt, wie sie diese Verzweiflung zeigt, auch diesen Überlebenskampf, gehört zu den ganz großen Leistungen dieser überragenden Schauspielerin. Und ich muss noch einen kleinen Film nennen, den vielleicht noch gar keiner so richtig kennt, der lief in München beim Filmfest jetzt, ein Debüt-Film der Berliner Filmhochschule. Hanna Dose hat diesen Film gemacht: "Staub auf unseren Herzen". Da spielt Susanne Lothar so eine Psychoanalytikerin, die sich sehr mit ihrer Tochter auseinandersetzt, hat auch sehr komische Seiten, auch eine wunderbare Figur, und ich habe mich so gefreut: Eine junge Regisseurin entdeckt eben auch diese große Schauspielerin für sich und kann mit ihr offenbar gut zusammenarbeiten. Das war sehr optimistisch, das zu sehen, und nun bin ich erschüttert und entsetzt, dass dieser Film ganz offenbar jetzt der Abschied ist von Susanne Lothar.
Netz: Knut Elstermann erinnerte an die Theater- und Filmschauspielerin Susanne Lothar.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Heute kommt die erschütternde Meldung, dass Susanne Lothar im Alter von nur 51 Jahren gestorben ist – die Ursache nennt der Anwalt der Familie nicht. Lothar hat oft labile und verzweifelte Frauen gespielt, und sie hat einmal erklärt, warum:
!"Natürlich interessieren mich Menschen, die es nicht schaffen, mehr, weil es einfach interessanter ist und weil es, glaube ich, auch mehr mit mir zu tun hat, weil ich mich, was den Bereich Schmerz, Ängste und Verletzungen angeht, einfach ganz gut auskenne, ich kann es sehr gut nachempfinden."
Netz: Und Susanne Lothar hatte den Mut, Verletzlichkeit auf Leinwand und Bühne zu zeigen. - Ich habe den Berliner Filmkritiker Knut Elstermann gefragt: Worin liegt denn die besondere künstlerische Bedeutung Susanne Lothars?
Knut Elstermann: Ich denke, genau in dem, was Sie gerade beschrieben haben, nämlich dieser ungeheuere Mut von ihr. Sie war jemand, die wirklich ganz dezent umgegangen ist, sehr verantwortungsvoll mit ihrem künstlerischen Talent, mit ihrer großen Begabung. Sie hat sie nicht verschlissen, sondern sie hat sehr genau hingesehen, was drehe ich, was mache ich, wie präsentiere ich mich meinem Publikum, und da war sie allerdings dann oft unglaublich radikal. Ganz schutzlos hat sie sich ausgeliefert, sie hat sich jede Rolle wirklich hergenommen und manchmal mit ganz kleinen, ganz unauffälligen Mitteln dann doch einen großen Eindruck vermittelt. Man hatte auch immer den Eindruck, wenn man sie sieht, dass man ihren Figuren bis in die Seele hineinschauen kann, und das war eben die große Leistung dieser außerordentlichen Schauspielerin.
Was mich auch immer so fasziniert hat, war diese Energie, die sie verströmte. Man spürte wirklich, dass auch hinter der manchmal ruhenden Fassade tatsächlich Leidenschaften brodeln. Sie ist ohne Frage eine der ganz bedeutenden Schauspielerinnen ihrer Generation.
Netz: Herr Elstermann, nehmen wir mal ein Beispiel aus der frühen Zeit von Susanne Lothar: Sie hat ja am Theater angefangen, berühmt geworden ist sie mit "Lulu" in der Regie von Peter Zadek. Er hat Susanne Lothar damals eine der aufregendsten Entdeckungen der letzten Jahre genannt. Was war denn so aufregend an dieser frühen Susanne Lothar und ihrer "Lulu"?
Elstermann: Das war wirklich auch wieder diese Radikalität, dieses Extreme. Sie hat diese Figur nackt gespielt, und zwar buchstäblich nackt gespielt. Das muss man sich mal vorstellen, wie sie sich da ausgeliefert hat, wie sie sich diese Figur dann auch wieder hergenommen hat. Das ist sicherlich ein Meilenstein übrigens der deutschen Nachkriegstheatergeschichte, was sie da geleistet hat, wie sie wirklich auch Theater mit neu erfunden hat zusammen mit Zadek. Sie war zum Beispiel auch ein großer Fan der Berliner Volksbühne, also der Nachwende-Volksbühne, wo ja ähnlich radikal gearbeitet wurde, und sie hat sich da – das ist gar nicht so bekannt – tatsächlich auch beworben, sie wollte da gerne anfangen. Aber Frank Castorf hat eben kein Interesse an Stars aus dem Westen, er wollte seine eigenen Stars aufbauen, das ist ihm auch gelungen. Er wollte mit ihr nicht arbeiten, was ich gerade jetzt doch sehr bedauere, weil ich mir vorstellen könnte, dass diese Zerbrechlichkeit, gepaart mit dieser Aggressivität und Energie, durchaus auch auf der Volksbühne Bestand gehabt hätte.
Netz: Susanne Lothar war ja mit Ulrich Mühe verheiratet, so viel weiß man, aber sie hat ihr Privatleben sonst immer sehr geschützt. Sie haben mit ihr ja mal gesprochen. Was für eine Frau war sie denn jenseits von Leinwand und Bühne?
Elstermann: Also Sie hat sich tatsächlich, wie Sie sagen, nicht in die Karten schauen lassen. Sie hat ganz bewusst versucht, das rauszuhalten, den Boulevard nie bedient, und das war auch völlig richtig so und war sicherlich auch sehr wichtig für ihre künstlerische Entwicklung. Im Gespräch damals zum Beispiel, da merkte man einfach, was für eine ernsthafte Künstlerin sie war. Da waren keine Floskeln möglich, kein journalistisches Smalltalk-Geschwätz, was man ja durchaus manchmal auch mit bedient. Nein: klare Fragen, klare Antworten. Sobald sie sich auf die künstlerische Arbeit bezogen, war sie von einer unglaublichen Ernsthaftigkeit. Und ich habe es vorhin schon mal versucht zu erklären: Verantwortungsbewusstsein, das war etwas, was sie geprägt hat, und dann konnte man mit ihr natürlich auch hervorragend reden über ihre Arbeit. Eine große Sensibilität spürte man auch bei der Privatperson Susanne Lothar.
Netz: In den letzten Jahren hat Susanne Lothar mehr Filme gedreht.
Elstermann: Ja.
Netz: Welche Rollen von ihr werden in Ihren Augen bleiben?
Elstermann: Das fällt mir ganz schwer, weil ich finde, wann immer sie in einem Film auftauchte, selbst nur in so kleinen Rollen – "Klavierspielerin", da spielt sie ja nicht die Hauptrolle, in dem Film von Michael Haneke -, dann hatte sie sofort diese enorme Präsenz. Und wenn ich sage, "Rückhaltloses Spiel", ein Spiel, das tatsächlich dann ohne doppelten Boden passiert, wo man sich ganz ausliefert, denke ich natürlich vor allem an die Filme von Michael Haneke, "Das weiße Band" zum Beispiel, auch das eigentlich eine kleine Rolle in diesem großen Ensemble-Film, aber wie sie da diese geschundene, verletzte Figur hinstellt, unvergesslich. Oder aber "Funny Games", ein Film von 1997, auch von Michael Haneke: Sie spielt ein Gewaltopfer, die Gewaltspirale wird immer, immer schrecklicher in diesem Film, und wie sie das zeigt, wie sie diese Verzweiflung zeigt, auch diesen Überlebenskampf, gehört zu den ganz großen Leistungen dieser überragenden Schauspielerin. Und ich muss noch einen kleinen Film nennen, den vielleicht noch gar keiner so richtig kennt, der lief in München beim Filmfest jetzt, ein Debüt-Film der Berliner Filmhochschule. Hanna Dose hat diesen Film gemacht: "Staub auf unseren Herzen". Da spielt Susanne Lothar so eine Psychoanalytikerin, die sich sehr mit ihrer Tochter auseinandersetzt, hat auch sehr komische Seiten, auch eine wunderbare Figur, und ich habe mich so gefreut: Eine junge Regisseurin entdeckt eben auch diese große Schauspielerin für sich und kann mit ihr offenbar gut zusammenarbeiten. Das war sehr optimistisch, das zu sehen, und nun bin ich erschüttert und entsetzt, dass dieser Film ganz offenbar jetzt der Abschied ist von Susanne Lothar.
Netz: Knut Elstermann erinnerte an die Theater- und Filmschauspielerin Susanne Lothar.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.