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Ernsthafte Geschichtsbetrachtung?

Es ist aus, Hitler und sein Regime sind am Ende, auch der Film. Dennoch bleiben alle bis nach dem Abspann sitzen. Betroffene Gesichter ringsum, der "Untergang" geht unter die Haut, auch den Professoren, die dann auf dem Podium diskutieren. Hermann Graml, Christian Hartmann, Jost Dülffer und Jan-Oliver Decker, vier renommierte Experten, bei denen die bisher in keinem deutschen Film gekannte, menschliche Darstellung Hitlers im Mittelpunkt steht. Professor Hermann Graml, ehemals Institut für Zeitgeschichte in München:

Von Elin Hinrichsen |
    Man konnte genau sehen, seine menschliche Seite aber auch wie – das ist Nationalsozialismus!

    Ihm, dem Zeitzeugen, gefällt der Film ausnehmend gut. Er sei eine "eindringliche Erzählung der Vergangenheit", die aufruft zu einer kritischen Betrachtung:

    Nur reinsetzen reicht nicht, aber der Film liefert Stoff zur Reflexion. Das ist das beste, was man von einem Film sagen kann.

    Eindeutige Lücken dagegen weist der Kieler Medienhistoriker Prof. Jan-Oliver Decker dem Film nach:

    Er erklärt nicht, warum war Hitler so faszinierend… und dann behauptet er, das ganze Regime zu erklären, wenn er darauf Anspruch erhebt, warum dann, dass 6 Millionen Juden getötet wurden, in nur einer Zeile? Das passt nicht...

    Gut, sagt er dann noch, ein gelungenes Hollywoodmelodram sei er ja, "Der Untergang", aber die vom Produzenten Eichinger angekündigten, innovativen filmerischen Mittel fände Decker nirgendwo. Statt dessen drücke "Der Untergang" ziemlich auf die Tränendrüse, einseitig, so auch Christoph Hilgert, 12. Fachsemester Geschichte an der Universität Hamburg:

    Judenverfolgung nur in einer Fußnote, will nicht drauf rumreiten, aber das finde ich schwierig, auch weil die im Hauptquartier dargestellt als Opfer – schwierig, in der Wirkung, zumindest wenn nicht reflektiert...

    Dass Hitler und die NS-Zeit immer wieder als Film-Thema präsent sein werden, da sind sich Besucher und Diskutanten einig. Doch dieser Film zeichne sich vor allen anderen aus, findet Holly Uhl aus den Vereinigten Staaten, die in Heidelberg studiert:

    Das ist sehr gut für die Deutschen, der ist anders, nicht immer sich selbst kaputt machen, sicher, das waren schlimme Sachen, die passiert sind, aber wir können auch anders sein und reagieren...

    "Der Untergang" ist nicht der erste Film über das Hitler-Regime. Jo Beiers "20. Juli", "Schindlers Liste" oder "Das Piano". Alles Kassenschlager, und sind sie nicht auch handfeste Konkurrenz zu den staubigen Fach-Büchern der Historiker? Dr. Christian Hartmann, wissenschaftlicher Berater beim "Untergang":

    Natürlich macht der Film uns Konkurrenz, ist das so schlecht? Wir erreichen die Leute nicht mehr, eine Chance, dieser Film eine Zahl an Interessenten wiederbringt, vielleicht ein neuer Ansatz, die Leute zu erreichen.

    Vielleicht ja mit gut recherchierten historischen Spielfilmen.
    Ganz klar, bei der Podiumsdiskussion am Vor-Abend des Kino-Starts von "Der Untergang" ging es kaum um historische Detailfragen. Nein, die Wissenschaftler schauten weit über den Zinnenrand ihres Elfenbeinturms hinaus.