Das Wohnzimmer, in das der Fremde eindringen wird, erstreckt sich über die ganze Jahrhunderthalle und ist trist dunkelgrau. Schweigend sitzt die Fabrikantenfamilie am Tisch, Vater, Mutter, zwei Kinder, Dienstmädchen. Hinten laufen possierliche Tierfilme im Flachbildfernseher. Hier spricht jeder am liebsten mit sich selbst.
"Lucia befindet sich in einem stillen abgesonderten Winkel des Hauses. In ihrem Haus. Eine gelangweilte Frau. Auch eine Mutter. Sie schaut fern. Sie wartet darauf, dass es Zeit ist zu Tisch zu gehen. Als Frau hat sie nicht viel zu tun. Eine Mutter ist sie nicht ... sie kultiviert ihre Schönheit ... Verpflichtung zu aufgeklärter Denkweise ... in Korsett gezwängt ... schaltet den Fernseher ein, bekreuzigt sich hastig ... Dröhnen ... "
Es gibt kaum direkte Rede in "Teorema", in ihrer niederländisch gefärbten, schleppenden Art sprechen die Schauspieler von sich meist in der dritten Person. Das wirkt müde und gleichförmig, aber auch verhalten sinnlich. Als würden sie nur darauf warten, dass etwas passiert.
Begleitet werden sie vom stärker werdenden Dröhnen der in die Wände eingelassenen Musikpulte, bedient von vier Kammermusikern, die sich bald mit ins Wohnzimmer setzen und die Langeweile mit Streichmusik grundieren. Es wird staubgesaugt und E-Gitarre gespielt, jedes Familienmitglied erst einmal vorgestellt. Und dann kommt er, der fremde Gast, springt über die Mauer, wedelt mit einem Telegramm, das man auch als Aufenthaltsgenehmigung lesen könnte. Denn der Gast sieht fremd aus: dunkle Locken, Vollbart, südländische Haut. Dass nun das Animalische ins Gesellschaftskorsett einbricht, wird überdeutlich: was vorher die Dauerberieselung mit Tierfilmen war, wird nun zu einem echten Hund, der mit Schauspieler Chico Kenzari über die Bühne tollt.
Jedem Familienmitglied nähert er sich anders, alle verfallen ihm: Emilia, die Haushälterin, sinkt einfach so vor ihn hin, der Sohn des Hauses wird mit Rimbaud-Gedichten und E-Gitarre schwach, die Tochter macht Fotos mit ihm, die gelangweilte Mutter Lucia entdeckt zum ersten Mal echte Interessen - keinem geht er aus dem Kopf, mit jedem beschäftigt er sich einfühlsam. Das wird in Bochum zart, aber auch einfühlsam gezeigt, am schönsten in der Szene mit dem Sohn: eigentlich nur vorübergehend mit dem Gast in seinem Zimmer einquartiert, ziehen sie sich nach und nach nackt aus, sitzen einträchtig vor den Büchern und sinken dann zusammen aufs Bett, da ahnt man so etwas wie Sinnlichkeit, Sanftheit und Faszination.
Ansonsten bleibt die Inszenierung auf Abstand, nicht nur durch die Weitläufigkeit der Jahrhunderthalle. Warum sich die Familie mit dem Fremden infiziert, wird nicht ersichtlich. Erotische Szenen sind es jedenfalls nicht, auch keine tiefen Gespräche, die Anziehungskraft wird behauptet, nicht gezeigt und bleibt merkwürdig blass.
Das Chaos, das ausbricht, nachdem er weg ist, wird mit viel Musikgetöse betont, die Auslegeware und Schubladen herausgerissen, nun ist nichts mehr wie zuvor: Sohn Pietro widmet sich der abstrakten Malerei, Tochter Odetta vermisst die Orte, an denen der Fremde war, mit Zentimeterband und wird wahnsinnig, Haushälterin Emilia geht in ihr Dorf zurück und weigert sich zu essen, und Lucia sucht hemmungslos die Sexualität auf der Straße:
"Hausmusik. Du fährst an Jungs vorbei ... nimmst deine Hand vom Feuer ... der Junge nähert seine Hand ganz langsam deiner ... steigt aus dem Wagen (schreit) ... er drückt mich gegen die Rückwand eines verlassenen Hauses und er fängt an, ohne mich zu küssen, ohne mich zu umarmen (brutale Geräusche), wir sind schnell fertig ..."
Doch die radikalste Änderung passiert mit Paolo, dem Vater, nicht durch Zufall der Namensvetter von Pasolini. Er verschenkt seine Fabrik an seine Arbeiter und macht sich nackt auf, um in die Wüste zu gehen - sein markerschütternder Schrei beendet den Abend, genauso wie den Film, die anderen liegen wie Tote auf der verwüsteten Bühne.
Ivo van Hove bemüht sich, den Einbruch des Fremden sakral zu überhöhen. Durch angeleuchteten Kunstnebel und die suggestiv dröhnende Musik werden auch die Zuschauer in einen anderen Zustand versetzt. Eine Botschaft, die etwas gestrig wirkt, wie eine Wiederholung der 68er-Themen: die Macht von Erotik und Einfachheit sprengt das spießige Leben der kapitalistischen Bourgeoisie.
Und doch ist sie heute vielleicht noch gültiger: das Authentisch-Animalische könnte dem entfremdeten kapitalistischen Leben Sinn geben, das Durchleben einer Krise bringt Läuterung. So richtig überzeugend ist das an diesem Abend zwar nicht gezeigt worden. Und doch bleibt das, was Menschen zum Aufbruch bringt, ein universelles Thema.
"Lucia befindet sich in einem stillen abgesonderten Winkel des Hauses. In ihrem Haus. Eine gelangweilte Frau. Auch eine Mutter. Sie schaut fern. Sie wartet darauf, dass es Zeit ist zu Tisch zu gehen. Als Frau hat sie nicht viel zu tun. Eine Mutter ist sie nicht ... sie kultiviert ihre Schönheit ... Verpflichtung zu aufgeklärter Denkweise ... in Korsett gezwängt ... schaltet den Fernseher ein, bekreuzigt sich hastig ... Dröhnen ... "
Es gibt kaum direkte Rede in "Teorema", in ihrer niederländisch gefärbten, schleppenden Art sprechen die Schauspieler von sich meist in der dritten Person. Das wirkt müde und gleichförmig, aber auch verhalten sinnlich. Als würden sie nur darauf warten, dass etwas passiert.
Begleitet werden sie vom stärker werdenden Dröhnen der in die Wände eingelassenen Musikpulte, bedient von vier Kammermusikern, die sich bald mit ins Wohnzimmer setzen und die Langeweile mit Streichmusik grundieren. Es wird staubgesaugt und E-Gitarre gespielt, jedes Familienmitglied erst einmal vorgestellt. Und dann kommt er, der fremde Gast, springt über die Mauer, wedelt mit einem Telegramm, das man auch als Aufenthaltsgenehmigung lesen könnte. Denn der Gast sieht fremd aus: dunkle Locken, Vollbart, südländische Haut. Dass nun das Animalische ins Gesellschaftskorsett einbricht, wird überdeutlich: was vorher die Dauerberieselung mit Tierfilmen war, wird nun zu einem echten Hund, der mit Schauspieler Chico Kenzari über die Bühne tollt.
Jedem Familienmitglied nähert er sich anders, alle verfallen ihm: Emilia, die Haushälterin, sinkt einfach so vor ihn hin, der Sohn des Hauses wird mit Rimbaud-Gedichten und E-Gitarre schwach, die Tochter macht Fotos mit ihm, die gelangweilte Mutter Lucia entdeckt zum ersten Mal echte Interessen - keinem geht er aus dem Kopf, mit jedem beschäftigt er sich einfühlsam. Das wird in Bochum zart, aber auch einfühlsam gezeigt, am schönsten in der Szene mit dem Sohn: eigentlich nur vorübergehend mit dem Gast in seinem Zimmer einquartiert, ziehen sie sich nach und nach nackt aus, sitzen einträchtig vor den Büchern und sinken dann zusammen aufs Bett, da ahnt man so etwas wie Sinnlichkeit, Sanftheit und Faszination.
Ansonsten bleibt die Inszenierung auf Abstand, nicht nur durch die Weitläufigkeit der Jahrhunderthalle. Warum sich die Familie mit dem Fremden infiziert, wird nicht ersichtlich. Erotische Szenen sind es jedenfalls nicht, auch keine tiefen Gespräche, die Anziehungskraft wird behauptet, nicht gezeigt und bleibt merkwürdig blass.
Das Chaos, das ausbricht, nachdem er weg ist, wird mit viel Musikgetöse betont, die Auslegeware und Schubladen herausgerissen, nun ist nichts mehr wie zuvor: Sohn Pietro widmet sich der abstrakten Malerei, Tochter Odetta vermisst die Orte, an denen der Fremde war, mit Zentimeterband und wird wahnsinnig, Haushälterin Emilia geht in ihr Dorf zurück und weigert sich zu essen, und Lucia sucht hemmungslos die Sexualität auf der Straße:
"Hausmusik. Du fährst an Jungs vorbei ... nimmst deine Hand vom Feuer ... der Junge nähert seine Hand ganz langsam deiner ... steigt aus dem Wagen (schreit) ... er drückt mich gegen die Rückwand eines verlassenen Hauses und er fängt an, ohne mich zu küssen, ohne mich zu umarmen (brutale Geräusche), wir sind schnell fertig ..."
Doch die radikalste Änderung passiert mit Paolo, dem Vater, nicht durch Zufall der Namensvetter von Pasolini. Er verschenkt seine Fabrik an seine Arbeiter und macht sich nackt auf, um in die Wüste zu gehen - sein markerschütternder Schrei beendet den Abend, genauso wie den Film, die anderen liegen wie Tote auf der verwüsteten Bühne.
Ivo van Hove bemüht sich, den Einbruch des Fremden sakral zu überhöhen. Durch angeleuchteten Kunstnebel und die suggestiv dröhnende Musik werden auch die Zuschauer in einen anderen Zustand versetzt. Eine Botschaft, die etwas gestrig wirkt, wie eine Wiederholung der 68er-Themen: die Macht von Erotik und Einfachheit sprengt das spießige Leben der kapitalistischen Bourgeoisie.
Und doch ist sie heute vielleicht noch gültiger: das Authentisch-Animalische könnte dem entfremdeten kapitalistischen Leben Sinn geben, das Durchleben einer Krise bringt Läuterung. So richtig überzeugend ist das an diesem Abend zwar nicht gezeigt worden. Und doch bleibt das, was Menschen zum Aufbruch bringt, ein universelles Thema.