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Erst die Kriegsverbrecher nach Den Haag

Noch immer ist Serbien nicht bereit, in vollem Umfang mit der EU zu kooperieren. Doch die Niederlande bestehen darauf, dass Serbien die beiden Kriegsverbrecher Mladic und Karadzic an das Tribunal von Den Haag ausliefert. Erst dann könne über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen als ersten Schritt zu einem möglichen EU-Beitritt gesprochen werden, so die niederländische Haltung. Aus Den Haag berichtet Kerstin Schweighöfer.

    10 Uhr morgens, Jugoslawientribunal, Gerichtssaal II: Richter Kevin Parker bereitet mit Anklägern und Verteidigern die Eröffnung eines neuen Verfahrens vor. 26 mutmassliche Kriegsverbrecher müssen sich derzeit vor dem UN-Sondergericht verantworten. 53 weitere Angeklagte wurden bereits verurteilt, erklärt Sprecherin Olga Kavran:

    "Doch vier mutmassliche Kriegsverbrecher sind immer noch auf freiem Fuss, so Olga Kavran - darunter Serbenführer Radovan Karadzic und sein General Ratko Mladic."
    Der neue Chefankläger Serge Brammertz soll dafür sorgen, dass sie doch noch nach Den Haag überstellt werden. Zu politischen Entscheidungen darf sich das Tribunal als juristisches Institut zwar nicht äussern. Aber dass die niederländische Regierung die Auslieferung von Mladic und Karadzic zur Bedingung für den EU-Beitritt Serbiens gemacht hat, kann Brammertz nur begrüssen. Denn genau dazu hat seine Vorgängerin Carla del Ponte die EU immer wieder aufgerufen. Die Zeit dränge, denn schon 2010, so del Ponte, müsse das Tribunal seine Pforten schliessen:

    "Ohne Karadzic und Mladic dieses Tribunal zu schliessen, das ist ein Versagen. Doch. Wir müssen das verhindern für die internationale Justiz, wir müssen das verhindern für die Opfer! Ohne Karadzic und Mladic, das wäre absolut undenkbar."

    Im letzten Jahr noch, als Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, schickte del Ponte einen Brief an Angela Merkel: Der Verhandlungsstopp über die Beitrittsverhandlungen mit Serbien, so forderte sie, dürfe keinesfalls aufgehoben werden. Erreicht hat del Ponte dieses Ziel zwar nicht. Aber die niederländische Regierung hat nun dafür gesorgt, dass das Beitrittsverfahren zumindest abgebremst wurde. Aus Prinzip - wie der niederländische Aussenminister Verhagen betont:

    "Ich bin nicht Politiker geworden, um meine Prinzipien zu verramschen. Serbien kann schon morgen EU-Mitglied werden, ich gebe dafür umgehend meine Unterschrift - vorausgesetzt, alle Kriterien werden erfüllt, und dazu gehört die Auslieferung von Karadzic und Mladic. Aber das hängt nicht von mir ab, sondern von den Serben!"

    Aus rein altruistischen Motiven allerdings wie etwa Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer handelt Verhagen nicht. Immerhin hat das Jugoslawientribunal Den Haag den Titel "Welthauptstadt für Frieden und Gerechtigkeit" eingebracht. Dieses Image muss gepflegt werden, denn darauf sind die Niederländer stolz:

    "Bravo!", sagt eine ältere Dame. "Gut, dass Verhagen in Brüssel auf die Bremse getreten ist! Es geht nicht darum, den moralischen Zeigefinger zu heben, aber irgendwann muss man Stellung beziehen und sagen: Bis hier und nicht weiter. Erst Karadzic und Mladic und dann Europa!""

    Zweitens darf das "Trauma von Srebrenica" nicht vergessen werden: 1995 mussten niederländische Blauhelme mitansehen, wie die Serben unter dem Kommando von General Mladic mehr als 7000 moslemische Jungen und Männer abführten und dann ermordeten.

    "Das macht uns immer noch zu schaffen", meint ein Passant. "Wir tragen zwar keine Schuld, aber doch eine Art Mitverantwortung. Deshalb ist es so wichtig, dass Verhagen auf der Auslieferung von Mladic beharrt!"

    Drittens kann die niederländische Regierung auf diese Weise etwas an der Euroskepsis der Wähler tun und niederländisches Gewicht in Brüssel geltend machen. Nicht umsonst, so Außenminister Verhagen, haben beim Referendum über die europäische Verfassung vor drei Jahren fast 64 Prozent aller Niederländer *"nee" gesagt:

    "."Es geht um Glaubwürdigkeit", so der Minister. "Ich habe immer gesagt, dass ich den EU-Beitritt Serbiens von der Auslieferung von Mladic und Karadzic abhängig mache. Und Worte müssen auch zu Taten führen."