Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv


"Es geht nur darum, die Arbeit der Menschenrechtsorganisation Visna zu diffamieren"

Heute beginnt der Prozess gegen Ales Bialiatski. Dem Vorsitzenden der Menschenrechtsorganisation Visna wird Steuerhinterziehung vorgeworfen. "Ein völlig absurder Vorwurf", sagt Katrin Göring-Eckardt. Sie fordert ein einheitlicheres Vorgehen der EU gegenüber Lukaschenko. Man müsse auch über Wirtschaftssanktionen nachdenken, "wenn wir an anderen Stellen nicht weiterkommen".

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Peter Kapern | 02.11.2011
    Peter Kapern: Die Menschenrechtsorganisation Visna hatte Bankkonten im Ausland, wo auch sonst, denn Visna arbeitet in Weißrussland, in der letzten Diktatur Europas. Das Regime verbietet die Arbeit der Organisation, die Mitarbeiter müssen ständig mit Verhaftung rechnen. Um überhaupt arbeiten zu können, hat der Vorsitzende, Ales Bialiatski, Konten im Ausland eröffnet, auf die europäische Stiftungen ihre Hilfsgelder überwiesen haben. Als das weißrussische Regime davon erfuhr, steckte es den Chef der Menschenrechtsorganisation in den Knast. Heute beginnt sein Prozess.
    Mitgehört hat die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Katrin Göring-Eckardt von den Grünen. Guten Morgen!

    Katrin Göring-Eckardt: Ja schönen guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Frau Göring-Eckardt, Lukaschenko hat ja die Opposition in seinem Land weitgehend zerschlagen, wir haben das gerade in dem Beitrag gehört, seitdem er im vergangenen Dezember die Proteste gegen die Wahlfälschungen niedergeknüppelt hat. Wie ist aus Ihrer Sicht vor diesem Hintergrund der Prozess gegen Ales Bialiatski zu bewerten?

    Göring-Eckardt: Ja ich habe den Eindruck, dass der Prozess, den Lukaschenko jetzt anstrengt – man muss es so sagen; man kann, glaube ich, nicht sagen, dass die Justiz in Weißrussland unabhängig ist -, ein Prozess ist, der weiter dazu beitragen soll, die Opposition zu zersplittern, der weiter dazu beitragen soll zu verunsichern, der weiter dazu beitragen soll, sein Regime zu festigen und die Oppositionellen in ein Licht zu rücken, das mit ihrer Arbeit überhaupt nichts zu tun hat. Wir haben gerade gehört: Es wird ihm Steuerhinterziehung vorgeworfen. Das ist nach allem, was wir wissen, ein völlig absurder Vorwurf. Im Grundsatz geht es nur darum, die Arbeit von Visna, der Menschenrechtsorganisation, zu diffamieren.

    Kapern: Sie haben eine Gefangenenpatenschaft für den Angeklagten übernommen. Was genau bedeutet das?

    Göring-Eckardt: In erster Linie geht es natürlich darum, Öffentlichkeit zu schaffen für diese Situation und gleichzeitig deutlich zu machen, wir werden genau hinschauen, um was für eine Situation es geht, gerade auch in der Haft. Also sprich ganz konkret: Natürlich habe ich an Herrn Lukaschenko geschrieben und die Freilassung von Herrn Bialiatski gefordert.

    Kapern: Haben Sie eine Reaktion bekommen?

    Göring-Eckardt: Nein, es gab keinerlei Reaktionen. Es ging natürlich auch um die Verbesserung der Haftbedingungen dort. Ich habe den deutschen Botschafter gebeten, sich einzusetzen. Und vor allem ging es natürlich auch darum, ihm in der Haft Post zukommen zu lassen, was bisher nicht geglückt ist, auch um deutlich zu machen, er sitzt dort nicht allein, sondern es gibt eben auch Unterstützung aus dem Ausland und es wird öffentlich gemacht, was passiert. Es kann auch übers Internet passieren, wir machen das mit Facebook et cetera.

    Kapern: Bialiatski steht vor Gericht, weil polnische und litauische Behörden dem Regime in Minsk Akten über diese Konten zugespielt haben. Wie bewerten Sie das?

    Göring-Eckardt: Also wir brauchen natürlich dringend eine einheitliche Haltung der EU an solchen Stellen. Es kann nicht sein, dass Daten weitergegeben werden an ein Regime, was damit dann versucht, diese Menschenrechtsorganisation und damit ihren Leiter auch zu diffamieren. Ich finde es sehr, sehr problematisch, dass diese Daten weitergegeben worden sind. Deutschland hat das ausdrücklich nicht gemacht. Auf eine Frage von Marieluise Beck hin ist es deutlich geworden, dass das Außenministerium in Deutschland nach eingehender Prüfung, so heißt es da, selbstverständlich irgendwelche Daten nicht weitergegeben hat. Und wir brauchen schlicht und ergreifend eine gemeinsame Politik, eine gemeinsame EU-Außenpolitik, damit auch die anderen elf inhaftierten in Belarus, die politisch Inhaftierten, die aus ähnlichen Gründen inhaftiert sind, jetzt nicht in ähnliche Schwierigkeiten kommen, und ich glaube, es muss deutlich sein, es muss klar sein, das kennen wir aus den anderen Diktaturen, dass solche Weitergabe von Daten nicht passiert.

    Kapern: Stichwort gemeinsame Politik gegenüber Weißrussland. Das scheint im Moment mit Blick auf die EU ja mehr ein frommer Wunsch zu sein als eine erfüllbare Tatsache. Die EU scheint hilflos im Umgang mit dem Regime dort. Warum?

    Göring-Eckardt: Warum, kann man im Grunde schwer sagen. Es ist ja die letzte Diktatur, das letzte diktatorische Regime auf europäischem Boden gewissermaßen und insofern ist es schwer zu verstehen, dass nicht alle Länder gemeinsam deutlich machen, dass sie mit Sanktionen et cetera dafür sorgen, dass diese Diktatur nicht weiterarbeiten kann, dass Lukaschenko entsprechend behandelt wird. Einzelne Länder tun das auch sehr deutlich, andere Länder tun das nicht, und ich glaube – und dafür setzt sich Deutschland glücklicherweise auch ein -, hier braucht es wirklich eine gemeinsame Handlungsweise, ein gemeinsames Treffen.

    Kapern: Es gibt ja Sanktionen der Europäischen Union gegen Weißrussland, Reisebeschränkungen für Mitglieder des Regimes und viele Appelle. Zur gleichen Zeit aber boomt der Handel zwischen Weißrussland und Deutschland. Wie finden Sie das?

    Göring-Eckardt: Also auf der einen Seite glaube ich, dass es notwendig ist, Verbindungen auch nicht abbrechen zu lassen. Auf der anderen Seite geht auch das nur dann, wenn man gleichzeitig sehr, sehr eindeutig ist, was die Menschenrechtssituation angeht. Bei Belarus kann man das im Moment sagen, auch wenn man immer wieder deutlich machen muss, das bedeutet auch, dort dran zu bleiben, das bedeutet, auch weiter darauf zu schauen, deswegen ist die Öffentlichkeit so wichtig, deswegen ist es so wichtig, klar zu machen, wir werden nicht locker lassen, was die Menschenrechtssituation angeht, und wir werden auch nicht so tun, als ob das ein ganz normales Land ist, mit dem wir ganz normale Handelsbeziehungen haben. Deswegen wird man auch bei den Handelsbeziehungen darauf achten müssen, dass sie nicht einfach so weitergehen, sondern man muss auch im Kopf haben, man muss auch die Möglichkeit erwägen, auch diese Handelsbeziehungen einzuschränken.

    Kapern: Warum ist das nicht längst geschehen, denn der florierende Handel mit Weißrussland stabilisiert doch das Regime Lukaschenko?

    Göring-Eckardt: Das sollte geschehen, es sollte auch erwogen werden. Im Moment wird das Regime vor allem dadurch gesichert, dass zum Beispiel Iran Kredite verteilt. Lukaschenko hat ja vor den Wahlen mit großen Wahlgeschenken, zum Beispiel der Erhöhung von Beamtengehältern, sich versucht, Sicherheit zu verschaffen und seiner Anhänger zu versichern. Insofern sind diese Handelsbeziehungen nicht das Allererste, aber ich sage noch mal: auch darüber muss sehr deutlich nachgedacht werden.

    Kapern: Heißt das im Klartext, Sie sind für Wirtschaftssanktionen gegen Belarus?

    Göring-Eckardt: Ich bin für Wirtschaftssanktionen, wenn wir an anderen Stellen nicht weiterkommen, und es kann gut sein, dass Deutschland hier auch eine führende Rolle übernehmen muss, auch innerhalb der EU, weil wir anders nicht weiterkommen, wenn solche Dinge passieren, dass andere EU-Länder ausscheren.

    Kapern: Wenn man sich unter Oppositionellen in Weißrussland umhört, dann hört man dort ganz klar, dass die über die, na sagen wir mal, laffen Reaktionen des Westens sehr enttäuscht sind.

    Göring-Eckardt: Das kann ich gut nachvollziehen und gut verstehen. Auch das war für mich übrigens Grund, diese Gefangenenpatenschaft zu übernehmen, weil man schlicht und ergreifend ja in Weißrussland eine Situation hat, wo man eine Nichtregierungsorganisation nicht anmelden kann, man lebt immer in der Illegalität, man muss eben deswegen auch Konten im Ausland eröffnen, und gleichzeitig ist es kaum möglich, dass bestimmte Menschen aus dem Ausland nach Belarus reisen können, um die Oppositionellen zu unterstützen, weil sie dort nicht reingelassen werden. Und insofern ja, ich kann gut verstehen, dass sich die Oppositionellen hier sehr, sehr viel mehr wünschen, und auch das ist ein Grund für uns, für Marieluise Beck, auch für mich, hier deutlich mehr Druck zu machen, auch auf Deutschland, aber eben auch direkt in Weißrussland, und hier mit Öffentlichkeit dafür zu sorgen, dass das nicht im Verborgenen passieren kann.

    Kapern: Katrin Göring-Eckardt war das, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, heute Morgen im Deutschlandfunk. Frau Göring-Eckardt, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch herzlich. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema auf dradio.de:

    Prozessauftakt gegen Menschenrechtler Bialiatski in Minsk - Regimekritiker sprechen von Farce

    Proteste in Weißrussland - Opposition plant Volksversammlung

    Weißrussland erwartet einen heißen Herbst - Das Land steckt tief in der Krise

    Der Repressionsapparat von "Europas letztem Diktator - Demonstranten in Weißrussland wollen nicht aufgeben

    Weißrussland vor dem Staatsbankrott