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"Es gibt wahrscheinlich keinen Gott, mach dir keine Sorgen und genieße dein Leben"

Das Leben nicht auf morgen, nicht aufs nächste Jahr und schon gar nicht aufs Jenseits zu vertagen, dazu fordert seit dieser Woche eine Werbekampagne in GB auf. Rund 800 Busse sind mit der Aufschrift versehen: "There is probably no god, now stop worrying and enjoy your life". Zu deutsch: Es gibt wahrscheinlich keinen Gott, mach dir keine Sorgen und genieße dein Leben.

Von Ruth Rach | 09.01.2009
    Ein distinguierter Gentleman sitzt auf der Bank am Rande von Kensington Gardens in London und blickt mit befriedigter Miene auf einen roten Doppeldeckerbus. Auf der Werbefläche steht in großen roten Lettern: Es gibt wahrscheinlich keinen Gott. Hört auf, auch zu sorgen und genießt das Leben. Das ist auch meine Meinung, sagt er: Die Menschen sollten sich lieber auf das Diesseits konzentrieren, als auf ein fiktives Jenseits zu hoffen.

    In den nächsten vier Wochen werden 200 Busse mit dem ungewöhnlichen Werbeslogan durch London fahren. 600 weitere Busse tragen die Botschaft durchs ganze Land. In der Londoner U-Bahn werden tausend Plakate aufgehängt. Und in der Oxford Street bringen zwei Riesenbildschirme humanistische und atheistische Slogans unters Volk.

    "Lange Zeit galt es in Großbritannien als unfein, in aller Öffentlichkeit über Religion zu sprechen", sagt Richard Dawkins, ein bekannter Naturwissenschaftler, der das umstrittene Buch "Der Gotteswahn" verfasst hat.

    "Vor zehn Jahren wäre eine solche Kampagne undenkbar gewesen, weil wir zu höflich gewesen wären, Andersdenkende zu verletzen. Aber inzwischen macht uns das überhaupt nichts mehr aus, weil sie uns ja auch im Namen der Religion verletzen, im extremen Fall sogar mithilfe von Bomben und Selbstmordanschlägen."
    Die sogenannte Atheismuskampagne ist vom Verband britischer Humanisten organisiert worden. Ihre Präsidentin ist die bekannte Gesellschaftskritikerin und "Guardian"-Journalistin Polly Toynbee. Ihrer Meinung nach sind religionsgebundene Interessengruppen in Großbritannien unverhältnismäßig stark geworden.

    "In Großbritannien gehen die wenigsten Leute in die Kirche, und trotzdem schenken die Politiker den Religionsgemeinschaften immer mehr Beachtung - weil sie inzwischen richtig Angst vor ihnen haben. Die Muslime haben damit angefangen, dann sind die Christen auf den Zug aufgesprungen, die Hindus, und so weiter, und inzwischen haben wir so viele Konfessionsschulen, dass es mancherorts geradezu unmöglich ist, sein Kind in einer guten nicht-konfessionsgebundenen Schule unterzubringen."

    Polly Toynbee findet es zudem nicht akzeptabel, dass 26 anglikanische Bischöfe im Oberhaus sitzen, und somit direkten Einfluss auf die Gesetzgebung haben – vor allem auch bei so umstrittenen Fragen wie der Embryonenforschung und Sterbehilfe. Das sei ein totaler Anachronismus angesichts der Tatsache, dass so wenig Briten gläubige Christen seien.

    Die Idee für die Atheistenkampagne stammt von der Komödiantin Ariane Sherine. Sie hatte sich im Sommer maßlos über einen Bibelspruch geärgert, der auf einem Busplakat prangte, und die Londoner Bevölkerung auf eine Website verwies: Dort wurde verkündet, alle Ungläubigen könnten sich darauf einstellen, auf alle Ewigkeit im Höllenfeuer zu schmoren. Höchste Zeit, dass auch einmal britische Humanisten und Freidenker zu Wort kämen, beschloss Ariane Sherine. Sie startete einen Spendenaufruf für eine Gegenkampagne in der Tageszeitung The Guardian. Eigentlich rechnete sie damit, dass höchstens 5.000 Pfund zusammenkommen würden. Aber als Richard Dawkins – der berühmteste Atheist Großbritanniens - seine Unterstützung zusagte, begann ein regelrechter Spendenregen. Innerhalb von vier Tagen wurden 100 tausend Pfund einbezahlt, zumeist in kleinen Beiträgen. Offenbar sprach Arianes Anliegen zahlreichen Briten aus dem Herzen.
    Der Ansturm auf die Webseite war so stark, dass sie total zusammenbrach erzählt Website Manager John Wort – auf Deutsch.

    "Wir haben ganz viel Kontakte gekriegt von Leuten überall in Europa. Es kommen Busse auf die Steraßen in Madrid und Barcelona. Ich hab auch heut vormittag gehört von Leute in Hamburg und München, können wir auch solche Busse kriegen. Also es ist möglich dass wir die Busse in andere Städte kriegen und andere Länder."

    Unterdessen hat ein Evangelist der Atheistenkampagne den Kampf angesagt. Er will sich mit einem Riesenmegaphon in die Londoner Oxford Street stellen und Gegenwerbung betreiben.