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"Es ist die Sicht auf die Täter und nicht die Sicht auf die Opfer"

Der ehemalige RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock kann sich nicht vorstellen, dass der gerade angelaufene Film "Der Baader Meinhof Komplex" den Blick auf die "Rote Armee Fraktion" verändert. Der Film bestehe in erster Linie aus einer "seriellen Abfolge" von Action-Szenen. Boock empfahl, stattdessen das gleichnamige Buch von Stefan Aust zu lesen, um zu begreifen, was wirklich geschah.

Peter-Jürgen Boock im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.09.2008
    Christoph Heinemann: Regie Uli Edel, Produzent Bernd Eichinger. Seit gestern ist der Film "Der Baader Meinhof Komplex" in den Kinos in Deutschland zu sehen. Die Geschichte der Terrorbande, die sich selbst als "Rote Armee Fraktion" - kurz RAF - bezeichnete und die für die Ermordung vieler Menschen und die seelischen Verletzungen von deren Hinterbliebenen verantwortlich ist. Der Film will die Vita der Terroristen zwischen 1967 und 1977 erzählen, zehn Jahre in zweieinhalb Stunden. Wir haben vor dieser Sendung mit Peter-Jürgen Boock gesprochen. Er wurde wegen seiner Beteiligung an der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto und der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer verurteilt und 1998 nach 17 Jahren im Gefängnis aus der Haft freigelassen. Ich habe Peter-Jürgen Boock zunächst gefragt, mit welchen Erwartungen er sich diesen Film angeschaut hat.

    Peter Jürgen Boock: Da ich ja einige Vorgespräche schon dazu hatte und eigentlich über einige Sachen schon im Bilde war, war es für mich trotzdem schwierig, diese - na wie soll ich das nennen? - geballte Ladung Aktion zur Kenntnis zu nehmen. Einerseits denke ich, dass es für einen Regisseur eine große Schwierigkeit ist, die reale Brutalität, die Menschenverachtung, die damals in unseren Aktionen lag, in und seien es auch 200 und etwas Minuten zu bringen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist natürlich, dass das alles nicht vorstellbar gewesen wäre ohne eine andere Form von Brutalität, und das kommt mir in dem Film zu kurz.

    Heinemann: Welche?

    Boock: Die Brutalität im Handeln untereinander, die Brutalität in der Argumentation, die Brutalität in der Art, wie Leute funktionalisiert wurden. Es gab sehr viel subtilere Arten von Brutalität, die einfach auch dazu gehören und die ich im Film dann doch vermisst habe. Diese Brutalität hat eine bestimmte innere Logik, über die man, glaube ich, dann auch eher verstehen kann, wieso Menschen so fanatisiert werden können, selbst durch Stammheimer Betonmauern hindurch, dass sie bereit sind, solche Taten zu begehen. Ich auch!

    Heinemann: Herr Boock, das heißt, Sie haben die RAF und sie haben auch sich selbst in diesem Film nicht wiedererkannt?

    Boock: In der Aneinanderreihung der Handlungen schon, aber in den Zusammenhängen, aus denen heraus sie überhaupt möglich war, nicht.

    Heinemann: War zum Beispiel Andreas Baader so, wie Moritz Bleibtreu ihn spielt?

    Boock: Das ist für jemand, der die Person jeweils real erlebt hat, eigentlich dann immer nur mit einem Nein zu beantworten. Das ist natürlich ein Schauspieler und es ist natürlich ein Film. Wie gesagt, es gab sehr viele subtile Nuancen, die meiner Meinung nach in dem Film fehlen, die jedenfalls einen breiteren Raum hätten einnehmen müssen.

    Heinemann: Was fehlt zum Beispiel bei der Person Baader?

    Boock: Seine Fähigkeit, zum Beispiel Prozesse in Gang zu halten mit mehr als ein paar Fäkalausdrücken. Die war durchaus gegeben, denn sonst hätte es diese Gruppe so lange nicht gegeben und sonst wäre auch in der Weise, wie es passiert ist, das Terrorjahr 1977 nicht zu organisieren gewesen.

    Heinemann: Was war dieses "mehr", von dem Sie gesprochen haben?

    Boock: Ich sagte doch: seine Fähigkeit, Dinge zu organisieren, seine Fähigkeit, sich auch selber bedingungslos und wenn es sein muss 24 Stunden für eine Sache hinzugeben, gleichzeitig dabei das Ziel - und das war ja im Wesentlichen die eigene Befreiung - nicht aus dem Auge zu verlieren.

    Heinemann: Wie beurteilen Sie die anderen Hauptrollen, Johanna Wokalek als Gudrun Ensslin oder Martina Gedeck als Ulrike Meinhof?

    Boock: Da kann ich mich eigentlich nur wiederholen. Jede dieser Figuren hatte natürlich völlig andere Facetten und wie ich schon gesagt habe: Die fehlen mir zum Teil in dem Film.

    Heinemann: Bleiben wir noch mal bei dem, was Sie eben die erste Brutalität genannt haben. Bleibt die Würde der Opfer gewahrt, wenn man die Einzelheiten der Ermordungen so zeigt, wie das der Film tut?

    Boock: Da kann ich dem Sohn von Herrn Buback nur zustimmen, dem Michael Buback. Es ist die Sicht auf die Täter und nicht die Sicht auf die Opfer. Dadurch, dass man Leute eigentlich ohne Kontext wild ballernd durch die Gegend rennen lässt, wird dieser Kontext auch nicht hergestellt. Jungen Leuten, die vielleicht von dieser Ära nicht sehr viel wissen, kann ich nur empfehlen, das Buch von Stefan Aust zu lesen, denn da wird doch sehr viel mehr von dem transportiert, was eigentlich an Hintergrund nötig ist, um das zu begreifen.

    Heinemann: Geht von diesem Film die Botschaft aus, dass Terroristen Schwerverbrecher, teilweise Mörder sind und jedwedes Sympathisantentum Unterstützung für Mörder und Verbrecher bedeutet?

    Boock: Das hat zwei Seiten. Natürlich war der Terrorismus, bei dem auch ich ja eine Rolle und keine kleine gespielt habe, brutal. Natürlich war er menschenverachtend und natürlich war er letztendlich zum Scheitern verurteilt. Aber das wiederum bedeutet auch, dass es dann doch in der Entwicklung in der Gesellschaft eine bestimmte Stärke gegeben hat, an der diese Gruppe - und sei es auch erst mit über 20 Jahren Verspätung - scheitern musste.

    Heinemann: Und geht dieses Signal auch von diesem Film aus?

    Boock: Nein, meiner Meinung nach so nicht.

    Heinemann: Herr Boock, die RAF hat Menschen ermordet, viele Hinterbliebene lebenslänglich schwer verletzt. Kann man wenige Jahrzehnte danach zu einem Zeitpunkt, zu dem immer noch viele Menschen an den Folgen dieser Verbrechen leiden, die RAF und dieses Phänomen überhaupt in einem Spielfilm darstellen?

    Boock: Ich halte das für ungemein schwierig, wenn nicht eigentlich aussichtslos. "In einem Spielfilm" haben wir jetzt gesagt. Ich weiß nicht, wie das in einer mehrteiligen Dokumentation wäre. Es gäbe da ja auch andere Formen der Auseinandersetzung, wie man das filmisch umsetzen kann. Aber in einem Spielfilm und noch dazu einem, der sozusagen dann auch Unterhaltungswert haben soll, wobei das bei dem Thema eigentlich schon fast makaber ist, da muss einfach einiges viel zu kurz kommen und das ist in dem Fall zumindest der Ansatz einer Erklärung, warum hat es diese Opfer gegeben, wieso sind Menschen bereit, so etwas zu tun. Und da fehlt mir doch einiges.

    Heinemann: Wäre vielleicht der bessere RAF-Film derjenige, der die Geschichte der Opfer und der Hinterbliebenen erzählt?

    Boock: Das wäre jedenfalls ein völlig anderer Ansatzpunkt als alles, was bisher dazu gemacht worden ist.

    Heinemann: Gewalt ist im Kino ein alltägliches Stilmittel. Wird die RAF verharmlost, wenn man sie auf Gewalt reduziert?

    Boock: Sie wird auf eine bestimmte Form von Gewalt reduziert. Die RAF auf Gewalt zu reduzieren, ist im Prinzip richtig. Aber wie gesagt: Da gibt es auch noch die psychische Gewalt untereinander. Da gibt es die Gewalttätigkeit, die aus der ganzen Argumentation, warum bewaffneter Kampf notwendig sein könnte, sich heraus ergibt und eben als zentraler Punkt, jedenfalls bis zum Jahr 1977, eine Gruppe, die an und für sich in Hochsicherheitshaft sitzt und von dort aus es schafft, in diesem Land noch einmal dieses Moment der Gewalt so nach oben zu befördern. Da gehört eben auch dazu, ich würde sagen, die Figuren genauer zu skizzieren, um zu begreifen, warum sie handeln wie sie handeln.

    Heinemann: Herr Boock, Terrorismus droht heute aus einer anderen Ecke. Wie imprägniert man junge Menschen oder überhaupt solche, die in der Gefahr sind, schon wieder klammheimlich Freude zu empfinden, gegen Ideen, für die es sich vorgeblich lohnt, über Leichen zu gehen?

    Boock: Da kann ich eigentlich nur noch mal an die ehemaligen anderen Mitglieder der RAF appellieren. Wir waren die Generation, die von den Vätern und Müttern aus der Nazi-Zeit Aufklärung gefordert hat: Warum habt ihr, wo wart ihr, was habt ihr getan? Gleichzeitig verweigert eigentlich der größte Teil der RAF-Mitglieder eine wirklich offene Auseinandersetzung über diese Zeit und handelt damit meiner Meinung nach nicht wesentlich anders, als es auch die Väter- und Müttergeneration getan hat. Wenn das durchbrochen werden würde, dann könnte ich mir vorstellen würde sich auch für viele Leute aus dem autonomen Spektrum oder aus welcher Ecke auch immer, die Gewaltideen anhängen, vielleicht ein Moment der Ernüchterung ergeben.

    Heinemann: Ist der Film dazu ein Mittel? Ein Vergleich: Nach allem was Sie gesagt haben leistet dieser Film ja nicht das, was zum Beispiel Bruno Ganz im "Untergang" in erschreckender Weise gelungen ist, ein moralisches Monster als normalen Menschen darzustellen und umgekehrt. Ist grundsätzlich der Spielfilm ein Mittel, das zu erreichen, was Sie eben gefordert haben?

    Boock: Ich könnte mir vorstellen, dass er das jedenfalls in einem anderen Maß sein könnte, wenn es nicht um mehr oder weniger die serielle Abfolge von Aktionen ginge und damit eben in erster Linie um Action-Szenen, sondern um eben auch eine Auseinandersetzung über das, was an innerer Gewalt und an psychischer Gewalt untereinander notwendig ist, um sich gegenseitig zu solchen Aktionen zu motivieren, um nicht zu sagen zu treiben.

    Heinemann: Zusammengefasst: Verändert der Film "Der Baader Meinhof Komplex" den Blick auf die RAF?

    Boock: Das glaube ich eher weniger. Ich glaube nicht, dass sich sehr viel mehr Leute im jüngeren Alter jetzt deswegen auf Anhieb plötzlich für die Geschichte der RAF interessieren. Die haben in ihrer Gegenwart und im heutigen Zusammenhang sicherlich eine ganze Menge eigener Mäuse zu melken. Das ist das eine. Das andere ist: Es ist schon so viel geschrieben, gesagt, gemacht worden zur RAF, dass ich mir einen zusätzlichen Effekt von einem Spielfilm, noch dazu von einem, der eigentlich mehr auf den Aktionsteil abzielt, nicht vorstellen kann.

    Heinemann: Sie hören die "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Das Gespräch mit dem ehemaligen Mitglied der RAF Peter-Jürgen Boock haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.