Archiv


"Es ist eine Groteske"

Der Verleger Nenad Popovic aus Zagreb rechnet nicht damit, dass durch die Festnahme von Radovan Karadzic alte Konflikte wieder aufbrechen. Karadzic gehöre zu einer Generation, die längst von einer neuen abgelöst sei.

Moderation: Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: Die Festnahme von Radovan Karadzic schenkte der Weltpresse aparte Bilder. Ein Mann mit gütigem Rauschebart und Brille, der als Heilpraktiker arbeitete, bevor man in ihm den Kriegsverbrecher erkannte. In der Maske des alternativen Heilers ist durchaus etwas vom alten Karadzic enthalten. Dessen unglaublich schillernde Biografie hatte nämlich auch einen grünen ökologischen Abschnitt, bevor der Psychiater und Dichter die Partei der Bosnischen Serben gründete und in den blutigen Wahn abglitt, der Abertausende das Leben kostete. Nenad Popovic ist Verleger in Zagreb. Auch für ihn ist die Nachricht von Karadzics Verhaftung ein bewegendes Ereignis. Ich habe ihn gefragt, wie diese Nachricht in seiner Umgebung aufgenommen worden ist.

    Nenad Popovic: Eigentlich ist es, man lacht, man kommt aus dem Wundern nicht heraus, es ist eine Groteske. Wir dachten zuerst alle, das Fernsehen verwechsele die Bilder, die es von Karadzic zeigt. Auf der anderen Seite, Menschen, die sich um Opfer kümmern, um vor allen Dingen Srebrenica-Frauen und so, sind erschrocken, weil alles wieder aufgewühlt wird, es kommt alles wieder hoch. Das war ein so schreckliches Ereignis, das Zehntausende direkt betrifft an Angehörigen. Und dann auf der anderen Seite, es endet als Farce. Man zeigt Videos, wo Radovan Karadzic an Seminaren teilnimmt als gutmütiger Guru. Es ist weiß Gott keine Katharsis, es ist ein gespenstisches Lachen, das herumgeht.

    Novy: Werden jetzt die Konflikte wieder lebendig? Die Serben sprechen von einer Katastrophe. Das wird wahrscheinlich auch auf viele zutreffen, auf viele Intellektuelle und Schriftsteller auch, also Leute, die sich eigentlich für zuständig für die Zukunft halten und für Zukunftsentwürfe. Kann man sich vorstellen, dass nun wieder neue Konfliktlinien aufgezogen werden?

    Popovic: Nein, ich glaube nicht. Karadzic gehört zu einer Generation, eine neue ist nunmehr groß geworden, Gott sei Dank. Zweitens, ist das, was er angetan hat in einer schrecklichen Weise abgeschlossen. Die Kreise, die ihn vielleicht noch hochhalten oder denen er etwas bedeutet, gehören den nationalistischen, den rechtsextremen Kreisen zu, sie sind nicht mehr so relevant. Die Republica Serbska in Bosnien allerdings, das ist ja ein Teil der Republik Bosnien und Herzegowina, sie wird wahrscheinlich einige Erschütterungen erfahren. Aber ich denke eher, die politischen Eliten, die aus diesem Krieg profitiert haben und aus seinem Image, aus seiner Gewalttätigkeit, mehr nicht.

    Novy: All diese grausamen und traurigen Erinnerungen haben sich in dem letzten Jahr natürlich niedergeschlagen in der Literatur der postjugoslawischen Staaten und es scheint ja auch eine Generation zu geben, die diese Ereignisse im großen Wurf romanhaft fasst. Zum Beispiel Igor Stiks mit "Die Archive der Nacht" oder "Das Walnusshaus" von Miljenko Jergovic. Das sind groß angelegte Panoramen so ähnlich wie die Zeitromane des 19. Jahrhunderts. Wird da etwas jetzt doch im Geist zusammengefügt, was so zersplittert war?

    Popovic: Diese Romane sind in eine unfassbare Pointe unter eine lange Geschichte vor dem Krieg zu setzen. Diese Romane sprechen nicht vom Nachkrieg eigentlich, sondern von einer Situation, in der sich Völker angeblich gehasst und sicherlich bekämpft haben, die eigentlich nie miteinander gekämpft haben. Wir haben den Ruf, uns jahrtausendelang zu hassen, unterschwellig oder wie auch immer, und das ist nicht wahr. Es gab nie Kriege zwischen Serben und Kroaten, zwischen Muslimen und Serben als Bevölkerungsgruppen. Wir waren immer ein europäisches Schlachtfeld, weil hier große Imperien aneinander trafen. Aber mehr nicht. Insofern ist diese große Epik eher, sieht eher einem Krieg der 90er einen schrecklichen Abschluss, eine schreckliche Perversion aus dem Nichts, der Ausbruch des Hasses aus dem Nichts, wenn man diese Romane genau liest. Die jüngere Generation beschäftigt sich zwanghaft besser gesagt mit diesen Ereignissen, denn der Ausbruch des Bösen, wenn ich das so trivial sagen darf, ist ja so ähnlich wie der 11. September in den Vereinigten Staaten. Inwiefern das in den Gesellschaften noch lebendig ist, inwiefern dieser Schoß noch fruchtbar ist, das ist natürlich eine Frage, die Schriftsteller nicht beantworten können. Es sieht nicht danach aus. Auch diese groteske Gestalt des alten Hitler als lebensberatender Guru. Karadzic zeigt eher, dass es eine Ausnahme war und nicht in die Zukunft weist.