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"Es ist entscheidend, dass man den Naumburger Meister neu definiert"

Der "Naumburger Meister", ein unbekannter Künstler des 13. Jahrhunderts, schuf die Stifterfigur Uta von Naumburg. Sie wurde zur künstlerischen Ikone des Nationalsozialismus. In einer umfangreichen Ausstellung wird das Bild des Kunstwerks - und des Künstlers - zurechtgerückt.

Hartmut Krohm im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Sie war die Vorlage für die böse Königin in Walt Disneys Schneewittchen-Film von 1937. Die Rede ist von der Stifterfigur Uta von Naumburg, die ein unbekannter Künstler im 13. Jahrhundert für den Naumburger Dom geschaffen hat. Seine Kunst, die Reliefs zur Passionsgeschichte und die zwölf lebensgroßen Stifterfiguren, wurden Ende des 19. Jahrhunderts zum Inbegriff des deutschen Künstlertums erklärt, und die Nationalsozialisten machten Uta zur Ikone der schönen, spröden und tapferen deutschen Frau. Diese Deutschtümelei lastete lange Zeit auf den Kunstwerken. Nun ist dem unbekannten Naumburger Meister eine umfangreiche Ausstellung gewidmet, die an mehreren Orten in Naumburg zu sehen ist. – Frage an Hartmut Krohm, den Kurator der Ausstellung: Herr Krohm, warum gibt es jetzt diese Ausstellung zum Naumburger Meister?

    Hartmut Krohm : Der Naumburger Meister ist ja durch die Geschichte seiner Aneignung über Jahrzehnte in einen Misskredit geraten, dadurch, dass er jahrzehntelang eben als der deutsche Künstler schlechthin, das deutsche Genie schlechthin betrachtet worden ist und der Wissenschaft damit entzogen gewesen ist. Es fand also Ende der 70er-Jahre eine starke Auseinandersetzung mit dem Begriff des Naumburger Meisters, wie er geprägt worden war durch die deutsche Kunstgeschichte, statt. Das führte schließlich dazu, dass man eigentlich gar nichts mehr wissen wollte von diesem Künstler, von dem Begriff Naumburger Meister, weil er derart belastet war durch die deutsche Kunstgeschichte, und es ist entscheidend, dass man den Naumburger Meister neu definiert, dass man ihn jetzt in ein anderes Licht stellt, denn die Person, die wahrscheinlich dahinter steht, das ist wahrscheinlich ein Architekt, ein Bildhauer, der eine sehr hoch spezialisierte Werkstatt geleitet hat. Es spricht überhaupt nichts dafür, dass es ein Deutscher gewesen ist; das ist überhaupt auch unwichtig. Es ist jemand, der aus der Welt der Kathedralen hervorgegangen ist. Und wir dürfen nicht vergessen: der Kathedral-Architekt des 13. Jahrhunderts, der rückt in eine Position, die mit einem Gelehrten verglichen wird.

    Schäfer-Noske: Das heißt, es könnte auch ein Franzose gewesen sein?

    Krohm: Ich gehe eher davon aus, dass es ein Franzose gewesen ist. Es spricht überhaupt nichts dafür, dass es ein Deutscher gewesen ist.

    Schäfer-Noske: Was ist denn nun in der Ausstellung zu sehen?

    Krohm: In der Ausstellung sehen sie also den Stifterchor mit dem Westchor, dem Marienchor des Naumburger Doms mit seinen Stifterdarstellungen, mit seiner großartigen Architektur, mit seiner Lettner-Architektur, Lettner-Skulptur und den Glasfenstern, dass wir hier also versuchen, all diese Elemente, die da zusammen gehören, die sich an einem Ort finden, auch einmal als Gesamtheit zu betrachten. Dann haben wir viele Hauptwerke im Original und, wenn es nicht ging, im Gipsabguss zusammengetragen von Werken, die mit dem Naumburger Meister in Verbindung gebracht worden sind. Vor allem sind dort die Hauptgruppen des Weltgerichts am West-Lettner des Domes von Mainz zu nennen, die kurz vor dem Naumburger Westchor entstanden ist. Dann sehen sie auch andere Werke, bei denen man diskutiert hat, ob sie schon mit der Tätigkeit des Naumburger Meisters beziehungsweise seiner Hütte etwas zu tun haben, zum Beispiel ein Apostel-Relief aus Metz und dergleichen. Aber wir wollen hier versuchen, vor allem auch ihn einzubetten in die Kathedral-Welt des 13. Jahrhunderts, und deswegen sind auch dort sämtliche Kathedral-Lettner Frankreichs, die sind fast alle zerstört, aber es gibt von den meisten, wie von Notre-Dame in Paris oder Bourges oder Amiens, Fragmente, und die werden allesamt in der unmittelbaren Umgebung im Dom mit dem Lettner von Naumburg gegenübergestellt.

    Schäfer-Noske: Das heißt, Sie bringen Sachen, die auch in Mainz heute sind, die in Metz sind beziehungsweise waren, mit diesem einen Naumburger Künstler auch in Verbindung. Woran machen Sie das fest?

    Krohm: Das ist natürlich diese besondere Tiefe, die dieser Kunst zugrunde liegt. Es geht darum, die Stifterfiguren, die wir im Naumburger Chor haben, also Personen, die Reue empfinden wegen ihrer Sünden, Stiftungen dann tätigen, um ihr Seelenheil zu retten, die werden, als wären sie lebendig, in die Liturgiefeier des Chores mit hineingenommen. Und dazu gehören eine Vielzahl von Mitteln, was die Bewegung von Figuren betrifft, da muss man sich mit der antiken Skulptur auseinandersetzen, dann die Mimik, die Bewegung der Seele, die Emotionen und Affekte, das muss man alles studieren. Derartige Voraussetzungen gab es an der Kathedrale von Reims, und das zeigen wir sehr ausführlich. Dort fanden tiefgehende Auseinandersetzungen mit solchen Phänomenen statt, und davon ist er inspiriert. Er ist einer von den Fähigsten, die aus dieser Kathedrale von Reims aus der Bauhütte hervorgegangen sind. Der Herrscher muss überindividuelle Züge haben, während auf der anderen Seite eben, was jetzt in Naumburg gezeigt wird, oder was in Reims an der Kathedrale dort hervorgegangen ist, da geht es um das Individuelle.

    Schäfer-Noske: Denken Sie denn, dass nach dieser Ausstellung die Kunst im Naumburger Dom mit anderen Augen gesehen wird?

    Krohm: Das hoffen wir sehr. Deswegen haben wir uns auch sehr viel Mühe gegeben, das auch in einer möglichst verständlichen Form und breiten Form zu zeigen. Das ist die Kunst des 13. Jahrhunderts: was geht da in den Auftraggebern und in den Künstlern vor, was müssen sie alles wissen, was sind die Grundlagen zum Beispiel der Adelskultur, um eine Uta zu machen.

    Schäfer-Noske: Hartmut Krohm war das, Kurator der Ausstellung zum Naumburger Meister.