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"Es ist nicht irgendein Stückchen Land"

US-Präsident Obama brachte öffentlich Friedensgespräche auf Basis der Grenzen vor dem 6-Tage-Krieg ins Spiel. Abdallah Frangi, politischer Berater von Palästinenserpräsident Abbas für auswärtige Angelegenheiten, "hatte nichts anderes erwartet" - und hofft auf eine Korrektur der israelischen Politik.

Abdallah Frangi im Gespräch mit Christian Bremkamp | 21.05.2011
    Christian Bremkamp: Die Atmosphäre könnte besser sein. US-Präsident Obama und der israelische Ministerpräsident Netanjahu haben sich auch in einem mehrstündigen Gespräch nicht auf einen gemeinsamen Kurs für eine Friedensregelung in Nahost einigen können. Obama hatte zuvor öffentlich vorgeschlagen, dass Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern auf Basis der Grenzen vor dem 6-Tage-Krieg 1967 beginnen könnten.

    Am Telefon begrüße ich nun Abdallah Frangi, politischer Berater von Palästinenserpräsident Abbas für auswärtige Angelegenheiten. Guten Morgen, Herr Frangi!

    Abdallah Frangi: Guten Morgen!

    Bremkamp: Sind Sie enttäuscht oder hatten Sie nichts anderes erwartet?

    Frangi: Ich hatte nichts anderes erwartet. Und ich glaube, es gibt einen positiven Punkt, dass Präsident Obama für einen Palästinenserstaat sich einsetzt in den Grenzen von 67, obwohl er in dem Gespräch jetzt nicht betont oder in der Pressekonferenz nicht so richtig erwähnt hat. Aber trotzdem, wir Palästinenser, wir halten da dran fest, was der Präsident gesagt in seiner Rede vor zwei Jahren in Kairo. Der sagte damals, dass die Gründung eines Staates, ein Palästinenserstaat, das dient den amerikanischen Interessen. Und ich sag' noch dazu, das dient dem internationalen Frieden in dieser Region. Deswegen finde ich, das ist demütigend eigentlich, die Art und Weise, wie Netanjahu mit dem amerikanischen Präsidenten umgeht. Und die Israelis haben bis jetzt alles so getan in dieser Richtung. Sie haben zum Beispiel, als wir die Verhandlungen mit denen begonnen hatten, direkt vor einem Jahr, als der Mitchell zu uns kam, sie haben begonnen, Hunderte von Siedlungen zu bauen. Und als der Stellvertreter von Präsident Obama auch kam, die haben 1200 Siedlungen. Und jetzt direkt bevor er kam in die USA, der hat auch Anweisung gegeben, 1200 Wohneinheiten zu bauen. Das heißt, diese Politik, diese De-facto-Politik, die darf man nicht machen, wenn man Frieden haben will.

    Bremkamp: Herr Frangi, aber Benjamin Netanjahu sagt ja auch, Israel sei zu großzügigen Kompromissen für den Frieden bereit, könne aber nicht zu den Grenzen von 67 zurückkehren. Großzügige Kompromisse, immerhin – gäbe es da nicht einen Punkt, wo man anschließen könnte?

    Frangi: Wissen Sie, ich weiß nicht, wie Sie immer Israel irgendwie in Schutz nehmen. Was heißt großzügig? Wenn Sie heute 300- bis 400.000 israelische Siedler, das heißt, will er jetzt die Siedler von denen wegnehmen oder will er das Land von denen wegnehmen – das zerstückelt den Palästinenserstaat, diese Siedlungen. Es ist nicht irgendein Stückchen Land. Das sind Menschen, die dadrauf kommen, und diese Menschen haben Straßen, sie haben Verkehr und sie teilen das Land untereinander. Und die Palästinenser dürfen sich dort nicht bewegen. Und das heißt, ein Drittel von dem, was den Palästinenser von den Grenzen von 67 bleibt, wird weggenommen, bevor wir darüber gesprochen haben. Und der kann nie großzügig sein werden, weil das Ganze ein palästinensisches Land und die ganze Welt hat das anerkannt.

    Bremkamp: Herr Frangi, ich versuche, nach Möglichkeit neutral zu sein, aber bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung. Israel führt Sicherheitsbedenken in den Raum, ein Anliegen, das doch auch seine Gründe hat, oder?

    Frangi: Wissen Sie, nein, sie haben keine Gründe. Israel ist stärker als Deutschland und England und Frankreich zusammen. Sie haben...

    Bremkamp: Aber Israel wird auch von Palästinensern angegriffen.

    Frangi: Wissen Sie, ich lebe heute nicht in Beerscheba, wo ich geboren bin. Und viele leben nicht in Jaffa. Und wir haben gesagt, wir verzichten da drauf, damit sie einen Frieden. Wenn wir einen Palästinenserstaat gründen, dann nehmen wir ein Viertel von dem ursprünglichen palästinensischen Land, das heißt, wir verzichten schon, bevor wir mit denen gesprochen haben, auf ein Dreiviertel von dem palästinensischen Land, was sie nicht rechtmäßig genommen haben. Und das ist einfach zu viel. Und wenn man das nicht berücksichtigt und immer die Sicherheitsgründe... Ich möchte gerne, dass der amerikanische Präsident, dass die Europäer, egal wer, von denen er redet, für die Sicherheit Israels einmal für uns definieren können, welche Grenzen hat Israel. Wo ist die Grenze seit 1948 von Israel? Diese Grenze hat sich verdreifacht, sie hat sich verschoben in der Richtung der palästinensischen Gebiete. Und wenn man das nicht erwähnt und wenn man keinen Mut da drauf hat, das zu erwähnen, weil man Angst hat, als Antisemit oder weil man antijüdisch sein könnte, wenn man das erwähnt, dann kann man keinen Frieden machen. Wenn Sie verlangen, dass die Palästinenser Israel nicht angreifen, dann darf Israel das palästinensische Land nicht wegnehmen.

    Bremkamp: Nur irgendjemand muss den Anfang machen, irgendjemand muss einen ersten Schritt machen. Und der könnte doch auch sein, dass sie das Existenzrecht Israels anerkennen.

    Frangi: Wir haben das Existenzrecht Israels, wir haben das 1993, und trotzdem, sie haben das nicht mehr hingenommen oder nicht mehr akzeptiert. Wir haben – und Arafat hat das damals, mit Rabin, und mit dem, sagen wir, Abkommen von Oslo – wir haben, es gibt keinen Palästinenser heute in der PLO, der dieses Recht Israels negiert oder nicht akzeptiert. Wir möchten nur mit Israel reden über unsere Grenzen, die noch nicht definiert worden sind, unsere Sicherheit, die noch unter der Besatzung der israelischen Armee leidet. Wenn wir jetzt zweizüngig reden, dann werden wir diesen Frieden nicht haben. Und wer bezahlt dafür? Die israelische Bevölkerung, die palästinensische Bevölkerung, aber auch die Europäer und die Amerikaner, weil sie ihre Interessen dort nicht garantieren können, wenn kein Frieden da ist.

    Bremkamp: Herr Frangi, kurz zum Schluss: Auf wem ruhen denn jetzt Ihre Hoffnungen, auf Obama, auf Frau Merkel, auf jemandem in Israel?

    Frangi: Wir bauen da drauf, dass die Menschen irgendwann mal die Gerechtigkeit erkennen werden. Wir haben gesehen in manchen arabischen Ländern, dass viele Verantwortliche in der Regierung, die lange Jahre regiert haben und die das Volk nicht berücksichtigt hatten, die sind verschwunden. Und diese Entwicklung wird auch weiterhin gehen. Wenn Israel jetzt nicht isoliert von diesen arabischen Ländern, die jetzt neu entstehen, sein will und mit denen Frieden haben will, nicht nur mit den Palästinensern, dann müssen sie einfach eine Korrektur in ihrer Politik und nicht diese Sturheit und nicht darauf bestehen, dass sie das Land der Palästinenser mit Gewalt besetzen.

    Bremkamp: Sagt Abdallah Frangi von der Palästinenserorganisation Fatah. Herr Frangi, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Frangi: Danke auch!